D R E I S S I G

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Laut ließ sie die Luft durch ihre Zähne ausstoßen und breitete die Hände zu einer theatralischen Geste aus. Sie setzte an, räusperte sich und machte eine eine Kunstpause- offensichtlich um die Dramatik zu steigern. Dann offenbarte sie mir: »Das kann ich dir noch nicht sagen, dafür müssen wir noch einen Moment warten«, dabei sah sie demonstrativ auf ihr leeres Handgelenk und tat, als würde sie die Uhr lesen wollen. Auf meinen fragenden Blick hin machte sie eine wegwerfende Handbewegung und sagte: »Das ist eine reine Gewohnheit, auf mein Handgelenk zu schauen, dieser Körper hat die Welt der Lebenden noch nicht lange verlassen und dementsprechend noch nicht alle menschlichen Gewohnheiten abgelegt.« Da ich absolut keine Ahnung hatte wovon genau sie sprach, nickte ich einfach nur verständnisvoll und wollte mich zum Gehen wenden- sie hatte schließlich gesagt wir müssten noch warten und freiwillig würde ich sicher nicht in diesem winzigen Raum warten. Dummerweise war die Tür hinter uns zugefallen, eine Klinke gab es im Inneren nicht. Ich war also gezwungen mit diesem kleinen widerlichen Mädchen Zeit zu verbringen, bis sie der Meinung war sie würde mir erzählen, wovon zur Hölle sie redete. Das hatte sie absichtlich gemacht!
»Ich sehe, du hast bereits bemerkt, dass es erstmal keinen Ausweg aus dieser Situation gibt... du bist tatsächlich nicht ganz so verblödet wie ich immer dachte. Offenbar war meine Observation nicht gründlich genug«, murmelte sie hinter mir vor sich hin und begann ein Blatt vollzukritzeln. Dann schnappte sie sich zwei Reißzwecken; die eine nutzte sie um das Stück Papier an der Hand aufzuhängen, die andere warf sie nach mir. Beim Versuch sie zu Fangen bohrte sich die Nadelspitze durch die Wucht ihres Wurfes in meine Handinnenseite. Ein kleiner Tropfen dunkelroten Blutes fiel auf den schönen hellen Marmorboden und verdampfte, nachdem die Göre mit ihrem Finger darauf deutete. Sie schmatzte ein paar mal, schnappte sich einen neuen Zettel und schrieb in krakeligen Druckbuchstaben eine große Null und daneben das Wort NEGATIV. »Ist das meine Blutgruppe?«, fragte ich schockiert. Wie immer sie das gemacht hatte, es war wirklich verdammt gruselig und bestätigte nur umso mehr, dass ich für sie eine wahre Obsession  darstellte. Ich selbst wusste nicht einmal, was meine Blutgruppe war, da ich niemals bei einem menschlichen Arzt war und die meisten Übernatürlichen einen speziellen Stoff zusätzlich in ihrem Blut hatten, sodass Bluttransfusionen niemals ein wirkliches Problem darstellten, da dieser Stoff ermöglichte mit anderen Blutgruppen kompatibel zu sein, solange dort auch dieser Stoff enthalten war. »0-negativ schmeckt von allen Blutgruppen am süßesten, aber derartiges kannst du ja nicht wissen... ich kann mich zumindest nicht daran erinnern dass du jemals das süße Blut eines Lebenden gekostet hast. Hier bei uns ist es eine Delikatesse- nicht das Menschenblut, das der Übernatürlichen. Und je seltener die Art desto teurer ist es zu bekommen«, offenbarte sie mir plötzlich. Schon öfter hatte ich davon gehört, dass das Blut übernatürlicher Wesen einen bestimmten Rausch verursachen konnte, wenn man es in der richtigen Dosierung und auf die richtige Art und Weise nahm. Ausprobiert hatte ich das natürlich nie, Blut war etwas von Grund auf heiliges für mich. Das Blut war der Ursprung der Magie, die in jedem Wesen herrschten. Selbst die Menschen besaßen diesen Funken Magie, der in ihrem Blut floss und in allem was lebte und was jemals gelebt hatte. Dieser Funken Magie bewirkte, dass es überhaupt möglich war zu leben. All die wissenschaftlichen Erkenntnisse stimmten zwar, dennoch würden all diese Dinge niemals ohne Magie funktionieren. »Ich frage mich wie viel dein Blut wohl wert wäre...«, überlegte sie schließlich. Sie legte ihren Kopf leicht schief und führte einen ihrer kleinen Finger an den Mund, dann schloss sie die Augen. »Was würde ich dafür geben Dir ein paar Liter abzuzapfen und meinen Mundschenk zu beordern es zu schätzen. Aber wir brauchen dein Blut noch und dich bei vollen Kräften- Blutabnehmen schwächt den Körper ja bekanntlich und ich habe immer eine derartige Freude daran andere ausbluten zu lassen, ich könnte zu weit gehen. Andererseits würdest du einfach wieder aufwachen, sollte ich dir all dein Blut abnehmen... theoretisch zumindest.« Es schien, als wolle sie gar nicht mehr aufhören über mich und mein Blut zu reden. Aus purer Langeweile und um mich abzulenken, drehte ich mich einmal um die eigene Achse und begann erneut die kleinen Kärtchen und Notizen zu lesen, die hier verteilt waren. Zu meinem Erstaunen stellte ich bald fest dass nicht alles hier von mir handelte- zwar überwog der Teil über mich, dennoch waren hier auffällig viele Notizen, die mit Néamh zu tun hatten und sich um ihn und seine Vergangenheit drehten. Viele der Notizen waren in fremden Sprachen wie Altgriechisch, Latein oder in Runen geschrieben, dennoch wusste ich innerhalb von Minuten mehr über ihn als er je über mich erfahren könnte- es gab bei ihm allerdings auch um einiges weniger, was man erzählen könnte. Er wurde in etwa zur gleichen Zeit wie ich in den schottischen Highlands geboren und wuchs dort in einer kleinen Gruppe mit anderen Übernatürlichen auf, bis er schließlich von einem hochangesehenen Kelten ein Angebot bekam. Er sollte einen Bluteid abschliessen, die Tochter des Kelten zu beschützen und ihr und sein Leben für immer zu verbinden. Mithilfe des Gottes Latobi wurde Néamh in einen tiefen Schlaf versetzt, aus dem er erst aufwachen würde, wenn die Tochter des Kelten seine Hilfe am meisten benötigte. Und während sich in meinem Hirn noch die Rädchen drehten und ich begann all die Puzzleteile zusammenzusetzen, ertönte vor der Türe plötzlich ohrenbetäubender Lärm und Kampfgeräusche. Irgendjemand hatte sich Zugang zur Festung verschafft und kämpfte sich nun durch die Wachen und jeden der sich in den Weg stellte bis zum Thronsaal. Mein erster Gedanke galt Coinìn, aber er würde niemals derart auffällig und laut vorgehen, sondern eher diskret, leise und aus dem Stillen und versteckten heraus. Also war, wer immer sich da durch die Reihen kämpfte nicht wegen mir da- natürlich! Wie konnte ich auch immer so egoistisch sein und denken, dass sich alles nur um mich drehte? Bestimmt waren es einfach nur irgendwelche Rebellen oder Diebe, die in den Thronsaal wollten, um dort zu plündern und Chaos zu stiften. Trotzdem hörte ich gebannt zu und achtete gleichzeitig auf jede noch so kleine Reaktion des kleinen Mädchens. Zuerst schien sie erbost über den Krach, doch jetzt schien es fast so als lächelte sie. Ja, es lag definitiv ein Lächeln auf ihren Lippen und ließ sie noch unschuldiger wirken als ich für möglich gehalten hätte. »Scheint, als bekämen wir Besuch... dann ist die Zeit wohl reif, nicht?«, mit diesen Worten klatschte sie zweimal in die Hände, woraufhin sich die Tür zur Kammer wieder öffnete. Sie hatte die Hände noch erhoben, da war ich schon aus dem Raum heraus gehuscht, hatte die Tür hinter ihr zugeschlagen und wollte durch den Thronsaal in Richtung Ausgang rennen, als es mir auffiel. Ich befand mich nicht mehr im Thronsaal. Der Raum war architektonisch identisch, die Inneneinrichtung erinnerte jedoch eher an das klischeehafte Bild des Labors eines verrückten Wissenschaftlers. Das Highlight des Raumes stand wie selbstverständlich in der Mitte: eine Art X-förmliche Liege aus Leder mit Fuß- und Handfesseln, die umgeben waren von seltsamen großen Maschinen mit mehreren Satellitenschüsseln und vielen kleinen Knöpfen. Um dem Ganzen noch eins oben draufzusetzen hatte man einen riesigen Käfig um alles gebaut und genau in diesen Käfig war ich blindlings gelaufen, in der Hoffnung ihr entfliehen zu können. Schöne Scheisse! Noch stand die Tür des Käfigs allerdings offen, wenn ich Glück hatte, dann könnte ich sie vielleicht in den Käfig locken und dort einsperren. Meine Chancen waren zwar wirklich gering, aber ich hatte bisher immer einen Ausweg aus brenzligen Situationen gefunden, also würde ich es hier auch schaffen. Es waren nur noch zwei Schritte bis zur Tür des Käfigs und ich hatte meine Hand schon danach ausgestreckt und wollte sie weiter aufdrücken, da wurde ich plötzlich nach hinten geschleudert und etwas schweres landete auf mir. Offenbar hatte jemand mit etwas nach mir geworfen... oder mit jemandem. Auf mir lag ein blutüberströmter Néamh, der sich stöhnend seinen Kopf rieb. Als er erkannte, wer da unter ihm lag sprang er auf und stolperte einige Schritte zurück. »Fean, e-es-es tut mir leid. Ich hätte mich nicht so in diesen Kampf mit deinem Ehemann hineinsteigern dürfen, aber es ist meine Aufgabe dich zu schützen. Ich fange nur langsam an zu zweifeln, ob ich dazu überhaupt in der Lage bin. Es fühlt sich an, als würde ich dich nur noch mehr in Schwierigkeiten bringen, anstatt-«, abrupt wurde er unterbrochen, da der kleine blondgelockte Giftzwerg mit lauter Stimme um Ruhe bat.
»Danke, dass ihr jetzt leise seid- für Gefühlsduseleien dieser Art haben wir keine Zeit. Ich werde euch kurz und schmerzlos erklären, was es mit diesem wunderhübschen Käfig auf sich hat. Dieser Käfig wurde speziell für euch zwei angefertigt und hat nur einen einzigen Zweck: dass ihr euch vereinigt. In jedem Sinne, das heißt sowohl auf körperlicher, als auch mentaler Ebene- die seelische Ebene miteinzubeziehen wird nicht nötig sein, da eure Seelen... naja, was rede ich denn hier! Lasst uns lieber anfangen, es macht doch immer mehr Spaß Dinge zu demonstrieren und visualisiert darzustellen, nicht?« Und dann begann es.
Die schlimmsten und gleichzeitig schönsten Stunden, die ich in meinem Leben jemals erlebt hatte.

AìnfeanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt