E L F

317 35 0
                                    



Ich starrte ihn weiter an. Wie hätte er das mit seinen Pupillen gemacht? Sie waren vor ein paar Sekunden noch senkrecht gewesen, wie die einer Katze oder eines Reptils- was war dieser Kerl nur? »Hab ich was im Gesicht?«, fragte Néamh nun und tastete sein Gesicht ab. Blätter und Erde rieselte aus seinen Haaren, als er durch sie hindurch strich, dann stand er auf und klopfte sich den Dreck von der Hose. Sein Oberkörper war mit demselben Flaum bedeckt, der auch seine Hand überzogen hatte, mit dem kleinen Unterschied, dass er hier einen goldenen Schimmer hatte und langsamer verblasste, als der auf seinem Handrücken. Und während ich seinen Oberkörper weiter musterte, fiel mir erst auf, wie muskulös er war- auf den ersten Blick würde man das nicht denken, da er bisher eher weite Kleidung getragen hatte und damit alles bedeckt hatte. Und auch die drei breiten Furchen, die quer über seinen Brustkorb verliefen, als hätte ein wildes Tier ihn verletzt, hätten eigentlich nicht übersehen werden können, wäre ich davor nicht so abgelenkt gewesen von dem seltsamen Flaum. Woher er diese Narben wohl hatte?  »Deine Hand. Du hast Coinìn mit Blutmagie geheilt- machst du das öfter?«, fragte ich nun, ohne auf seine Frage einzugehen. Kurz konnte ich eine Regung in seinen Augen entdecken- Verunsicherung? Verärgerung? Ich konnte es nicht zuordnen, da er sich sofort wieder verschloss und es mit einem kleinen Lächeln überspielte. »Blutmagie ist mittlerweile soweit ich weiß verboten, meine Liebe. Ich bin niemand der gerne gegen das Gesetz handelt«, wich er aus. Er redete um die Wahrheit herum, war er ein Elf? Jedermann wusste doch, dass Geschöpfe wie Elfen und Feen nicht lügen konnten. Und er hatte weder gelogen noch die Wahrheit gesagt, er hatte um die Wahrheit herum geredet und diese Eigenschaft, die Feen und Elfen besser beherrschten als jeder andere. Aber er hatte nichts, das ihn als eine Elfe oder Ähnliches ausmachen würde... seltsam. Vielleicht log er auch einfach nicht gerne? Besser ich sprach ihn gar nicht erst darauf an.
»Wie geht es deinem Seelengefährten?«, fragte Nèamh mich leise und bedeutete mir, mit ihm wieder zum Auto zu laufen. Ich zuckte nur mit den Schultern und lief wieder zum Fenster der Praxis. Coinìn lag immer noch regungslos auf dem Tisch, während der Doktor mit einem Strauch Kräuter über seinen Körper wedelte. Um ihn herum standen jetzt große Vasen mit einer brennenden Flüssigkeit herum und verbreiteten bis hier nach draußen einen unangenehm beißenden Geruch. Es roch, wie eine Mischung aus Schwefel, Zimt und verwesendem Fleisch- widerlich!
»Dieser Mann ist weise. Er benutzt die Exkremente von Trollen, als desinfizierendes Gas«, murmelte Nèamh geistesabwesend und fuhr sich mit der unverletzten Hand über die mit den Schnitten. Leise hörte ich ihn weitere Worte murmeln, doch ich verstand es nicht, da Coinìn sich nun aufbäumte, mit den Augen rollte und anfing zu schreien. Ein brennender Schmerz ging einmal durch mein ganzen Körper, dann ebbte es wieder ab- alles geschah im Bruchteil weniger Sekunden. Dann bedeutete der Arzt uns, dass wir hineinkommen sollten.
In seinen Augen stand blanke Panik, als wir den Raum betraten. »Er wird sich gleich verwandeln- allerdings ist irgendwas schief gelaufen und ich weiß nicht was!«, schrie er mir entgegen. Seine restlichen Worte wurden von einem ohrenbetäubenden Brüllen übertönt, dass nur von Coinìn kommen konnte. Ich betrat den Raum, in dem Coinìn bis eben noch auf dem Tisch gelegen hatte. Nèamh wurde vom Doktor zurückgehalten. Anscheinend konnte ich etwas, dass er nicht konnte, sonst hätte er mich nicht in den Raum gelassen. Ich sah mich um- die Vasen waren umgeworfen worden und lagen nun in Scherben auf dem Boden, die Regale, die an der Wand gestanden hatten, waren umgefallen und Coinìn lag nicht mehr auf dem Tisch. Stattdessen lag er auf dem Boden und wurde von Krämpfen geschüttelt. Ich hatte schon oft gesehen, wie er sich verwandelte und das war keine normale Verwandlung. Es stimmte, irgendetwas war schief gelaufen. Man hörte knacksende Knochen, die sich neu zusammen fügten und das immer noch präsente animalische Brüllen, dass Coinìn ausstieß. Vorsichtig ließ ich mich neben ihm nieder. Ich musste objektiv bleiben, was könnte ihm helfen? Sacht legte ich meine Hand auf seinen Kopf und fing an auf ihn einzureden, in der Hoffnung, dass er mich hören könnte und ich ihm die Verwandlung so erleichtern könnte. Ich tat exakt dasselbe, wie bei seiner ersten Verwandlung. Damals hatte ich geweint und geschrien, ich hatte fast zwei Stunden mit ihm auf dem kalten Waldboden gelegen und versucht ihm zu helfen. Ich war bis zum Ende dabei gewesen und das würde ich auch jetzt tun. Ich betrete seinen Kopf in meinem Schoß, strich ihm die Haare aus dem schweißnassen Gesicht und fing an ein Lied zu singen, dass sein Vater uns immer vorgesungen hatte, wenn wir abends mit dem Rudel am Feuer gesessen hatten. Es handelte vom ersten Werwolf und wie diese Rasse entstanden war. Der erste Werwolf war ein König gewesen, der den Wald mehr liebte als sein Volk. Seine Frau war deshalb so eifersüchtig, dass sie ihre eigenen Kinder im Wald aussetzte, Ihrem Mann erzählte wilde Tiere hätten sie ihr entrissen...in der Hoffnung dass der König so wieder zu Sinnen kommen würde. Ihr Plan gelang und der König wurde sich seiner Pflichten bewusst und stürzte sich aus Trauer in seine Arbeit- als grausamer Monarch führte er seine Krieger in den Krieg und fiel im Kampf. Seine Söhne, die im Wald ausgesetzt wurden, wurden von einer Wölfin, die ihre Jungen verloren hatte, aufgezogen und wurden mit der Zeit immer mehr selbst zu Wölfen. Als ein Hirte sie dann fand, waren sie kaum mehr menschlich und erlernten dann mithilfe des Hirten wieder, wie es war, als Mensch zu leben. Bis heute haben sie nicht vergessen, dass du Wölfin sie aufgezogen hatte und sind seither als Wandler bekannt. Jeder Werwolf hat einen seelisches Band zu einem Menschen durch den Treueschwur, um an die Hilfe des Hirten zu erinnern, und eine seelische Verbindung zu ihren wölfischen Vorfahren und der Wölfin, die die ersten Werwölfe als ihre eigenen Kinder aufgezogen hatte. Im Gegensatz zu den Wandlern, die ihre Verwandlung in verschiedene Tiere meist ermöglichen, indem sie ein physisches Band mit einem Tier eingehen (oft erzwingen sie es auch, wenn das Tier nicht freiwillig zustimmt) und so die animalische Seite mit ihrer Menschlichen teilen. Nur die wenigsten Wandler haben eine natürliche Verbindung zu ihrem Ursprung, wenn dem so sei, nennt man sie "Vollblüter". Coinìn war der erste und einzige Vollblüter den ich bis jetzt kennengelernt hatte, was aber daran lag, dass wir in einer Zeit geboren wurden, in der man im Einklang mit der Natur lebte und sie nicht ausnutzte, wie die Wandler, die ein Tier durch Zwang an sich banden. Zu unserer Zeit gab es auch noch Tiere, wie Greifen und ähnliches- es war schwer einen zu Gesicht zu bekommen, aber nicht unmöglich. Ich erinnere mich noch gut daran, dass Coinìn und ich als Kinder einmal fast eine ganze Woche im Gebirge verbracht haben, um einen sehen zu können- es waren wunderschöne majestätische Tiere, die uns allerdings trotzdem unheimlich Angst gemacht hatten.
Coinìn röchelte. Sein Körper hatte aufgehört sich schreiend in Krämpfen zu schütteln und ich konnte beobachten, wie das Fell, dass seinen Körper bedeckt hatte, verschwand. Seltsam, er verwandelte sich also doch nicht? Auch die Wunden, die bis eben noch auf seiner Haut zu sehen waren, verschwanden langsam und er fing an regelmäßiger zu atmen. »Coinìn?«, flüsterte ich leise und strich ihm eine Stähne aus der Stirn. Er schlug die Augen auf. Es waren nicht die gewohnten schönen grünen Augen, die er eigentlich hatte. Seine Augen waren wie flüssiges Gold und seine Iris schien sich um die senkrechten Schlitze zu bewegen, die er nun statt der menschlichen Runden Pupillen hatte. Es war bizarr aber sah wunderschön aus- aber wie kam es dazu? Selbst als Wolf behielt er seine grünen Augen und nun waren sie golden? Das konnte nicht normal sein, aber ich wusste, dass es nicht am Doc liegen konnte, da dieser diese Art der Magie niemals beherrschen konnte. Vielleicht war es ja eine Nebenwirkung von Nèamhs Blutmagie? Auf diesem Themengebiet kannte ich mich zu wenig aus, ich würde ihn fragen müssen. Er schuldete mir mittlerweile Antworten auf eine ganze Menge an Fragen. Und so wie es aussah konnte ich ihm diese auch jetzt nicht mehr stellen, denn sein Schatten den ich zuvor an den breiten Schulter erkannt hatte und der während ich hier saß vor der Tür hin- und hergelaufen war, war verschwunden. Ich hoffte,dass er mit dem Doc in einem Nebenraum saß und dort auf und wartete, aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass er abgehauen war... und auf mein Bauchgefühl könnte ich mich normalerweise verlassen.

AìnfeanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt