N E U N Z E H N

246 33 4
                                    



»Was zur Hölle machst du hier und wieso bist du in einem Käfig? Ist das hier irgend ein krankes Sexspiel, dass dir eine eifersüchtigen Exfreundin aufgedrängt hat?«, versuchte ich lustig zu sein, während mir die Tränen in Strömen über das Gesicht rannen. Coinìn begann bei meiner seltsamen Begrüßung zu grinsen und lehnte den Kopf nun ganz lässig an die Gitterstäbe- als würde er jeden Tag von irgendwem entführt und in einen Käfig gesteckt werden. Unwillkürlich zuckten auch meine Mundwinkel nach oben, als er jetzt sprach- Gott, hatte ich seine Stimme vermisst. Man kann es kaum glauben, es waren schließlich nur ein paar Stunden gewesen, aber diese Stunden waren die pure Hölle gewesen. »Fean, mir geht es gut. Ich könnte während ich hierher geschleppt worden bin in den Ausschnitt meiner Entführerin schauen und auch wenn ich ziemlich geblutet habe, war das wirklich ein schöner Anblick- war also bisher nicht so schlimm«, er grinste schelmisch. Ich verdrehte die Augen und fragte dann: »Es war also eine Frau, die sich entführt hat? Wie sah sie aus- kennen wir sie?« Und er verneinte. »Noch nie gesehen, aber sie ist wirklich wunderschön. Lange helle Haare, wunderschöne große Brüste, stark wie ein Bär... oh, und ihre Augen sind total gruselig rot und irgendwie hat sie nur einen Arm, der andere besteht nur noch aus Knochen. Aber im Großen und Ganzen würde ich sie trotzdem niemals von der Bettkante stoßen«, beschrieb er sie. Und da fiel es mir plötzlich auf: etwas stimmte mit ihm nicht. Klar, er war auch nur ein Testosteron-gesteuerter Mann, der durch seine animalische Seite einen extrem hohes Bedürfnis nach Sex hatte- natürlich aus Gründen der Arterhaltung, nicht aus Spaß- aber Coinìn hatte nie so gesprochen. Er behandelte Frauen stets mit Respekt, auch wenn sie nur eine einmalige Geschichte waren, von dieser Frau hier sprach er allerdings, als wäre sie ein Ding- nichts mehr als ein Spielzeug, um seine scheinbar unbändige Lust zu stillen. Ich streckte meine Hände nach seinem Gesicht aus und untersuchte ihn auf Bissspuren, irgendwas musste dieses Wesen ihm angetan haben, um den animalischen Sextrieb so zu verstärken. »Coinìn, war sie ein Succubus?«, fragte ich dann plötzlich. Wir hatten es schon einmal mit einem zu tun gehabt und es war mehr als nur unangenehm gewesen. Succubi ernährten sich von der Lebensenergie und der sexuellen Energie anderer- in gewisser Weise könnte man sie also mit Vampiren vergleichen, auch wenn dir beide Spezien den Kopf einschlagen würden, würde man das laut aussprechen. Succubi hinterließen- ähnlich den Vampiren- kleine Bissspuren am Hals, Bauch oder der Innenseite des Oberschenkels ihres Opfers, durch den Biss würden ihre Opfer meist gefügiger, es war sozusagen wie Viagra und Speed zusammen nur viel, viel intensiver und rein biologisch. Auf dem Schwarzmarkt bekam man einen ganzen Batzen Geld für die Giftzähne eines Succubi, da die dort enthaltenen Stoffe, als eine Droge verwendet wurden. Der Vorteil an dieser Droge war, dass du nicht abhängig werden konntest- so was gefiel den Faes natürlich, die meist nicht all zu viel Lust auf eine Sucht hatten, die durch einer von Menschen hergestellten Droge herrührte. »Kein Succubi der Welt hat so eine Aura, wie sie. Es ist, als Stände man auf einem Friedhof- es ist wunderschön still, keiner stört, aber man ist von Toten umgeben, was irgendwie seltsam ist«, erzählte Coinìn mir, als ich sein Gesicht wieder los ließ- keine Bisse. Nichts. Frustriert seufzte ich auf und machte mich nun daran, den Käfig aufzubrechen. »Et Voilà, hinaus spaziert!« Doch Coinìn bewegte sich keinen Millimeter aus dem Käfig heraus. Ich wedelte vor seinem Gesicht herum. »Hallo? Komm raus aus dem Käfig, du Vogel«, maulte ich und zog jetzt sogar an seiner Hand, doch er war wie festgeklebt. »Ich will gar nicht weg von hier«, sagte er dann mit heiserer Stimme und glasigem Blick. Was zur Hölle war mit ihm passiert?

Ich hörte plötzlich eine Tür quietschen. Jemand betrat die Halle- es gab also einen zweiten Ausgang, der nicht durch den widerlichen, staubigen Gang führte. Gut.
»Coinìn, du bewegst jetzt deinen pelzigen Werwolfshintern raus aus diesem Käfig, sonst geh ich ohne dich!«, wisperte ich und versuchte gleichzeitig so viel Autorität wie möglich in meine Stimme zu legen, ich scheiterte kläglich und klang einfach nur noch panisch. Wer hatte den Raum eben betreten? War es diese seltsame Friedhofsgärtnerin, die Coinìn entführt hatte? Ich hoffte nicht, denn ich war völlig unbewaffnet, bis auf ein kleines Springmesser in meinem Stiefel. Vielleicht war es nur der... Pfleger. Ja genau, es war bestimmt nur der Pfleger, der sich um das Essen, die Säuberung der Käfige und die Wunden des abartigen Zoos hier kümmerte- irgendwer müsste es ja machen oder?
Bitte lass es den Pfleger sein, bitte lass es den Pfleger sein, bitte lass es... ein raues "Buh!" riss mich aus meinem inneren Mantra und ich fuhr erschrocken rum. Im Bruchteil einer Sekunde hatte das Schreckgespenst mein Messer an der Kehle und hielt die Hände in die Luft. Die Augen meines Gegenüber blitzten erschrocken auf, ehe sich ein entschuldigendes Lächeln auf seine Lippen schlich. »Hallo Aìnfean, was machst du denn hier?«, raunte er mir ins Ohr, nachdem ich das Messer von seinem Hals genommen hatte. Seine Stimme bewirkte, dass meine Nackenhaare sich aufstellten und ich eine Gänsehaut bekam- er klang gefährlich ruhig. Als wäre er irgendwie sauer... oder enttäuscht und versuchte es zu verbergen. »Die Frage ist eher, was du hier machst«, raunte ich in dem selben Tonfall zurück und zog fragend eine Augenbraue hoch, um meine Skepsis zu unterstreichen. Er griff sich theatralisch ans Herz und wisperte dann: »Mein Herz sehnte sich so sehr nach deinem wunderschönen Antlitz, schönste Saorla Aìnfean.« Dann verzogen sich seine Lippen zu einem charmanten Grinsen und er hauchte mir einen Kuss auf die Hand. Nervös entzog ich ihm meine Hand und zischte empört seinen Namen. Er lachte nur leise und drückte mich gegen die Gitterstäbe des Käfigs. »Was denn, kleine Prinzessin? Mache ich dich etwa nervös?«, wisperte er und hauchte federleichte Küsse auf meinen Hals und mein Schlüsselbein. Verzückt von den sanften Liebkosungen hielt ich die Luft an, nur um sie dann scharf wieder durch die Zähne auszustoßen, als er in meinen Hals biss. Er biss nicht fest zu, aber es tat dennoch weh und hab mir genug Adrenalin, um meinen Kopf zu klären und ihn von mir zu stoßen. »Autsch! Was soll der scheiß bitte, Neàmh!«,fuhr ich ihn wütend an und betastete meinen Hals vorsichtig- ich blutete! Dieses idiotische Arschloch hatte mir ein Stück Fleisch aus dem Hals gebissen! Was war das denn bitte für ein Kerl? Hinter mir hörte ich plötzlich ein bedrohliches Knurren. »Lass Fean gefälligst in Ruhe, du geflügelter Bastard«, knurrte Coinìn und fletschte die Zähne. Seine Augen glühten in einem hellen Gelb, Fell spross büschelweise in seinem Gesicht und sein Gesicht wirkte mit jeder Sekunde animalischer- er verwandelte sich oder war kurz davor. Seine Nasenflügel bebten und er erstarrte. Dann brüllte er einmal laut und wild, ehe er sich komplett verwandelte. Der Geruch meines Blutes musste seine Sicherungen komplett durchbrennen lassen und die Verwandlung ausgelöst haben. Was mich aber verwunderte, war die Gestalt, die nun in dem Käfig unruhig umher streifte. Es war nicht der große schwarze Wolf, der bisher immer an meiner Seite gekämpft hatte- nein. Es war eine löwenartige Gestalt mit einer hell schimmernden Mähne, kristallklaren blauen Augen und einem dunklen Fell. »Snàthainn«, murmelte Neàmh neben mir leise und ich erinnerte mich an den Tag, an dem ich den Hünen kennengelernt hatte. Er hatte Blutmagie benutzt, um Coinìn am Leben zu erhalten und offenbar hatte diese Magie mehr getan, als nur das, sie hatte seine gesamte Gestalt verändert. Seine Identität. Sein Wesen. »Was hast du getan?«, hauchte ich geschickt und sank auf die Knie. Sanft legte ich Coinìn meine Hand auf die Schnauze und sah ihn mitleidig an. Coinìn winselte leidend und sah mich mit großen Augen an, dann leckte er mit seiner rauen Zunge über meinen Hals und säuberte dadurch die Bisswunde, die mir Neàmh zugefügt hatte. Was zur Hölle war los mit diesem Mann? Wieso musste er alles zerstören? Coinìn war ein stolzer Wolf gewesen, er war einer der stärksten Wölfe, die ich jemals kennenlernen durfte und dann kam so ein dahergelaufener was-immer-Neàmh-war und zerstörte das alles. »Was bist du nur für ein Wesen, dass du ihm sowas antun konntest?«, schrie ich ihn mit Tränen in den Augen an. Neàmh erwiderte nichts, er massierte sich nur seine Schläfen und seufzte dann. »Ich hatte keine Wahl, hätte ich ihm damals nicht auf diese Art und Weise geholfen, wäre dein ach-so-geliebter Gefährte gestorben! Und du höchst wahrscheinlich mit ihm. Weisst du eigentlich wie sehr eure Leben- eure Seelen miteinander verbunden sind? Ich hatte keine Wahl, versteh das doch...«, anfangs schrie er mich noch in der gleichen Lutstärke wie ich ihn an, zum Ende hin würde er dann aber immer leiser, bis seine Stimme komplett abbrach und er sich zum Gehen abwand. Wütend starrte ich seinen breiten Rücken an und seufzte. Auffordernd stupste mich nun auch Coinìn an. Ich warf dem Wolf einen genervten Blick zu und stand ächzend auf. »Blödes Arschloch«, murmelte ich leise und rannte dann hinter Neàmh hinterher. »Neàmh warte«, rief ich nach ein paar Metern. Ich sollte wirklich mal anfangen Joggen zu gehen, ich besaß wirklich keine Kondition- wie hatte ich es nur bis an diesen Zeitpunkt im Leben geschafft, ohne permanent von Monstern gefressen oder getötet zu werden? »Was willst du Aìnfean? Mir eine weitere Predigt halten, dass ich das Leben des Wolfes zerstört habe, dann hier: Ja verdammt, ich habe höchst wahrscheinlich sein gesamtes Leben zerstört und...« Genervt unterbrach ich ihn, indem ich ihm meine Hand auf den Mund legte. »Halt die Klappe, du Idiot. Ja, du hast sein Leben zerstört, aber er wird sich früher oder später schon damit abfinden. Etwas anderes bleibt ihm gar nicht übrig. Und jetzt komm mit und hilf mir Coinìn aus diesem Käfig zu kriegen, irgendetwas verhindert, dass er dort weggeht«, unterbrach ich ihn. Dann schnappte ich mir seinen Arm und zog ihn zurück zu Coinìns Käfig. Der Wolf hatte sich mittlerweile wieder unter Kontrolle gekriegt und stand jetzt wieder in seiner menschlichen Form vor uns. »So und wie kriegen wir dich jetzt raus aus dem Käfig hier?«, fragte Neàmh desinteressiert und musterte meinen Seelengefährten. Coinìn schüttelte resigniert den Kopf und murmelte leise: »Ich will hier nicht weg. Ich will, dass sie wiederkommt und mit mir spielt.« Wie ein trotziges Kind ließ er sich auf den Boden fallen und schmollte. »Wer soll wiederkommen und mit dir spielen, Wolf?«, grummelte Neàmh nun genervt und ich konnte aus dem Augenwinkel beobachten, wie seine blauen Augen dunkler wurde- das helle himmelblau wurde zu einem stürmischen dunklen Grau und seine Iris erinnerte mich jetzt an den Himmel kurz vor einem Gewitter. Wilde dunkle Wolkenmassen, ozongeladene Luft und plötzlich breitete sich auch das kribbelnde Gefühl von Elektrizität in meinem Körper aus. Was passierte hier? Neàmhs Wangenknochen wurden plötzlich noch markanter und es bildete sich eine Art goldener Flaum überall auf seinem Gesicht aus, wie damals im Wald. Der Blick, mit dem er Coinìn nun ansah, erinnerte an einen Raubvogel, der seine Beute erspäht hatte und jetzt begann, sie zu umkreisen. Bereit für den Sturz in die Tiefe, um dem Tier das Leben zu nehmen. Und irgendwas an diesem hypnotischen Raubtier-Blick brachte Coinìn dazu, einen Namen auszusprechen, den ich niemals hören wollte.
»Lillith.«

AìnfeanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt