S I E B Z E H N

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»Fean, hör auf zu starren und komm endlich- wir müssen hier weg. Am Ende bemerkt dieser komische Neàmh uns noch«, wisperte Coinìn unruhig und versuchte mich zum Gehen bewegen. »Nur kurz noch...«, murmelte ich wie hypnotisiert von Neàmh's Antlitz. Als hätte er mich gehört hob der Hüne plötzlich den Kopf und sah in meine Richtung- konnte er mich etwa sehen? Aber wie? Wie ein Raubtier auf der Lauer sah er mich an- beziehungsweise er sah den Spiegel an, hinter dem ich verborgen war- und legte den Kopf schief. Es erinnerte ein bisschen an einen Raubvogel, der seine Beute mit schief gelegtem Kopf musterte und den Moment des Sieges genoss, ehe er sie fraß. »Hallo Aìnfean«, hörte ich ihn sagen. Seine Stimme war nicht mehr als ein tiefes Grollen, das tief aus seinem Brustkorb zu kommen schien und der lauernde Blick in seinen dunklen Augen verstörte mich. Er wirkte so animalisch... so angsteinflößend... und doch war ich fasziniert. »Ich hätte nicht von dir erwartet mich in meinen privaten Gemächern aufzusuchen- aber anscheinend bist du ungeduldiger als ich dachte«, fuhr er fort und stellte sich direkt vor den Spiegel. Fast sanft legte er seine Hand auf das Glas des Spiegels und lächelte- es war ein grausames Lächeln, dass einem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Coinìn neben mir schnappte erschrocken nach Luft und zerrte jetzt wie ein Besessener an meinem Arm, um mich zum Gehen zu bewegen, doch ich konnte nicht. Ich war wie erstarrt. »Konzentrier dich, er hat irgendwas mit dir gemacht... du bist in Trance- Fean, wach auf!«, hörte ich Coinìns Stimme dumpf. Mein Kopf schien wie aus Watte und ohne dass ich es wollte ging ich einen Schritt nach vorne, näher an Neàmh heran. Und mitten in mein Verderben- dachte ich.
Neàmhs Augen waren wie zwei funkelnde Diamanten-Diamanten, geformt aus tiefster Dunkelheit, und ich hatte das Gefühl, der Teufel höchstpersönlich würde vor mir stehen. Dieser Neàmh hatte nichts von dem Neàmh, der Coinìn im Wald geholfen hatte und er hatte auch nichts von dem Neàmh, den ich im Aufzug geküsst hatte- dies war eine Seite an ihm, so dunkel, dass es mir den Atem raubte... und doch faszinierte es mich. Was war mit ihm geschehen, dass in seinen Augen eine solche Finsternis lauerte? Und als hätte er meine Neugierde um das Geheimnis seiner Augen gespürt huschte für einen Moment so etwas wie Verwirrung über sein Gesicht, ehe er dem Spiegel vor sich ein gruseliges schiefes Lächeln schenkte und dann aus dem Raum verschwand.
Was war denn jetzt los? Zuerst diese gruselige Ansage oder was immer das gewesen sein sollte und dann das? Irgendwas stimmte doch nicht mit diesem Typ...
»Fean, er ist weg... können wir jetzt auch endlich mal gehen?«, Neàmh schien Coinìn eine ganz schöne Angst einzujagen. Wir liefen weiter- schweigend, jeder hing seinen eigenen dunklen Gedanken nach. »Coinìn, was stimmt mit diesem Kerl nicht? Im einen Moment rettet er dich, dann verschwindet er einfach so... er küsst mich und ist total dominant und dann jetzt das eben. Das war ja wohl der Teufel höchstpersönlich oder?«, brach ich die Stille. Coinìn zuckte mit den Schultern. Dann erwiderte er unsicher: »Vielleicht ist er besessen? Oder dieses Schloss hier ist voller negativer Energie, wie damals diese Geisterbahn... oder er hat einfach nur eine gespaltene Persönlichkeit«, wieder zuckte er mit den Schultern, wie um zu verdeutlichen, dass es alles nur Theorien waren. Ich seufzte resigniert und stapfte weiter den Gang entlang- die ekligen Spinnweben streiften immer wieder mein Gesicht und ich kniff jedes Mal die Augen gequält zu, wenn sie mich berührten... widerlich. »Wie weit noch?« Coinìn zuckte mit den Schultern, dann hörte ich ihn plötzlich lachen. »Ich hatte gerade ein Déjà-vu. Erinnerst du dich an die unterirdischen Gänge in Russland? Das hier ist genau dasselbe...« Ich konnte das traurige Lächeln, das er auf den Lippen haben musste, direkt hören. Damals in Russland hatte er einer der Töchter des Zaren sehr nahe gestanden. Natürlich hatte sie das Attentat auf die Familie trotz seinem Schutz nicht überlebt und ich durfte den schwer verletzten Coinìn- er hatte für sie mehrere Kugeln abgefangen- durch die grausigen Geheimtunnel unter dem Palast bis raus aufs Land schleppen. Er hatte an diesem Tag nicht nur seine Geliebte verloren, sondern auch sehr viel Blut. Der einzige Grund warum er noch hier vor mir stand war, dass ich zu der Zeit viel mit dem Arzt der Zarenfamilie zu tun hatte und mir dieser eine Art "Ausbildung" ermöglicht hatte. »Was gibt's da zu lächeln, du wärst damals beinahe gestorben«, brummte ich gequält von der Erinnerung an den Moment in dem ich förmlich hatte spüren können, wie nah er damals dem Tod gewesen war. »Ach komm, beschwer dich nicht- ich lebe schließlich noch oder? Außerdem brauchst du mir was das Fast-Sterben angeht gar nichts erzählen. Du sirbst mir ständig weg und bringst dich gefühlt jede Woche in eine neue Situation, aus der kein normaler Mensch einen Ausweg finden würde«, erwiderte er nur müde. Wir liefen schon seit einer Ewigkeit durch diese Gänge- bestimmt hatten wir uns verlaufen. So ein Scheiß aber auch! Ich schaute auf meine Uhr- es war schon fast fünf... Als ich das Coinìn sagte zuckte er nur mal wieder mit den Schultern und grinste blöd. »So verbringen wir wenigstens mal wieder Zeit zusammen, so wie früher. Bevor du diesen blöden Job angeboten bekommen hast. Seitdem muss ich jeden Tag um dein Leben fürchten, man weiß ja nicht wie oft du noch sterben kannst ohne dass es Konsequenzen hat«, erzählte er, ehe er mich in einen weiteren Gang stieß und wir plötzlich in einer kleinen Höhle waren. Ich könnte mein Ohr verwetten, dass die Festung mehrere Kilometer vom Meer entfernt war, doch hier standen wir in einer Höhle, an deren Ausgang die Wellen des Meeres immer wieder Wasser hineinspülten- jedes Mal wenn eine weitere Welle gegen die Öffnung rauschte. Es war eine atemraubende Prozedur dem Wasser zuzuschauen und Balsam für meine Seele. So lange hatte ich das Meer nicht mehr gesehen, den Geruch nach Salz und die umwerfende Geräuschkulisse... ich war im siebten Himmel. Glücklich lief ich in die Mitte der Höhle und drehte mich lachend im Kreis- es war so befreiend und ich fühlte mich so frei wie noch nie. Aus dem Augenwinkel sah ich Coinìn, der sein Handy gezückt hatte und mich filmte, doch es war mir egal. Alles um mich herum war in den Hintergrund gerückt und ich nahm nur noch das Meer wahr. Es war so wunderschön. Kaum zu glauben, dass die Menschen es so verschmutzen konnten ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Früher war es den Menschen noch wichtig gewesen aus der Natur nur zu nehmen, was man brauchte und den Göttern dafür zu danken, dass sie halfen die Welt so zu erhalten, wie sie war und dafür zu sorgen, dass alles im Gleichgewicht blieb. Man achtete die Natur- verehrte sie als die höchste Macht, die es gab. Die Natur hatte schon immer die Macht gehabt über Leben und Tod entscheiden zu können, sie war nur leider ein viel zu gütiges Wesen und unternahm nun nichts, um die Menschen und ihre Zerstörungswut aufzuhalten. Und ich war nicht besser- ich verpestete die Umwelt mit meinem Chevy, der mir so viel bedeutete, und mit all dem technischen Schnickschnack wie Handys, Computer und Fernseher... Ich war wirklich ein schrecklicher Mensch... oder eben ein schlechter Fae. Ich stoppte. »Coinìn? Bin ich ein schlechter Fae? Ich meine ich benehme mich genauso rücksichtslos wie die Menschen, verpeste die Umwelt durchs Autofahren und alles...«, fragte ich leise. Ich bekam keine Antwort. Na toll! »Coinìn?«, fragte ich erneut und drehte mich in die Richtung in der er zuletzt gestanden hatte-
...hatte.
An der Stelle an der er gestanden hatte, lag nun eine langstielige weiße Rose mit dunkelroten Flecken auf dem Boden, bei näherer Betrachtung könnte ich erkennen, dass es kleine Blutstropfen waren. Was sollte das? Wollte Coinìn mir damit Angst einjagen? War er ohne mich weitergegangen? Oder war ihm etwas zugestoßen?

AìnfeanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt