A C H T U N D Z W A N Z I G

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Verwirrt sah ich zu Samael auf und runzelte die Stirn. »Ich habe geweint?« -es klang wie eine Frage und das obwohl ich mich um eine feste und gleichgültige Stimmlage bemühte. Der Dämon runzelte wieder Stirn, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, haben Sie nicht; das war irgendetwas anderes... es war wie eine Welle an Energie, die von Ihnen ausging und jeden hier für einige Sekunden lang mit tiefer Trauer füllte und eigentlich sind weder Dämonen noch Engel fähig dieses Gefühl derart intensiv zu verspüren. Ich habe mich fast menschlich gefühlt- menschlich und unfassbar schwach. Wie hast du das gemacht?«, der Wechsel zwischen siezen und duzen verwirrte mich fast mehr als das eben Gesagte. Ich schüttelte mich kurz und sah dann verzweifelt zu Néamh, in der Hoffnung, dass er Rat wusste. Anstatt einer Antwort auf meinen wortlosen Hilferuf zuckte er nur hilflos mit den Schultern. Dann trat er einige Schritte auf mich zu und umarmte mich. Aus lauter Überraschung stand ich zuerst steif wie ein Brett in einen Armen, bis er begann sanfte Kreise auf meinen Rücken zu zeichnen und ich mich entspannte. Seufzend versank ich in der warmen Umarmung, vergrub mein Gesicht an seiner heißen Brust und legte meine Hände an seinen Rücken, um ihn näher bei mir zu wissen. Ich konnte mich nicht erinnern mich jemals so geborgen und beschützt gefühlt zu haben, es musste vor Ewigkeiten gewesen sein und instinktiv kuschelte ich mich noch näher an Néamh. Der beruhigende Rhythmus seines offensichtlich vom Kampf noch schnell schlagenden Herzens lullte mich ein, wie eine Schlafmelodie für kleine Kinder. Ich hatte immer gerne für meine Kinder gesungen, ich hatte ihnen Geschichten aus längst vergangenen Zeiten erzählt, alte Legenden aus keltischen, römischen, Wikinger oder anderen Zeiten und sie damit erzogen und ihnen einen Teil meines Lebens und meines Wissens eingeflößt. Ein leises Wimmern entfloh mir und ich krallte mich an die Brust meines Begleiters, der weiterhin versuchte mich zu beruhigen, indem er kleine Kreise auf meinen Rücken malte und nun begann eine leise Melodie zu summen. Eine mir bekannte Melodie, wie ich mit Erschrecken festgestellte- mein Vater hatte sie mir als Kind oft vorgesungen, sie gehörte zu einem alten Schlachtlied an dessen Text ich mich nicht mehr erinnern konnte. »Woher kennst du dieses Lied?«, fragte ich leise aber mit fester Stimme und bemerkte wie er sich anspannte und dann schluckte. Er hustete einmal, dann wisperte er kaum hörbar: »Fean... das ist nichts, was ich jetzt mit dir bereden möchte, ich wollte es dir schon länger erzählen und warte seither auf den passenden Zeitpunkt. Sobald wir hier weg sind werde ich dir alles erklären.« Resigniert seufzte ich auf und löste mich von ihm. Ich hasste Menschen mit Geheimnissen. Tormod und Samael standen immer noch neben uns und unterzogen uns einer intensiven Musterung. Samaels nachdenklicher Blick beunruhigte mich und unwillkürlich fühlte ich mich wieder unwohl. »Können wir jetzt endlich gehen?«, fragte ich genervt und wandte mich schon zum Gehen, da hielt der Dämon mich auf. »Du gehst nirgendwo hin bevor wir nicht mit ihm gesprochen haben, ich will wissen was diese Energiewelle zu bedeuten hat und er weiß sicher Rat.« Dann packte er mich am Arm, breitete seine ledrigen Schwingen aus und hob ab. Den verdutzten Néamh ließen wir dabei einfach stehen- ebenso wie Tormod, der wütend zu uns hinaufstarrte. Es brauchte einige Sekunden bis ich mich an die Situation gewöhnt hatte, man flog schließlich nicht jeden Tag in den Armen eines Dämons über die Felder der Hölle und nach einigen Minuten entspannte ich mich und versuchte einfach das beste daraus zu machen. »Wenn ich in der Hölle sterbe, werde ich dann überhaupt noch wiedergeboren? Und wo?«, fragte ich schließlich in die Stille hinein, die nur vom Rauschen des Windes und den rhythmischen Flügelschlägen des Dämons unterbrochen wurde. Sein gesamter Körper vibrierte als er mit seiner rauchigen Stimme lachte anstatt meine Frage zu beantworten. »Nun ja, deine Frage kann ich dir jetzt nicht so beantworten, aber ich bin mir sicher er wird es ausprobieren wollen. Besonders nachdem ich ihm von deinen Talenten erzähle«, sagte er dann und wackelte anzüglich mit den Augenbrauen.
»Wer ist dieser „er" von dem du die ganze Zeit redest eigentlich? Und was will er von mir?«, fragte ich weiter. Samael seufzte genervt auf. »Du stellst ziemlich viele Fragen für eine Todgeweihte, findest du nicht? Wir sind gleich da, dann kannst du dir all deine Fragen selbst beantworten.« Keine fünf Minuten später setzte er mich vor einem riesigen massiven Eichentor ab und zog mich in Richtung der Flügeltüren, vor denen jeweils eine unfassbar scheußliche und hässliche Gestalt saß und scheinbar Wache hielt. Unsanft packte er mich am Oberarm und zog mich in deren Richtung. Mit Argusaugen beobachteten die zwei Gestalten uns und ich knurrte unwillkürlich, als der eine sich die Lippen leckte. Widerlich!
»Lord Samael, was verschafft uns die Ehre ihres Besuchs?«, spottete einer der Wächter mit schnarrender Stimme, während der andere anfing zu gackern, als hätte er soeben einen lustigen Witz erzählt. Samael funkelte die beiden Kreaturen nur wütend an und sagte dann mit seiner dunklen Stimme: »Haltet euer Maul, unnützes Pack. Ich bringe die versprochene Seele und jetzt macht Platz.« Und während ich mich noch über seine Ausdrucksweise wunderte, verbeugten sich die Zwei und öffneten die großen Flügeltüren. Wir traten ein, das heißt- Samael schleifte mich ins Innere der Festung. Hinter mir hörte ich die Wächter wieder gackern und etwas auf einer sehr seltsamen zischenden Sprache sagen. Ich konnte gar nicht so schnell schauen, da war Samael von meiner Seite gewichen und drückte beide mit jeweils einem Arm gegen die Wand. Seine krallenartigen Hände hatte er um deren Hals gelegt. »Wer derartiges zu einer Dame zu sagen wagt sollte bestraft werden, findet ihr nicht? Für so ein loses Mundwerk sollte man euch die Zungen ausreißen und sie an Hades Schoßhündchen verfüttern«, säuselte er betont lieblich und sanft. Seine Krallen drückten immer fester in den Hals des einen Wächters, als er vergeblich versuchte sich zu bewegen. Ein kleines Rinnsal Blut rann seinen Hals herab. Ich überlegte gerade wie gut ich diese Situation ausnutzen konnte um abzuhauen und ob das eine schlaue Idee wäre, als eine enorme Druckwelle uns alle von den Füßen riss. Wie eine Stoffpuppe wurde ich durch die Luft geschleudert und knallte unsanft gegen eine frei stehende Säule. Stöhnend fasste ich mir an den Hinterkopf  und versuchte durch Reiben und permanentes Blinzeln erfolglos die schwarzen Punkte aus meinem Blickfeld zu verbannen- offenbar hatte ich mich doch stärker verletzt als zu Beginn angenommen. Es dauerte einige Zeit bis ich mich wieder gesammelt hatte und fähig war mich aufzusetzen. Suchend ließ ich nun meinen Blick durch die große Eingangshalle gleiten, konnte aber niemanden ausmachen. Wer oder Was immer dieses Wesen war, das uns alle so mir nichts, dir nichts durch die Luft schmeißen konnte, es war gleichzeitig sehr gut darin seine Gestalt vor neugierigen Augen zu verbergen. Ich suchte immer noch nach der Ursache der Druckwelle, als Samael mir seine Hand anbot und mich zu sich hochzog. Dann verbeugte er sich plötzlich vor mir und begann zu sprechen: »Meister, ich bringe Ihnen die versprochene Seele. Vor Ihnen steht die Frau, die ihren eigenen Ehemann in der Hochzeitsnacht umbrachte. Die Freundin, die ihr Leben für ihren Wolf geben würde. Die Geliebte, die niemals wahre Liebe erlebt hat. Vor Ihnen steht die Tochter, deren Vater sie derart liebte, dass er selbst nach dem Tod noch über sie wacht- diejenige, die nicht zu Sterben vermag«. Mehr als verwirrt sah ich ihn an und zeigte ihm den Vogel. »Sag mal, bist du jetzt völlig durchgedreht, Dämon?«, fauchte ich ihn an. Dramatischere und kitschigere Worte waren ihm nicht eingefallen oder? Meine Frage, zu wem er sprach würde schneller beantwortet, als ich sie stellen konnte. Hinter mir hörte ich plötzlich Schritte, die näher kamen und dann einen Atem in meinem Nacken, der mir das Gefühl hab plötzlich in Flammen zu stehen. Wer immer da hinter mir stand, er oder sie hatte die bedrohlichste und bösartigste Aura, die ich jemals an jemandem erlebt hatte. Jeder Muskel in meinem Körper war auf einmal angespannt, jedes Härchen aufgestellt und meine Sinne geschärft. Mein Körper witterte instinktiv die Gefahr und als die Person hinter mir dann zu sprechen begann, durchlief ein Zittern meinen Körper.
»Vielen Dank, Samael«.
Die Stimme erinnerte an die eines kleinen Kindes, so sanft und dennoch voller Energie. Ich konnte nicht feststellen ob es ein Junge oder ein Mädchen war, also drehte ich mich in die Richtung aus der die Stimme kam. Da bemerkte ich allerdings, dass es unmöglich war einen direkten Blick auf ihn oder sie zu erhaschen, ich konnte immer nur aus dem Augenwinkel erkennen, dass dort jemand war. Es war nie mehr als Schemen, eine schattenhafte Gestalt, die keine feste Form annehmen wollte.
»Wer bist du?«, knurrte ich also misstrauisch und drehte mich weiterhin im Kreis, in der Hoffnung, dass wenn ich schnell genug war, ich einen Blick auf den Ursprung der Stimme werden konnte.
»Ich habe viele Namen, viele Erscheinungsformen und viele Gesichter. Deine Frage beantwortet sich am besten so: Ich bin die Person, die über die Welten der Toten und deren Verurteilung herrscht. Diejenige, die Sünden auf Waagen legt und für eine gerechte Bestrafung oder Entlohnung derjenigen sorgt, die keinen Herzschlag mehr besitzen und nicht mehr auf der Welt der Lebenden verweilen.«
Das Ganze zu Hören war erstmal eine ganze Menge zu Verdauen- es löste gleichermaßen allerdings auch einige unbeantwortete Fragen, wie beispielsweise wie die christliche Hölle, das Fegefeuer und dessen Pendant der christliche Himmel existieren können, wenn es gleichzeitig den Hades mit den Inseln der Seligen- also dem Elysium, dem Tartarus und den Feldern der ewigen Verdammnis oder Walhalla und all die anderen Totenwelten der verschiedenen Religionen und Glaubensrichtungen gab. Wie konnten all diese Welten nebeneinander existieren? Und wer herrschte über sie? Es gab so viele verschiedene Versionen der Herrscher über die Toten: Lucifer, Satan, Hades, Hela, die nordischen Götter des Walhalla, der christliche Gott, Beelzebub und all die anderen... und sie alle waren offensichtlich eine Person. Wenn ich jetzt aus dem Fenster sah, verstand ich es alles. Es war wie in einem Callcenter, in dem verschiedene Boots die unterschiedlichen Abteilungen abgrenzten- nur handelte es sich hier nicht um gelangweilte Mitarbeiter, sondern um die verschiedenen Arten der Unterwelt. Wie ein Labyrinth angeordnet, konnte man die christliche Hölle einen Gang neben deren Himmel und einen weiteren Gang weiter das christliche Fegefeuer sehen. Jede dieser Booths hatte eine vergitterte Tür, mit einem großen Schild, auf dem in Druckbuchstaben geschrieben stand, was sich im Inneren befand. Es war der helle Wahnsinn und ich begriff nicht, wie ich während dem Flug hierher nichts davon bemerken konnte. In meiner Begeisterung bemerkte ich nicht einmal, dass Samael weiterhin meine Hand hielt und versuchte mich zum Gehen zu bewegen, bis er mich schließlich einfach hochhob und durch die monströsen Gänge trug, die an beiden Seiten von korinthischen Säulen gestützt wurden und den großen Mittelgang dadurch von den zwei kleinen Seitengängen abgrenzte. Das gesamte Gebäude wirkte surreal, es war unfassbar gotisch gehalten, wies allerdings auch deutliche Merkmale des Historismus auf.
Gleichzeitig passte es perfekt in das Klischee des Bildes, das man automatisch vor Augen hatte, wenn man sich die Welt der Toten vorstellte. Es war kaum zu beschreiben.
Samael führte mich durch die schier endlosen vollkommen identischen Gänge bis hin zu einer weiteren riesigen Eichentüre, nur dass diese im Gegensatz zur Eingangspforte von oben bis unten verziert war. Kleine aus Silber gefertigte Verzierungen zogen sich wie die Wurzeln eines jungen Baumes von unten nach oben und verzweigten sich immer mehr, sodass sie schließlich zu grässlichen schmerzverzerrten Fratzen wurden, die sich zu bewegen schienen. Auf meinen entsetzten Blick hin, zuckte Samael nur mit den Schultern und erklärte: »Bestimmte Seelen haben eine härtere Strafe verdient und werden deshalb in Silber eingeschmolzen und dann weiterverarbeitet. Ziemlich grausam- aber effektiv!«

AìnfeanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt