D R E I Z E H N

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»James, nimm deine Hände vom Fenster runter, du hinterlässt Patsch-Abdrücke«, hörte ich James Mama zum bestimmt dritten Mal nörgeln. Er schien noch nie geflogen zu sein und hielt seine Hand immer wieder gegen das Fenster, um sich die Nase besser daran platt zu drücken. Coinìn neben mir ging es allerdings nicht anders. Ich hatte auf einen Platz am Gang gehofft, als ich die Tickets bekommen hatte, wurde jedoch mit einem Fensterplatz beschenkt, den ich natürlich sofort an Coinìn weitergegeben hatte. Nun klebte er mit der Nase auch von Zeit zu Zeit am Fenster oder erzählte mir von besonders seltsamen Wolken die er gesichtet hatte- ich wollte einfach nur noch schlafen. Der Flug nach Glasgow dauerte zum Glück nur gute zwei Stunden aber ich mochte das Gefühl trotzdem nicht... ganz besonders, seit ich eine Horde fliegende Affen gegen mich aufgebracht hatte. Wer weiß schon was diese Tratschtanten alles über mich erzählt hatten. »Schau mal Fean, da ist ein Pegasus«, flüsterte mir Coinìn zu. Als ich aus dem Fenster sah, konnte ich wirklich ein kleines geflügeltes Pferd erkennen, dass ausgelassen über die Wolken zu stolzieren schien- wie zur Hölle konnte man sich so bitte in der Luft halten, ohne abzustürzen oder auszusehen wie ein seekranker Matrose? Ich habe schon mal auf einem dieser geflügelten Teufelsdinger geritten und es war alles andere als lustig gewesen. Ich verabscheute diese Viecher mittlerweile regelrecht, seit ich vor Rücken eines besonders sturen Exemplares gefallen war und mir mehrere Rippen geprellt hatte. Ich schnaubte also nur kurz, als ich das Pferd sah und versteckte mich dann wieder hinter meiner Klatschzeitschrift, die ich mir im Flughafen gekauft hatte. Normalerweise las ich sowas nicht, aber normalerweise flog ich auch nicht spät abends mit einem Flugzeug mal eben nach Schottland um einen Ball zu besuchen, dessen Gastgeber ich nicht kannte und der versuchen würde mich zu töten, wenn ich nicht erscheinen würde. Das würde eine super Woche werden...
»Mami! Mami, schau mal, die Sonne geht unter... boah das ist das Schönste, was ich jemals auf der ganzen Welt gesehen habe«, hörte ich keine halbe Stunde später wieder den kleinen James. Er hatte sowohl seine Hand als auch seine Nase gegen das kleine Fenster gedrückt und versuchte seine Mutter dazu zu bewegen, nicht mehr Candy Crush zu spielen, sondern ihre Aufmerksamkeit ihm zu widmen. Genervt lehnte ich den Kopf zurück und versuchte die Geräusche um mich herum auszublenden, um wenigstens ein wenig Schlaf zu kriegen bevor wir in Glasgow landeten.

Das unangenehme Knacksen der Sprechanlage des Flugzeuges und das nervige Stupsen meines Sitznachbarn weckten mich aus meinem mehr oder weniger erholsamen Schlaf. »Meine Damen und Herren, in Kürze werden wir den Flughafen in Glasgow erreichen, bitte bringen Sie Ihre Sitze wieder in eine aufrechte Position und legen die Gurte an«, ertönte die monotone Stimme der Stewardess aus den Lautsprechern. Kurz darauf hörte man das leise Klicken der Gurte, die geschlossen wurden, die Stewardess ging durch die Reihen und schaute, dass auch jeder angeschnallt war und schon began das Flugzeug mit der Landung. Neben mir krallte sich Coinìn, der eben noch so begeistert war, in die Sitze und grummelte etwas Unverständliches in seinen grünen Rollkragenpullover, den ich ihn vor einigen Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte. Als das Flugzeug dann mit einem Rücken auf dem Boden aufsetzte, hörte ich einen leisen erstickten Schrei von dem ach so furchtlosen Werwolf neben mir. Er klang wie ein kleines Mädchen. Ich grinste. »Hör auf zu grinsen, das ist nicht lustig«, murrte er unwirsch. Ich streckte ihm in einer wirklich sehr erwachsenen Geste die Zunge raus und schnappte mir meinen kleinen Koffer aus der Ablage über den Sitzen und verließ das Flugzeug. Den Protest der anderen Gäste von wegen 'die Anschnall-Zeichen sind aber noch nicht erloschen' ignorierte ich dabei und trampelte die Treppe hinunter an die frische Luft. Tief atmete ich die nach Abgasen und Kühen riechende schottische Luft ein und seufzte laut. »Es stinkt nach Kuh-Scheisse«, bemerkte Coinìn hinter mir in seiner besten Manier. Er war ja sowas von höflich und gut erzogen. Von wem er dieses ungebührliche Verhalten und diese schreckliche Wortwahl wohl hatte? »Ich mag die schottische Luft, es ist so ländlich und urig hier, nicht so voller Abgasen und frittiertem Fett triefend«, erwiderte ich und lief durch den Nieselregen über das Rollfeld zum Eingang des Flughafens. Schwerfällig hievte Coinìn seine Reisetasche die Treppen hinunter und stiefelte murrend hinter mir her. Ich wette seine Tasche wog mehr als das Handgepäck eigentlich durfte, aber mit seinem charmanten Lächeln hatte der Casanova bestimmt keinen Aufpreis zahlen müssen, wie ich ihn kannte. Der Weg ins warme Innere des Flughafens kam mir schier endlos vor, aber ich stiefelte tapfer weiter durch den jetzt stärker werdenden Regen. »War doch klar, dass es genau dann regnen muss, wenn wir keinen Regenschirm parat haben. So ein Scheiss«, schimpfte Coinìn lauthals und schüttelte sich einmal kräftig sobald wir drinnen waren. Regentropfen spritzten durch die Gegend und ich war schon kurz davor 'böser Coinìn' zu sagen, als mir auffiel, dass er ja in seiner menschlichen Form vor mir stand. Manche Gewohnheiten legt man offenbar nie ab, ich beließ es also bei einem »du Hund« und hielt Ausschau nach einem Taxi, als mir ein dunkel gekleideter Chauffeur mit einem dunkelblauen Livrée und einer mehr als auffälligen Dienstmütze mit dem Wappen, das sich auch auf dem Siegel des Briefes befunden hatte, auffiel. In seiner Hand hielt er ganz offensichtlich ein Foto von dem- oder derjenigen, die er suchte. Auf dem Ball mussten sich ja eine Menge hohe Tiere befinden, wenn sich hier ein so edel gekleideter Chauffeur befand. Ich bemerkte erst, dass ich ihn anstarrte, als sich unsere Blicke kreuzten. Das Gesicht des Chauffeurs verzog sich zu einem höflichen Lächeln und er hob seine Dienstmütze kurz an, es war fast, als würde er damit mich meinen. Ich starrte ihn immer noch an, wie ein Reh im Scheinwerferlicht und blinzelte blöd. »Fean? Kommst du?«, holte mich Coinìns Stimme aus meiner Starre. Verwirrt sah ich ihn an. »Was?« Er verdrehte die Augen. »Na zum Auto? Der Chauffeur, den du die ganze Zeit schon angestarrt hast, ist für uns, du Dummerchen«, lachte er und setzte sich in Bewegung. Immer noch verwirrt folgte ich ihm. »Saorla Aìnfean? Es ist mir eine Ehre Sie zu ihrem Hotel begleiten zu dürfen. Falls Sie während ihrem Aufenthalt in Schottland das Bedürfnis verspüren sollten, die Gegend zu erkunden oder zu einem anderen Anlass eine Fahrgelegenheit brauchen sollten, stehe ich Ihnen zu Verfügung«, ratterte der Chauffeur nervös herunter und zerknitterte mit seinen Händen die Krempe seiner Dienstmütze, die er abgenommen hatte, um sich zu verbeugen. »Ist das ihr erster Tag im Dienst?«, fragte ich wenig intelligent und deutete auf seine schwitzigen Hände. »Sie sind nervös. Wieso? Mache ich Ihnen Angst?«, setzte ich noch hinzu. Jetzt war er komplett überfordert und stammelte nur noch wirres Zeug. »Ich... ähm... also? Nun ja...«-er schluckte einmal- »Nein, Ma'am, es ist nicht mein erster Tag, aber die Anwesenheit von so bedeutenden Persönlichkeiten ist immer sehr aufregend und eine Ehre für so unbedeutende Personen, wie mich«, brachte er dann heraus. Ich sah Coinìn an- meinte der Typ das gerade ernst? Coinìn grinste, zuckte mit den Schultern und stieg in die Limousine ein- ganz ohne die Hilfe des Chauffeurs (den schien das Ganze ziemlich zu ärgern, bestimmt fühlte er sich in seinem Job vernachlässigt). Ich tat es ihm gleich und durfte mich im Inneren direkt an der Minibar erfreuen, die mit den tollsten alkoholischen Getränken gefüllt war. Ich schnappte mir ein großes Glas- eins dieser hohen Wassergläser- und füllte es zu drei Vierteln mit einem sehr teuer aussehenden Whiskey. Ich wollte gerade einen Schluck nehmen, als Coinìn aus einer Schublade unter dem Mini-Kühlschrank eine Pfeife zog und verwundert betrachtete. »Ist das eine Crack-Pfeife?«, fragte er mich verwirrt und hielt das Ding vorsichtshalber eine Armlänge von sich weg. Ich sah sie mir näher an und schüttelte dann den Kopf. »Crack ist eine Menschen-Droge. Diese Pfeife ist für etwas anderes... siehst du die Runen da am Kopf? Da- diese hier steht für das Wort 'Seele' und die da an der Seite steht für 'Geheimnis'. Das ist eine Fae-Pfeife- du weißt doch dass es diese Fae-Dealer gibt? Ja, sie dealen mit den Geheimnissen, Gefühlen, Seelen und dem Blut von Menschen oder teilweise auch denen der niederen Faes und anderen Viechern«, klärte ich ihn auf. Er starrte mich entsetzt an. Ich hatte in den Zwanzigern selbst mit diesem Zeug gedealt und kannte mich daher leider  mehr als gut damit aus. »Und was bringt es die Geheimnisse oder so von Menschen zu rauchen?«, fragte er. Ich zuckte mit den Schultern. »Ist wahrscheinlich ein bisschen wie Gras nur stärker und auf einer anderen Ebene, ich hab das noch nie ausprobiert, aber von dem Zeug wird man ganz offensichtlich mehr als nur ein wenig high«, erklärte ich also und öffnete die Schublade etwas weiter. Bis oben hin war sie mit mehreren sehr edlen Pfeifen gefüllt und neben den Pfeifen befanden sich noch mindestens ein Dutzend kleine durchsichtige Phiolen, die mit den verschiedensten Geheimnissen gefüllt waren. Je nach Färbung der milchigen Flüssigkeit in den kleinen Fläschchen, könnte man in etwa ausmachen, um welche Art von Geheimnis es sich handelte. Und der Großteil der Geheimnisse in dieser Schublade waren die dreckigsten und stärksten Geheimnisse, die ich je gesehen hatte. Ich rede hier von Geheimnissen, wie Mord und nicht von gestohlenem Silber...
»Versuchen Sie die lilafarbenen, sie haben eine sehr angenehme Wirkung«, riss mich der Chauffeur aus meiner Schubladen- Inspektion und grinste schief, ehe er losfuhr.

AìnfeanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt