F Ü N F U N D Z W A N Z I G

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Viel zu spät kamen die Worte des Kleinen bei mir an. Es war, als wäre mein Kopf in Watte gepackt- laut hörte ich meinen Herzschlag, als würde jemand dieses pulsierende Rasen aus großen Boxen direkt neben meinem Ohr abspielen. Laut und schnell hörte ich es Pumpen.
Bum bum.
Bum bum.
Bum bum.
Das Atmen fiel mir plötzlich unglaublich schwer und es schien fast, als hätten meine Lungen verlernt, was es hieß den aufgenommenen Sauerstoff in mein Blut zu pumpen. Ich stieß einen langgezogenen Seufzer aus und verdrehte die Augen- lass dir deine Gefühle nicht anmerken, wiederholte ich gedanklich immer wieder. Wie ein Mantra versuchte ich mir einzureden, dass es nur ein weiterer Tod war, den ich sterben würde. Ich würde danach einfach wieder aufwachen, vielleicht in einem neuen Körper, vielleicht in meinem jetzigen irgendwo in einem Grab in der Hölle, falls es hier etwas derartiges gab. Alles würde wieder gut werden. Ich würde Coinìn finden, ihm stolz Liliths Kopf in einer Plastiktüte überreichen und wir würden uns zusammen betrinken und das ganze als einen weiteren Punkt auf meiner Liste der möglichen Tode abstempeln.
»Miss, sie haben jetzt die einmalige Chance, ihren Tod selbst zu wählen. Vor ihnen sehen sie die verfügbaren Instrumente, die wir für Sie ausgesucht haben. Nur das beste für ein hohes Tier wie sie- das versteht sich natürlich von selbst«, höhnte der Dicke nun und imitierte dabei einen dieser blöden Moderatoren aus abartigen TV-Shows. Selbstsicher grinste ich den hageren Hünen an schnipste einmal und erwiderte dann: »Wäre es vielleicht möglich, dass sie diesen Job übernehmen? Ich bin mir sicher an ihren Händen klebt bereits das Blut einiger Unschuldiger... und mir wäre es sehr genehm, wenn jemand gleichrangiges für meinen Tod verantwortlich war.« Zu spät bemerkte ich das Zittern in meiner Stimme, die eigentlich genauso höhnend wie sein Tonfall klingen sollte. So klang ich allerdings eher wie ein verschrecktes Kleinkind, das Zeit schinden wollte... Mist!
Der Hüne schien es zu bemerken und lächelte süffisant. Dann schnipste er einmal und- wie aus dem Nichts- tauchten plötzlich ein Paar schwarzer Lederhandschuhe vor ihm in der Luft auf. Irgendwoher kamen mir diese Handschuhe bekannt vor und vorsichtig versuchte ich das kleine Wappen am Rand zu erkennen. Wo hatte ich das denn schonmal gesehen? Mit leicht schief gelegtem Kopf und zusammengepressten Lippen konzentrierte ich mich mit aller Kraft darauf, das kleine Zeichen zu erkennen, sodass ich fast nicht mitbekam, dass der Hüne wieder sprach. »Mit dem größten Vergnügen, meine Liebe«, schnurrte er mit einem widerlichen Grinsen und machte ein paar Schritte auf mich zu. Intuitiv nahm mein Körper eine Kampfposition ein und machte sich fertig, um jeden seiner Angriffe abzuwehren und bis zum bitteren Ende zu kämpfen. Ich wollte kämpfend sterben. Es war ein würdiger Tod.
Oder zumindest weniger erbärmlich als durch die Guillotine oder die ganzen anderen Möglichkeiten einen eher passiven und schnellen Tod zu sterben- ich war Keltin, verdammt, wir kämpften bis zum Tod. Wir litten und starben mit erhobenem Kopf. Und wir trugen auch die Narben unserer Kämpfe und die Spuren unserer Schmerzen mit Ehre und Stolz. Kannte man unsere Ideale nicht, könnte man fast denken wir wären alle kleine Masochisten die den Schmerz genossen- ich war mir sicher, dass viele unter uns genau das auch taten, da es ein Beweis dafür war, dass wir lebendig waren. Der Schmerz verankert uns mit unserer Existenz und der Welt der Lebenden. Der Schmerz bewies, dass wir noch Herr unserer Selbst waren und dass wir unser Leben und Sterben- unser Schicksal- selbst in der Hand hatten. Wir waren auf Midgard und wir waren Stolz darauf den Stamm der Weltenesche bilden zu können.
Ohne uns gab es nichts.
Ohne uns existierte die Krone des Baumes nicht, in dessen mit Blättern geschmückten Geästs nach unserem Glauben der Sitz der Götter war. Dort befand sich Asgard.
Die Götter waren also wortwörtlich auf unserem Mist gewachsen. Leider waren wir als Stamm der Esche auch verantwortlich für die Wurzeln allen Übels. Die Wurzeln, an denen Fenris seit Anbeginn der Zeit nagte und der unsere Welt immer wieder ins Schwanken brachte, wenn er seine Ketten für kurze Zeit lockern konnte und ein weiteres Stück der Wurzeln fressen konnte. Seit Anbeginn der Zeit war er mein Schlimmster Alptraum und mein bester Freund. Würde er sein Ziel erreichen und die Esche zum Fall bringen, dann würde ich endlich in Frieden und kämpfend sterben können. Es würde Ragnarök herrschen- die Götterdämmerung, der Untergang aller Welten und damit das Ende von Allem. Niemand wusste genau, was nach Ragnarök geschehen würde, was allerdings jeder wusste war, dass es nichts Gutes war und dass wir alle kämpfen würden. Es war paradox- wir Kelten liebten den Kampf. Wir liebten den metallischen Geschmack des Blutes, den erdigen Geruch des Schlachtfelds, das Adrenalin und das berauschende und befreiende Gefühl es Kampfes. Wir kämpften ohne Rüstung, oftmals sogar ohne irgendwelche Kleidung, nur mit Farbe beschmiert und mit unseren Waffen bekleidet und wir kämpften bis keiner mehr stand. Wir waren Kämpfer und uns lag der Krieg im Blut. Selbst wenn ich wollte könnte ich keinen anderen Tod als den Kampf wählen.  Ich war vieles, aber kein Verräter meiner eigenen in mir verankerten Ideale. Ich grinste wild und hob etwas Erde vom Boden auf. Lange hatte ich diese Geste nicht mehr ausgeführt, es fühlte sich fast fremd an, den Dreck auf de Zeige- und Mittelfingern meiner Hände zu verreiben und mir auf jede Wange zwei vertikale Streifen  und auf die Stelle zwischen meinen Augenbrauen einen weiteren zu malen. Aus dem Augenwinkel sah ich den Hünen lächeln- es schien, als hätte er diese Geste schon öfter gesehen. Wer war er? Ich kannte diesen Mann. Nur woher?
Ich stand wieder auf und grinste ihn auffordernd an.
»Du möchtest also kämpfen, kleine Katze? Dann lass uns kämpfen. Und sehen, ob du deinem Namen gerecht wirst, Saorla Aìnfean. Königin des Blitzes«, schnurrte der Hagere nun gelassen und begann mich- wie ein Panther seine Beute- zu umkreisen. Eine Taktik, die ich selbst gerne verwendete, sie beunruhigte das Opfer und weckte seinen Fluchtinstinkt; eine grausame Methode jemandem kurz vor seinem Tod noch zusätzliche Angst zu machen und ihn zu verunsichern. »Bevor wir hiermit anfangen«, ich machte eine ausholende Geste, die uns beide umfasste, »Muss ich noch eine letzte Frage stellen- wie lautet dein Name?« Der Hagere stutzte und blieb kurz stehen. Verwundert strich er sich über sein Kinn und schien zu überlegen- der perfekte Augenblick für einen Angriff, er war verwundbar und vollkommen in Gedanken versunken, während er nach einer passenden Antwort auf meine Frage suchte. Grinsend zückte ich einen meiner Dolche, die ich für Notfälle immer in meinem Stiefel versteckt hielt und griff ihn an. Leise und in einer leicht gebückten Haltung schlich ich mich an und holte gerade aus, um ihm die Kniekehlen aufzuschlitzen, da drehte er sich plötzlich um, packte mich- wie ein Katzenjunges- am Nacken und schleuderte mich an die nächste Wand. Mit einem dumpfen Aufprall schlug ich auf. Sämtliche Luft wurde aus meinen Lungen gepresst und ich stöhnte gequält auf, ehe ich mich wieder aufrappelte, ein Grinsen aufsetzte und mich wieder in Position brachte. »Gute Reflexe«, bemerkte ich anerkennend und hielt mir kurz die Seite. Schmerz durchzuckte mich und als ich an mir hinab sah konnte ich ein ziemlich großes Stück Holz sehen, das bestimmt ein paar Zentimeter tief in meinem Fleisch steckte. Angeekelt verzog ich das Gesicht, als ich es mit einem Ruck herauszog und unterdrückte dabei einen Schmerzensschrei. Der Scheiß tat schlimmer weh als mein Kopf nach einer mexikanischen Nacht mit lauwarmen Tequila ohne Zitrone oder Salz, aber das Adrenalin in meinem Blut machte es mir zumindest etwas leichter damit klar zu kommen.
Der Hagere nickte nur kurz dankend und runzelte dann die Stirn, ehe er mir seinen Namen preisgab und meine Welt aufhörte sich zu drehen.
»Du müsstest meinen Namen doch kennen. Schließlich kennst du mich von allen, die ich jemals gekannt hatte am besten, Weib. Oder erkennst du deinen eigenen Angetrauten Ehemann etwa nicht wieder?« Ein grausames Lachen entfloh seinen dünnen Lippen und ehe ich mich versah, wurde ich auch schon gegen die nächste Wand gedrückt. Mit festem Griff umklammerte er meinen Hals und drückte seinen Lendenbereich gegen meine Hüfte. »Wenn ich mich recht entsinne, haben wir unsere Ehe nie offiziell vollzogen, oder? Wie denn auch, wenn du mich nur Stunden nach der Trauung vergiftet und mich all meiner Waffen beraubt hast? Aber das ist natürlich alles längst vergangen, ich bin mir sicher du hattest seither schon viele andere, die du Hexe um deinen Finger gewickelt und ausgenutzt hast. Bestimmt hast du jetzt schon einiges an Erfahrung gesammelt... Was hälst du davon, wenn wir unsere Hochzeitsnacht jetzt nachholen? Ich trage dich sogar über die Schwelle«, schnurrte er lächelnd und leckte über mein Gesicht. Angewidert versuchte ich ihn von mir herunter zu bekommen, doch er war stärker als er aussah und ich schaffte es nicht. Es war kaum möglich den irren Ausdruck in seinen Augen zu beschreiben und langsam bekam ich es mit der Angst zu tun. Vor mir stand mein Ehemann. Den ich schon vor Tausenden von Jahren getötet hatte und mein schlimmster Alptraum. Tormod- er war ein grausamer Mann gewesen und als Vater mir von der angezettelten Ehe erzählte, beschrieb er ihn als einen netten jungen Mann, der ihm nur allzu gerne in den Arsch kroch, um sich einen Vorteil zu beschaffen- in diesem Fall, sicherte er sich so einen Platz in den Reihen meines Vaters und damit an der Spitze der Hierarchie. Schon bei unserem ersten Treffen hatte ich seine Hinterlistigkeit bemerkt und von da an alles daran gesetzt die Heirat zu verhindern; erfolglos. Ihn in unserer Hochzeitsnacht zu vergiften, war zwar mindestens genauso hinterlistig wie er, aber ein notwendiges Übel. Wäre es nach mir gegangen hätte ich diesen schleimenden Kotzbrocken lieber erstochen doch meine Begleiterinnen hatten mir zu einem Giftmord geraten. Es war unauffällig und niemand hatte mich je verdächtigt, da alle wussten, da ich niemals so feige wäre einen Giftmord zu begehen. Ich liebte das Risiko und das Adrenalin und den Blutrausch des Kampfes.
»Na, hast du deine Zunge verschluckt? Sonst warst du immer die erste, die ihr vorlautes Maul aufgerissen hat und mir eine deiner diesen Bemerkungen reingewürgt hat, wo es nur ging«, sein anfänglicher Hohn war zu purer Wut umgeschwungen und es schien fast so, als wäre er mittlerweile mehr interessiert daran, Rache auszuüben und meinen Stolz zu verletzen, als mit mir zu kämpfen oder die verhängte Strafe zu vollstrecken. Ein absoluter Schwachpunkt: der verletzte Männerstolz eines Kelten konnte zu einer tödlichen Waffe werden, wusste man wie man damit umzugehen hatte. Und ich konnte nur hoffen, dass ich in der Lage war, damit umzugehen.
»Tormod. Du weißt genauso gut wie ich, dass es ein notwendiges Mittel zum Zweck war, dich zu töten. Du standest meinen Plänen und meinem Kampf im Weg... Ich bereue nichts. Man stellt sich niemals in den Weg einer Saorla und versucht sie von einem Kampf abzuhalten, auch nicht wenn man ihr angetrauter Ehemann ist, das solltest du wissen«, stichelte ich röchelnd und versuchte verzweifelt seinen Griff um meinen Hals etwas zu lockern. Tormods Miene erstarrte und seine Maske der Wut begann zu bröckeln. Unter dieser Maske kam sein wahres Gesicht zum Vorschein und vor mir stand plötzlich ein völlig anderer Mann. Seine Schultern hingen schlapp an ihm herab und auf seinem Gesicht konnte man all seine über die Jahre angestaute negative Energie mehr als nur deutlich erkennen.

AìnfeanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt