Kapitel 11; geheime Post

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AVA

Die Worte des Lehrers zogen an mir vorbei, ohne dass ich große Notitz von seinem langatmigen Geschwafel nahm. Genervt blickte ich auf die Uhr, die seitlich über dem Kopf von Mr. Monroe hing und stellte fest, dass sich der Minutenzeiger kaum einem Millimeter bewegt hatte. Ich seufzte und rügte mich selbst für meine Ungeduld. Was war nur in letzter Zeit mit mir los?, fragte ich mich.

Zwar war ich nie gerne in der Schule und genoss die Pausen mehr als den Unterricht, dennoch, nie schienen die Stunden langsamer vergangen zu sein als jetzt.

Und zusätzlich zu der Zeit, die sich zäh wie Kaugummi zu dehnen schien, fielen meine große Ungeduld auch meinen Klassenkameraden auf. Selbst Greyson und Peter, die nicht unweit von meinem Platz entfernt saßen, warfen mir eine fragenden Blick zu, als sie mich plötzlich lautstark seufzen hörten.

Ich ignorierte sie und starrte wie gebannt auf meine Finger. Ich musterte meine Fingernägel. Ich hatte sie nie wirklich lang wachsen lassen und kürzte sie regelmäßig. Die Faszination über Nageldesign, die die meisten Mädchen wie eine eigene Kunst ausübten, war ausnahmslos an mir vorbeigezogen. Ich verstand nicht, wie man so viel Zeit seines Lebens für das Lackieren seiner Fingernägel verschwenden konnte. Einige Minuten später (die mir wie Stunden vorkamen) blickte ich auf und konnte sehen, wie mich meine Freunde immernoch fragend ansahen, diesmal mit einem forscheren Blick. Ich weigerte mich immer noch, ihren Blicken zu begegnen und drehte meinen Kopf zur Seite und bereute diese Handlung sogleich.

Denn Sam blickte mich auch an, musterte mich regelrecht mit ihren blauen Augen.

Ich schluckte und wandte mich wieder ab, einen flüchtigen Blick auf die Wanduhr werfend. Ich hätte am liebsten schreien können, als ich feststellte, dass gerade mal eine mickrige Minute vergangen war und ehe ich mich beherrschen konnte entfuhr mir erneut ein lautes Seufzen.

Erneut blieb dies nicht unbemerkt, diesmal drehten sich jegliche Klassenkameraden zu mir um. Ich konnt ihr Flüstern hören, dass sich über den Raum verteilte. Mir wurde warm, mein Blick auf einen Punkt über Monroes Kopf fixiert, um den Blicken der anderen nicht begegnen zu müssen, bemerkte ich, wie mir plötzlich der Kragen meines Hemdes die Kehle zuschnürte. Nervös wie ich war, versuchte ich mich zu beruhigen und atmete zitternd aus. Dann versuchte ich den engen Kragen meines Hemdes zu lockern.

Ich liebte Hemden und trug sie unglaublich gerne, da sie mir eine gewisse Seriösität verliehen, ohne mich albern aussehen zu lassen, doch heute fühlte ich mich unwohl in meiner Kleidung. Ich schluckte und öffnete den ersten Knopf. Dann öffnete ich auch den zweiten, als ich bemerkte, dass dieses unangenehme Engegefühl in meiner Brust einfach nicht verschwinden wollte. Einen Seitenblick auf meine Freunde werfend versuchte ich sie mit einem Verdrehen meiner Augen wieder zu beruhigen. Alles in Ordnung, versuchte ich mir selbst einzureden. Meine Nervösität war nur ein Produkt meiner unbändigen Fantasie. Dennoch machte sie mir Sorgen. Denn ich verlor für Gewöhnlich nie die Konrolle. Und plötzlich wurden auch die Zweifel in meinem Hinterkopf lauter, die ich so erfolgreich zu unterdrücken versucht hatte.

Sam war der Grund. Sie brachte mich im wahrsten Sinne des Wortes aus der Fassung. Und ich wollte es mir selbst nicht eingestehen. Denn das konnte nicht sein.

Sie war ein Nichts, ein Niemand, der gerade erst hergezogen war - und doch: seit unserer ersten Begegnung und all den weiteren die folgten, kreisten meine Gedanken ununterbrochen um dieses wunderschöne Mädchen. Wunderschön. Das war sie in der Tat. So sehr, dass sie es innerhalb einer Woche geschafft hatte mein ganzes bisheriges Leben auf den Kopf zu stellen. Eigentlich sollte ich sie dafür hassen. Doch ich es erschien mir in meiner jetzigen Situation unmöglich. Und eines wusste ich ganz genau: Bald würde ich mich nicht mehr von ihr fernhalten können.

SAM

Es war eine Schulstunde gewesen, wie jeder andere bei Mr. Monroe. Und doch war etwas anders. Ava. Kaum hatte der Unterricht begonnen, begann sie unruhig auf ihrem Stuhl zu rutschen, sekündlich einen Blick auf die Wanduhr werfend. Dann viel es nicht nur mir auf und die Aufmerksamkeit der anderen ließ sie noch nervöser werden. Sie öffnete mit zitternden Fingern zwei Knöpfe ihres weißen Hemdes und offenbarte die Haut die darunter lag.

Ich machte mir Sorgen. Was war los mit ihr? Doch durch Grübeln würde ich meine Antwort nicht finden und so beschloss ich kurzerhand Ava einfach zu fragen. Ich riss eine Ecke von meinem Blatt ab, schrieb ein: "Alles OK bei dir?:)" auf das kleine Stück Papier und faltete es dann zusammen. Zugegeben, das hier war eine sehr primitive, altmodische Methode um an meine Antwort zu kommen, doch ich wollte nicht noch mehr Aufsehen erregen, in dem ich sie lauthals nach ihrem Wohlbefinden fragte und so warf ich das kleine Papierknäuel in Avas Richtung. Zu meinem Glück, landete es genau auf ihrer Tischfläche und rollte direkt weiter in ihre halb geöffnete Handfläche. Zuerst schien es als hätte sie meine Nachricht nicht bemerkt, doch dann schloss sich ihre Hand fast unmerklich um das Papier, und versteckte das Knäuel in seinem Inneren .

Unbemerkt wanderte ihre Hand unter den Tisch und sie öffnete meinen kleinen Brief, ihre zweite Hand zur Hilfe nehmend. Ihre blonden Haare verdeckten mir die Sicht auf ihr Gesicht, als sie ihren Kopf nach unten neigte, um die Nachricht zu lesen, doch als sie ihre Augen wieder nach vorn fixierte, konnte ich das kleine Lächeln sehen, dass sich auf ihre Lippen geschlichen hatte.

H(er)oes | gxg #Wattys2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt