Kapitel 4; Die Neue

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AVA

“Komm jetzt endlich runter, oder ich werde dich holen.“, hörte ich meine Mutter schreien. Schnell schnappte ich meine Tasche, zog meine Lederjacke an und schlüpfte in meine Sneakers. Dann sprang ich die Marmortreppe hinunter. Ich war viel zu spät dran und würde nicht mal frühstücken können, aber ich hatte sowieso keine Lust auf meine Mutter und so schlug ich die Tür hinter mir zu, als ich das Haus verließ. Ich stieg in mein Auto und startete den Motor, die Musik drehte ich auf und fuhr aus der Parklücke heraus.

Auf dem Schulparkplatz angekommen machte ich mir keinen weiteren Stress, ich war sowieso schon zu spät, also juckte es mich nicht weiter was Mr. Monroe von meinem erneuten Regelverstoß halten würde. Gelassen schlenderte ich auf das Schulgebäude zu und legte den restlichen Weg zum Klassenzimmer eine Melodie pfeifend zurück. Dann öffnete ich die Tür, spazierte am Leherpult vorbei, auf dem Weg zu meinem Platz, wie in gewohnten Zeiten und blieb plötzlich wie vom Blitz getroffen auf halbem Weg stehen. Denn wie ich feststellen musste war der Platz nicht wie üblich frei. Ganz im Gegenteil. Auf meinem Stuhl an meinem Tisch saß jemand, der nicht mal bemerkt zu haben schien, dass ich wie angewurzelt davor stand.

Empörung machte sich in mir breit und ich spürte die Wut in mir hochkochen. Wer besaß die Frechheit meinen Platz zu besetzten?
Ich trat also vor und baute mich vor dem Mädchen auf, welches immer noch ahnungslos auf seine Unterlagen blickte.
Dann endlich, nach einer Ewigkeit wie es mir schien, hatte sie anscheinend gemerkt, dass alle so still waren, gemerkt, dass ich vor ihr stand.

Und dann sah sie auf.
Für einen kurzen Moment verschlug es mir die Sprache, als mich der Blick dieser blauen Augen traf. Mit ihren langen Wimpern, ihre verwuschelten kurzen, braunen Haaren, ihre gerade Nase und ihrem vollen Mund ließ sie mein Herz plötzlich schneller Schlagen und mein Gehirn setzte für einen Moment aus. Ich ertappte mich dabei, wie ich gebannt in ihre Augen starrte. Doch genauso schnell fasste ich mich wieder und das, bevor mein Gesichtsausdruck völlig entgleisen konnte.

Die Stille im Raum war fast mit den Händen zu greifen und alle warteten gespannt darauf, was als nächstes passieren würde.
Also räusperte ich mich und sagte mit einer leisen Drohung in der Stimme:
"Du sitzt auf meinem Platz.", brachte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und ich konnte sehen, wie sich ihre ohnehin schon großen Augen ein klein wenig weiteten.

Ich erwartete, dass sie aufspringen und mir Platz machen würde, wie es für jeden Schüler dieser Schule angemessen wäre, doch ich wurde erneut völlig überrascht.
"Jetzt sitze aber ich hier.", sagte das Mädchen gefasst und ich konnte meine Freunde entsetzt nach Luft schnappen hören.

Ihre Unverfrorenheit überraschte mich und ich sollte sie dafür eigentlich hassen, oder zumindest zur Rede stellen, doch gegen jede Regel der Vernunft wollte ich nicht auf meinem Recht beharren. Diesmal nicht.

SAM

Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Ich hatte mich an meinem ersten Schultag auf einen Platzt gesetzt der eigentlich jemand anderem gehörte. Aber ich wusste auch ganz genau, dass ich, wenn ich jetzt nachgeben würde, Schwäche zeigen würde. Und dabei hatte ich mir geschworen, dass das nicht passieren dürfte. Das Mädchen vor mir strahlte eine selbstbewusste Dominanz aus. Sie schien es gewohnt zu sein, dass alle nach ihrer Nase tanzten: Alle außer mir.
Ich würde also, wie ich spontan beschlossen hatte, hier sitzen bleiben. Koste es, was es wolle.
Die blonden Harre des Mädchens umrahmten ihr Gesicht und verliehen ihr einen wilden Ausdruck. Die stürmischen braunen Augen, die zuerst überrascht und dann wütend meinem Blick standhielten erstaunten mich. Sie war wirklich hübsch. Und sie war auch wirklich sauer und womöglich kurz davor mich vor allen anderen in der Luft zu zerfetzten. Doch Mr. Monroe rettete mir das Leben:
"Miss Phillippe, Sie sind sowieso schon spät dran, setzten Sie sich doch bitte auf einen freien Platz in der letzte Reihe, damit wir im Unterricht fortfahren können."

Gespannt wartete ich ihre Reaktion ab und als sie sich immer noch nicht von der Stelle rührte schnellten meine Augenbrauen nach oben, um dem Gesagten Nachdruck zu verleihen.
Oh ja, sie würde mich jetzt definitiv hassen, damit war ich mir sicher. Doch schließlich wandte sie sich ab und suchte sich einen Platzt in der letzten Reihe.

H(er)oes | gxg #Wattys2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt