V I E R

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Gelangweilt las ich mir noch ein letztes Mal meine Legende durch. Es war seit längerem der erste Auftrag, bei dem ich undercover ins Geschäft eingeschleust werden würde. »Anastasia Neumann, dreiundzwanzig Jahre alt, Naturtalent in ihrer Branche, Einskomma-Abschluss an der Uni. Ist ja alles schön und gut aber was hat die denn studiert?« Hinter mir hörte ich ein Hupen und fuhr weiter, da ich nicht bemerkt hatte, wie die Ampel von Rot auf Grün gewechselt hatte. Mein schwarzer 1968er Camaro SS beschleunigte mit einem wilden Knurren und raste davon. Mein Auto war nicht nur wunderschön und unglaublich alt, sondern noch dazu eine Rarität in Deutschland und mein Ein und Alles. Mit der freien Hand, die ich nicht am Lenkrad hatte, holte ich das Tastenhandy raus und rief diese eine Nummer an. Es tutete ein paar mal, dann hörte ich die mir bekannten rasselnden Atemzüge und er fragte erstaunt: »Sind Sie schon fertig?«, dann hustete er und holte wieder rasselnd Luft. Ich lachte leise und sagte dann: »Ich kann in der Legende den Arbeitsbereich meiner Person nicht finden.« Nach einem weiteren Husten hörte ich ihn 'Beratung der Sesselpupser in den obersten Etagen' sagen, ehe er auflegte- natürlich ohne Verabschiedung. Was zur Hölle tat ein Berater der ganz hohen Tiere? Das höchste Tier in diesem Gebiet war der Vorgesetzte meiner Zielperson- deren Namen ich nach wie vor nicht wusste, peinlicherweise. Ich wusste nur, dass sie die Ehefrau irgendeines wichtigen Politikers war, dementsprechend ekelhaft sein musste und laut dem Bild, dass ich bekommen hatte, eine kleine Brünette mit großen Brüsten war, die eine Vorliebe für knallige Farben und enge Kleider mit großem Ausschnitt hatte. Ich hoffte stark, dass sie im Büro auch so rumlaufen durfte, wenn nicht würde ich sie doch noch googeln müssen. Sie war, wenn ich es richtig verstanden hatte, irgendeine seltsame Art von Reptil oder so. Es interessierte mich nicht- sie war nur ein weiterer Auftrag unter vielen. Liebevoll sah ich zur Mittelkonsole, wo mein iPhone lag und mich anstrahlte. Seit der Erfindung des Internets 1925 in der Schweiz war ich fasziniert davon und als Steve Jobs dann das erste iPhone auf den Markt brachte war ich wie süchtig nach Elektronik und besonders nach Apple Produkten. Ich besaß mehrere iPhones, ein Surface, ein iPad, einen großen Flatscreen-Fernseher (und in der Abstellkammer einen alten Röhrenfernseher, der mittlerweile einiges wert sein sollte) und einen iPod. Ein leises pling riss mich aus meinen Tagträumereien und ich tastete nach meinem Handy- natürlich ohne die Augen von der Straße zu lassen. Eine Nachricht von Sera: Ich bin unterwegs und gehe später einkaufen. Sehen uns hoffentlich abends. S'
Ich grinste beim Gedanken an ihr Outfit heute früh: eine zu große Latzhose voller Fabklecksen und ein bauchfreies schwarzes Shirt mit dem Nirvana- Logo, und ihren alten Toyota. Im Vergleich zu ihrem Outfit kam ich mir dennoch underdressed vor mit meinem olivfarbenen Jumpsuit und den schwarzen Schuhen. Auf dem Beifahrersitz thronte meine schwarze Tasche, in der ich- neben meinen Arbeitsunterlagen- meine Springerstiefel, eine Jeans und ein XXL Shirt mit dem Logo der Rolling Stones verstaut hatte. Im Kofferraum hatte ich vorsichtshalber unter dem Erste-Hilfe Kasten eine Kalashnikov, im Handschuhfach meine Walther PPK und in meiner Tasche die kleine Pistole mit Schalldämpfer für den Notfall versteckt. Außerdem hatte ich an meinem Unterschenkel ein Messer geschnallt. Ich kam mir immer vor wie ein sehr böses Mädchen, wenn ich mit so vielen Waffen durch die Gegend lief. Grinsend drehte ich die Musik lauter, sodass das Brummen des Motors kaum mehr zu hören war- ich ließ mich von Eminem's Liedern mitreissen und rappte lauthals mit. Keine zehn Minuten später erreichte ich das große Gebäude, in dem ich nun für einige Tage oder Wochen die 'Managerin für die großen Fische' spielen durfte. Ich stellte die Musik und den Motor aus, ich schnappte mir meine Tasche und starrte mein Spiegelbild an. Ich atmete tief durch und stieg aus. Das Knallen der Tür hallte auf dem Parkplatz wieder. Hier standen lauter teure Autos herum, ich kam mir wirklich ein bisschen schäbig vor mit meinem alten Chevy, der zu allem Übel auch noch von einer holperigen Straße mit schlammigen Schlaglöchern total verdreckt worden war. Ich schnaubte. »Kann ich ihnen helfen, Miss?«, hörte ich hinter mir plötzlich eine Stimme und fuhr herum- die Hand an der Waffe in meiner Tasche. Mein Gegenüber lachte, sichtlich amüsiert über meine Reaktion: »Oh entschuldigen Sie, ich hatte nicht beabsichtigt sie zu erschrecken, Sie standen nur so alleine und verloren hier herum.« Ich nickte knapp. Wer zur Hölle war er und was wollte er von mir? Und als hätte er gehört, was ich gedacht hatte, streckte er plötzlich seine Hand aus und sagte: »Ich bin Mandera. Castor Mandera. Und wie darf man die rothaarige Schönheit hier nennen, die vor mir steht?« Er lächelte charmant und entblößte zwei Reihen strahlend weißer Zähne. Ich musterte ihn misstrauisch, er war groß- wirklich sehr groß- und seine Haut hatte die Farbe von Cappuccino, was in starkem Kontrast zu seinen smaragdgrünen Augen stand. Er war ein sehr attraktiver Latino, der anscheinend hier arbeitete- das schlussfolgerte ich zumindest aus dem sichtlich teuren Anzug, der Rolex und der dünnen Goldkette, deren Ansatz ich nur erkennen konnte, weil er die obersten zwei Knöpfe offen gelassen hatte. Ich tippte ihm mit dem Finger gegen die Brust (die sich ziemlich trainiert anfühlte) und grinste ironisch. »Die rothaarige Schönheit vor dir kannst du nennen wie du willst, solange du und dein niedlicher Latino-Arsch mir nicht auf die Nerven gehen...Castor.« Höflich wie ich war, tätschelte ich sanft seine Wange und verschwand im Gebäude. Es war ein wirklich großes Foyer mit einem wirklich eindrucksvollen großen Tisch in der Mitte über dem ein großes Schild drauf hinwies, dass das die Anmeldung sei. In dieses Atrium hätte meine ganze Wohnung gepasst, und neben den zwei riesigen Aufzügen rechts und links neben der Anmeldung standen Männer in Uniform die mich stark an Bellboys in teuren Hotels (ihr wisst schon, diese Kofferträger, die immer denselben Satz sagten: »Darf ich ihnen ihr Gepäck abnehmen, Miss?« und einem den Weg zum nicht zu übersehenden Eingang weisen) oder an Portiers erinnerten- ein schwarzer Anzug, ein weisses Hemd, eine zum Hut passende Kravatte und eine kerzengrade Haltung, als hätten sie einen Stock im Arsch. Mein Entsetzen versteckte ich schnell hinter einem professionellen Lächeln und marschierte auf die Anmeldung zu, da ich keine Ahnung hatte wo ich hinmusste und was ich zu tun hatte. Kurz überlegte ich einen britischen Akzent aufzulegen, wenn ich mit der schlanken Blondine im Kostüm reden würde, doch ich wusste genau, dass ich das nicht dauerhaft hinkriegen würde, also ließ ich es. »Guten Tag, ich bin Anastasia Neumann. Ich soll hier die Stelle der Managerin übernehmen... so wurde es mir zumindest gesagt. Könnten sie mir vielleicht helfen, Miss...Kowalski.« Ungläubig starrte ich das Namensschild an. War sie etwa mit dem Model verwandt? Vincent Kowalski. »Ach, Miss Neumann. Schön sie kennenzulernen. Nennen sie mich ruhig Nadja- wir nennen uns alle beim Vornamen hier. Ihrem Blick zu urteilen, kennen sie meinen Namen. Und ich nehme an, sie kennen meinen Neffen Vince oder?«, sie lächelte freundlich und reichte mir ihre Hand. Zögerlich ergriff ich sie und schüttelte sie breit grinsend. Vielleicht waren hier drinnen ja nicht alle Menschen arrogante reiche Snobs, die sich für etwas besseres hielten. Und wer Vincent Kowalski jemals gesehen hatte, wusste, dass Nadja wirklich sehr gutaussehend war. »Kennen ist übertrieben. Ich finde ihn wahnsinnig attraktiv, obwohl ich normal eher auf dunkle Haare stehe und seine Stimme und sein Körper sind wirklich der Hammer. Aber persönlich kenne ich ihn leider nicht«, antwortete ich lächelnd. Nadja war ein Mensch, was mir also keinen Grund gab mich zu verstellen oder irgendetwas ausser meiner Waffen zu verstecken. Sie war mir sympathisch. Und das Ganze wurde noch verstärkt, als sie eine Kollegin bat für sie einzuspringen, damit sie mir den Gebäudekomplex zeigen und erklären konnte und mir meinen Arbeitsplatz zuzuweisen. Außerdem machte sie mich mit ein paar meiner neuen Kollegen und meinem Job bekannt. Meine Aufgabe war es im wesentlichen Termine, Events, Meetings, Shootings und all den unnötigen Kram zu organisieren- also den lebenden Terminkalender für den Boss zu spielen- ab und zu einen Vortrag halten, Formulare auszufüllen, die Medien kontrollieren und eine Menge anderen Scheiss zu erledigen, den ich sonst nie im Leben gemacht hätte. Doch ich brauchte das Kopfgeld und mein Stundenlohn, den ich hier nebenbei verdiente, war auch nicht gerade rar ausgefallen. Ich würde mich schön isoliert dem langweiligen Job widmen, meinem Auftraggeber den gewünschten Kopf mitbringen (oder was immer er als Beweis für den ausgeführten Auftrag wollte) und mich dann so schnell es ging aus dem Staub machen. Außerdem mochte ich keine schleimigen, ekligen, kaltblütigen Reptilien. Nach der schier endlosen Führung ließ ich mich auf den viel zu großen Ledersessel fallen, der einen Großteil des Büros einnahm, neben einem überdimensionalen Schreibtisch, zwei Besucherstühlen und einer Tür ins Büro nebenan. Wie der Zufall (an den ich nicht glaubte) es so wollte, war besagtes Büro nebenan das meines Opfers. Keine zehn Minuten nachdem ich das Zimmer betreten hatte, klopfte es und eine kleine Blondine bat mich, in den anliegenden Raum zu kommen. Grummelnd erhob ich mich also und öffnete die milchig-getrübte Tür, hinter der ich die Frau von dem Foto wiederfand- Kopfhörer in den Ohren, ein enges pinkes Kostüm mit riesigem Ausschnitt und High Heels in einem grellen Pink strahlten mir vom Tisch entgegen, auf dem sie ihre Beine abgelegt hatte, das Schlimmste allerdings war der Gesang, denn offenbar hörte meine Zielperson gerne Heavy Metal und kreischte deshalb lauthals den für mich unverständlichen Text des Liedes, dass man durch die Kopfhörer mehr als nur laut hören konnte. Erst als ich mit meinen Fingern vor ihrer Nase herumschnippte konnte ich ihre Aufmerksamkeit für mich gewinnen. Mit einem nicht sehr lady-mäßigen Grunzen zog sie sich die Kopfhörer aus den Ohren und deutete mit ihren ebenfalls pinken Nägeln auf mich. »Sie müssen die Innenarchitektin sein, mit der ich einen Termin vereinbart hatte, nachdem sie das Büro meiner neuen Managerin so überaus schlampig gestaltet haben, nicht wahr?«, dröhnte mir eine tiefe und samtige Stimme entgegen, die so gar nicht zu ihrem Erscheinungsbild passte. Ich bemühte mich um ein höfliches Lächeln und schüttelte den Kopf. »Nicht ganz. Ich bin ihre neue Managerin, bis sich ein Ersatz für ihre alte findet- also gewöhnen sie sich bitte nicht allzu sehr an meine Anwesenheit, Miss.« Ihr vorher so reserviertes Lächeln wurde nun zu einem breiten Grinsen und sie umarmte mich- anscheinend, um mich willkommen zu heißen. Ihr Körper fühlte sich kalt und unnatürlich an meiner warmen Haut an und ich war versucht mich ihrer etwas zu engen Umarmung zu entwinden, doch sie hielt mich fest, sodass ich mich wie die Beute einer Würgeschlange fühlte. Die nächste halbe Stunde erklärte sie mir meinen Tagesablauf, die hiesige Technik, erzählte Anekdoten aus ihrem Privatleben und bot mir an, mit ihr morgen zu ihrem Stylisten mitzukommen für eine Mani- und Pediküre, eine Ganzkörperenthaarung und zum Auftragen einer „Wunder wirkenden"- Maske. Zum Schluss ihres seltsamen Monologs verriet sie mir, dass ihr Vorname „Melissa" sei und ich sie- wie auch alle anderen Mitarbeiter- doch bitte duzen sollte, da sie sich sonst so alt vorkam und sie der Meinung war, sie würde dadurch eine sehr unpersönliche Bindung zu ihren Kollegen haben. Und als ich dann wieder in meinem Büro saß und mir den Terminkalender für die kommenden Tage ansah, stellte ich fest, dass es vielleicht doch kein so grauenhafter Auftrag sein könnte.

AìnfeanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt