E P I L O G

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»Bist du sicher, dass du das tun willst, Fean?«, fragte Néamh besorgt und sah mich an. Vor uns auf dem Tisch lagen zwei kleine Kapseln, gefüllt mit kleinen Kugeln, die an Zucker-Liebesperlen erinnerten. Und obwohl es so unschuldig aussah, handelte es sich hier um Cyanid und wir waren dabei eine Entscheidung zu treffen, die unsere gemeinsame Zukunft betraf und sie für immer verändern würde. Hamlet stellt mit seinem schäbigen Schädel in der Hand die heldenhafte und allseits bekannte Frage: Sein oder nicht sein? In diesem Fall war diese Frage wirklich entscheidend. Wollte ich das wirklich tun? Fest sah ich Néamh ein letztes Mal in seine kristallklaren Augen, in denen ich einen Hauch der Angst erkennen konnte- aber auch bedingungslose Loyalität. Schon von Anfang an hatte er diesen Blick in seinem Gesicht gehabt und ich hatte ihn nie deuten können, bis vor einigen Monaten. Seit wir aus der Hölle geflohen waren und das Geheimnis um meine wahre Identität als halbe Seele aufgedeckt worden war, befanden wir uns nur noch auf der Flucht. Ich hatte in all den Jahren, die ich nun schon lebte noch nie so viel von der Welt gesehen. Es war ein komplett anderes Gefühl mit jemandem an seiner Seite die Welt zu bereisen. Momentan hielten wir uns in den Katakomben unter dem alten russischen Zarenpalast auf, damals hatte ich mich hier unten oft mit den Dienstmädchen vor unserem Herren versteckt, dessen große Leidenschaft es war, junge Mädchen in Dienstuniform zu vergewaltigen, zu schwängern und dann zu quälen, bis das Kind im Bauche der werdenden Mutter und oft diese mit ihm, starb. In Erinnerungen schwelgend grinste ich leise und schaute verträumt durch die Gegend, bis ich plötzlich in eine herzerweichende Umarmung von Néamh gezogen wurde. »Wenn du das tust, wird es alles vorbei sein. Du wirst nie wieder leiden müssen, meine wunderschöne Königin... vielleicht wirst du sogar deinen Frieden finden. Aber dieses ständige weglaufen vor der Hölle ist auf Dauer keine Lösung«, murmelte er leise in mein Haar und drückte mir einen sanften Kuss auf den Scheitel. Ich hätte niemals gedacht, dass mein Leben jemals eine derart drastische Wendung nehmen würde, doch es gefiel mir.
Ich hatte nun eine finale Entscheidung zu treffen. Die Druidin hatte gesagt, Néamh und ich könnten jeweils nur durch die Hand des jeweils anderen sterben und ich war auf dem besten Weg dorthin. Oder eben auch nicht.
Sollte ich ihm die Kapsel in die Hand drücken, sodass er sie mir auf die Zunge legte und ich starb? Oder wollte ich die verbliebene Zeit, die mir mit ihm noch blieb, bis die widerwärtigen Höllenkreaturen uns fanden ausnutzen und weiter in dieser grauenhaften Welt leben?
Leben oder Sterben?
Flucht oder Frieden?
Sein oder nicht sein?
Ich wusste es nicht.

Ich gab Néamh einen letzten langen und verzweifelten Kuss und traf meine entgültige Entscheidung.

AìnfeanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt