S I E B E N U N D Z W A N Z I G

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Der Kampf ging noch nicht lange und dennoch wurde es mir langsam zu langweilig. Es war noch kein Blut geflossen und es sah auch nicht so aus, als wäre das in nächster Zeit mal der Fall- die beiden Streithähne waren sich ganz offensichtlich relativ ebenbürtig. Für einen kurzen Augenblick überlegte ich, ob ich mir Tormod einfach schnappen und den Kampf selbst austragen sollte, da ertönte plötzlich eine Stimme.
Es war eine wunderschöne dunkle Stimme, sanft wie Seide und dennoch rau wie Schmirgelpapier. Zu wem diese Stimme gehört, konnte ich nicht ausmachen, ich sah allerdings Lilith wieder, die mit weit aufgerissenen Augen auf dem Boden kniete und fasziniert ins Leere starrte- was war denn mit der passiert?
Unruhig suchte ich weiter nach der Quelle der Stimme, doch alles was ich sah, waren die Bewohner der Hölle, wie sie gebannt und wie in Trance auf ihren Knien oder teilweise sogar mit dem Kopf auf dem Boden herumlagen. Es war ein unfassbar seltsames Bild, das sich mir da bot und mein Kichern hallte genauso wie die Faustschläge der zwei Männer neben mir unnatürlich laut in der gespenstischen Stille.
Plötzlich hörte man ein mächtiges Rauschen, wie wenn ein Sturm vom Himmel herabweht. Das Rauschen erfüllte die ganze Unterwelt, in der die Kämpfenden sich befanden.
Ein ohrenbetäubendes Geräusch und unwillkürlich hielt ich mir die Ohren zu. Ich kam mir dabei vor, wie ein Kleinkind,
»Ich bitte die zwei Kämpfenden für eine Sekunde aufzuhören, vielen Dank«, ertönte die berauschende Stimme von eben. Beim ersten Mal war es mir schwer gefallen zu verstehen was gesagt wurde, doch jetzt verstand ich es als wäre der Sprecher direkt neben mir.
Eine Hand legte sich auf meine Schulter- eine glühend heiße Hand- und ich hatte das Gefühl, die brannte sich durch den Stoff meiner Kleidung bis in mein Fleisch ein. Seltsamerweise war es kein unangenehmer Schmerz, sondern eher ein beruhigendes Gefühl, das mich von Innen heraus zu wärmen schien.
Vorsichtig schielte ich in die Richtung, in der ich den zugehörigen Körper zu dieser Hand vermutete und schreckte zurück. Neben mir stand eine riesige schwarze Gestalt, die förmlich nur aus Muskeln zu bestehen schien. Zwei Hörner schmückten sein Gesicht, das bestimmt einst mal wunderschön gewesen war- nun schielte er mir aus grausamen Augen entgegen.
»Wer bist du denn?«, fragte ich leise und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien.
»Mein Name ist Samael. Und bitte entschuldige meinen Aufzug, ich bin es nicht gewohnt Sterbliche Gäste empfangen zu müssen.«, antwortete er, ehe die Luft um ihn herum zu flimmern begann und seine Gestalt sich veränderte. Staunend sah ich zu, wie der hässliche Dämon sich in einen großen hübschen Mann mit zwölf strahlenden und mit Kristallen und Edelsteinen besetzten Flügeln und einem sanften Gesicht verwandelte. Und plötzlich fiel es mir wie Groschen von den Augen. Nach Luft schnappend machte ich einige Schritte zurück. »Du- du bist der Kerl aus dem Christentum? Der Anführer einer himmlischen Rebellion? Die rechte Hand Satans... unterstehst du Hela?« Nach jeder meiner Fragen nickte der ehemalige Engel einmal und mit jeder Frage wuchs sein Grinsen. Er sah tatsächlich in beiden Formen, sowohl als Engel, als auch als Dämon wirklich gut aus... wenn man von seinen schielenden Augen absah. Spontan fasste ich also den Beschluss etwas mit Samael zu spielen und den zwei Streithähnen damit einen Grund zur Eifersucht zu geben, ich grinste also anzüglich und ließ einen Finger über Samaels nackte Brust gleiten. »Und wie kommt es dass ein so attraktiver Engel wie du es bist auf die Idee kam sich dem Bösen zuzuwenden?«, fragte ich also mit einer bemüht rauchigen Stimme. Samael, der eben noch meinen Finger, der immer tiefer glitt, beobachtet hatte, packte nun meine Hand und verschränkte die Finger- dann antwortete er: »Ich verlor mein Augenlicht beim Versuch die Seele eines Sterblichen in den Himmel zu holen- das ganze hatte zur Folge, dass die Engel begannen Gerüchte zu verbreiten. Es hieß, einem Engel der nicht mehr sah konnte man nicht vertrauen... mich zerfraßen die Selbstzweifel und der Hass- auf mich selbst und auf die Anderen. Und dann hörte ich seine Stimme und er bot mir die Zusammenarbeit an. Jetzt bin ich Satans zweite Hand und war nie glücklicher.« Sanft führte er unsere verschränkten Hände an seinen Mund und hauchte einen zarten Kuss auf meinen Handrücken. Der sanfte Ausdruck seiner strahlenden Augen brachte mich um den Verstand und ich konnte nicht anders, als mädchenhaft zu kichern. Kaum dass der ungewohnte Laut meinen Mund verlassen hatte, schlug ich mir entsetzt die Hand vor den Mund- Samael quittierte das ganze mit einem Schmunzeln. Dass direkt neben uns bis vor Kurzem noch ein Faustkampf stattgefunden hatte, hatte ich komplett ausgeblendet, bis ich ein Räuspern hörte. Zwei Augenpaare musterten mich und Samael wütend. Néamh hob provozierend eine Augenbraue und fragte dann: »Genug geschmust, Prinzessin. Es wird Zeit dass wir von hier verschwinden... du hast ja hoffentlich nicht vorgehabt mit diesem Dämon anzubandeln oder?« Sein Shirt- wo die Rüstung hinverschwunden war, wusste ich nicht- hing zerfetzt an seinem Oberkörper und er hatte überall Kratzer. Seine Augenbraue war aufgeplatzt und als er meine Musterung spürte und sah, dass ich mich nicht rührte, spuckte er Samael vor die Füße- eine unfassbar respektlose Geste. Böse funkelte ich ihn an und realisierte dabei nicht einmal, dass er Blut gespuckt hatte und ich mir wahrscheinlich Sorgen um den kämpferischen Krieger vor mir machen sollte.
»Saorla Aìnfean, ich bin untröstlich aber Ihr könnt uns nicht einfach so ohne weiteres verlassen«, erklärte Samael nun wieder ganz in seiner Rolle als überfreundlicher und formeller Dämon. Er hatte sogar sein Aussehen wieder dem eines Dämons angepasst, offenbar um mir zu signalisieren dass er kein Interesse mehr hatte. Es störte mich nicht sonderlich, mein Plan war es ja lediglich gewesen Néamh eifersüchtig zu machen und nicht wirklich etwas mit dem Dämon zu haben. Ich war mir außerdem fast sicher, dass man in der Unterwelt nichts von Verhütung hielt- die meisten hier waren ja eh tot und damit bestimmt unfruchtbar. Nicht dass es mich stören würde mal wieder ein Kind auszutragen und zuzusehen wie es alt wurde und vor mir starb- man könnte denken, mittlerweile hätte ich mich an den Schmerz gewöhnt, aber nein. Allein der Gedanke an all meine verstorbenen Kinder bildete einen Kloß in meinem Hals und ließ die Tränen in meinen Augen aufsteigen. Wahrscheinlich waren meine Kinder allein wegen mir hier, in der Unterwelt, gelandet weil sie für die Sünden ihrer Mutter bezahlen mussten- ich war ein schrecklicher Mensch, wenn man mich denn überhaupt als einen bezeichnen konnte. Eine einzelne einsame Träne verließ meinen Augenwinkel und bildete eine heiße Spur auf meiner kalten Haut, schnell wollte ich sie wegwischen, da spürte ich plötzlich eine eiskalte Hand an meiner Wange. Tormod, der Widerling, strich behutsam die Träne von meinem Gesicht und leckte dann genüsslich seinen Finger ab- also wären meine Tränen eine seltsame sehr leckere Süßigkeit. Wütend knurrte ich und realisierte erst jetzt, dass ich offenbar wirklich tief in meinen depressiven Gedanken über meine verstorbenen Kinder festgehangen hatte und das für bestimmt ein paar Minuten. Néamh starrte mich besorgt an, der Dämon dagegen hatte den Kopf nachdenklich schief gelegt und man konnte die Räder in seinem Kopf förmlich rattern hören- woran er wohl dachte?
»Saorla Aìnfean, was genau haben Sie da eben gemacht?«, fragte er dann aufrichtig interessiert.

AìnfeanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt