Vom Zittern, Warten und Ankommen

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*POV Tobi*

Auf dem Weg nach oben zu Stexperts Wohnung im fünften Stock nahm ich zwei Stufen auf einmal. Mich hätten nicht 10 Pferde dazu bringen können dort einzuziehen, so ganz ohne Fahrstuhl, Tim hingegen meinte aber die Treppen kämen ihm sogar gelegen, er könne das super in sein morgendliches Aufwärmprogramm integrieren. Wie er allerdings den größten Sturkopf und Jammerlappen des Universums dazu gebracht hatte der Wohnung ebenfalls zuzustimmen war mir noch immer ein Rätsel. Ich tippte auf zu guten Sex und das Entscheidungsfällen in Stegis unzurechnungsfähigster Phase. Belustigt setzte ich meinen Weg fort und grüßte im Vorbeigehen die junge Frau aus einer der Wohnungen im Dachgeschoss, die sich gehetzt wie immer an mir vorbeiquetschte. (Ich war eindeutig zu oft in diesem Wohnkomplex, dass ich nicht nur die anderen Bewohner, sondern auch deren Angewohnheiten kannte.)

Als ich, viel zu sehr aus der Puste, vor der strahlend weißen Tür ankam, brauchte ich nur einmal die Klingel zu betätigen (und nicht wie gewohnt an die viermal, bis sich endlich jemand dazu verleitet fühlte die Tür zu öffnen), bis mir ein etwas kleinerer Blondschopf schon in den Armen lag. Er hatte also tatsächlich fertig vor der Tür gewartet. "Hey, hey, Stegi, ich freu mich ja auch dich wiederzusehen!", brachte ich lachend heraus, als ich ihn ebenfalls an mich drückte. "Och Tobi, du bist doch doof.", jammerte er sogleich in seiner üblichen Stegimanier (natürlich war er nicht meinetwegen so vom Hocker, ich war ja gestern erst zu Besuch gewesen) und löste sich aus unserer Umarmung.
Erst jetzt konnte ich ihn genauer betrachten. Er trug eine dunkle Jeans, Sneaker und dazu - oh hallo - ein helles Hemd, ja der Herr der Jogginghosen hatte sich doch tatsächlich zurecht gemacht. Gerade verzog sich mein Mund zu einem beachtlichen Grinsen, doch als ich sein Gesicht musterte hielt ich inne. Ich kannte ihn bereits eine ganze Weile und wir waren schon seit Jahren beste Freunde, ich sah ihm die gemischten Gefühle an. Die Augen glänzten freudig, doch sein schmaler Körper zitterte leicht und der Mund verzog sich immer wieder zu einer unsicheren Grimasse. Wäre es nicht Stegi, der hier vor mir stünde würde ich mich vermutlich über ihn lustig machen. "Hey, was ist denn mit dir los?", fragte ich also sogleich und trat einen Schritt zurück, wir mussten uns ein wenig beeilen und so eigentlich schon los (verdammter Feierabendverkehr). "Oh Gott, Tobi, ich bin so aufgeregt! Und ich freu mich ja auch so, aber meinst du es ist vielleicht irgendwas anders als vorher? Und seh' ich gut genug aus, oder zu herausgeputzt?", sprudelte es nur so aus Stegi heraus und ich fragte mich unwillkürlich, wie er den Vormittag ohne Gesellschaft überstanden hatte. Wahrscheinlich war er die ganze Zeit auf und abgelaufen, zwischen Bad und Kleiderschrank hin und her gewuselt und hatte keinen Bissen heruntergekriegt.

Tim würde heute nach 10 Monaten im Ausland zwecks eines Praktikums wieder in Deutschland landen. Die beiden Turteltauben hatten sich die ganze Zeit nicht besuchen können und sich so mit Skypeanrufen und Telefonsex begnügen müssen (nicht nur einmal hatte ich mir Stegis Gejammer deshalb angehört). "Stegi, es ist immer noch Tim, der Dummkopf, der dich unverständlicherweise liebt bis zum Mond. Kein Grund dir Gedanken zu machen, die Klamotten behältst du doch heute Abend eh nicht lange an." Ich machte eine Pause, um ihm kurz zuzuzwinkern, doch er hatte den Blick gesenkt und die Schultern hängen lassen. Er machte sich also wirklich verrückt. "Kleiner, was soll schon passieren? Ihr werdet euch entgegen stürmen, halb aufessen und ich danke Gott, wenn ich euch voneinander losbekomme, bevor Veni um Acht bei mir vor verschlossener Tür steht." Schmunzelnd nahm ich das Nervenbündel erneut in den Arm und drückte ihn aufmunternd. "Und jetzt hopp, oder willst du, dass Tim ankommt und nur fremden Menschen in der Eingangshalle begegnet?"

Daraufhin straffte Stegi die Schultern und schüttelte entschieden den Kopf. Natürlich nicht. Gemeinsam liefen wir die Treppen runter und stiegen, draußen angekommen, in meinen dunklen Kleinwagen ein, dem ich es auch zu verdanken hatte bei dem Theater mitmachen zu müssen. Denn Stegi hatte neben seinem Medizinstudium momentan zu wenig Zeit für einen Führerschein und nach eigener Aussage ebenso zu wenig Geld, wobei ich ihm das schon von Anfang an als Ausrede anrechnete. Jedenfalls fehlte ihm so also erstens der Führerschein und das Auto und zweitens fand er, dass Zugfahren zu wenig Stil hatte, als dass er seinen Freund auf diese Weise nach so einer "furchtbar langen Zeit" wieder abholen wollte. Schließlich hat er dann mich gefragt und da auch ich mich freute Tim wiederzusehen habe ich kurzerhand zugesagt. Erst später war mir aufgefallen was ich damit in Kauf nahm, den hibbeligen Stegi, die vollen Straßen auf dem Weg zum Flughafen und mein Handy, was nicht mehr aufhören wollte zu vibrieren. Bis Tim in den Flieger gestiegen war, hatte er mich nicht verschont mit der Spammerei wie sehr er sich doch auf seinen Stegi freue. Letztendlich also genau das, was Stegi mir auf der Fahrt dauerhaft vom Beifahrersitz über Alligatoahs Stimme hinaus ins Ohr brabbelte, nur eben schriftlich. Doch davon würde ich den beiden nichts erzählen, immerhin nahm ich die Drohungen beider Seiten nicht auf die leichte Schulter, mir lag dann doch noch was an meinem bescheidenen Leben ("Junge, wenn du ihm was von dem erzählst, was ich hier loswerde, bist du sowas von einen Kopf kürzer. Ne Egosteigerung würde ihm überhaupt nicht gut bekommen, du hast ja keine Ahnung was ich aushalten müsste, wenn der erfährt wie sehr er mich in der Hand hat.") - Und Heiliger, das wollte ich echt nicht erfahren. Also hörte ich mir weiter still ihre Zweifel an, in dem Wissen wie unbegründet sie doch waren und warf ab und zu einige hoffentlich beruhigende Floskeln ein.

"Oh mein Gott, Tobi, ich seh' die ersten Passagiere aus seinem Flug!", gab Stegi rechts von mir von sich und bestärkte seine Aussage durch hysterisches Herumgefuchtel mit dem linken Zeigefinger. Damit war dann auch der Damm gebrochen und ich begann herzlich loszuprusten. Der Blonde warf mir lediglich einen flüchtigen Seitenblick zu, konzentrierte sich aber sofort wieder auf die Menschen, die aus dem Gate 9 strömten. Bei jedem braunen Haarschopf, der über die Menge ragte streckte er seinen Kopf in die Höhe, um besser sehen zu können, und zog ihn anschließend enttäuscht wieder ein, wenn sich jener Haarschopf als der eines anderen Menschen entpuppte. (Unwillkürlich dachte ich dabei an eine Schildkröte, aber das auszuführen wäre vermutlich ein wenig zu kurios.)
So wie wir hier also standen und zumindest Stegi sich mit Adleraugen und Giraffenhals schildkrötenartig umsah, strömten die Menschen massenweise an uns vorbei.

Als ich mich nach rechts drehte und Stegi nicht mehr da war wusste ich, dass er seinen Freund gefunden hatte und als ich mich umsah, fand ich die beiden nicht weit von mir. Stegi hatte Tim allem Anschein nach angesprungen, die Beine um dessen Taille geschlungen und klammerte sich an dem großen Dunkelhaarigen fest. Der hatte derweil eine Hand an Stegis Hintern platziert, um ihn hochzuhalten (nicht, dass er nicht auch ohne dessen Hilfe unbewegt an Ort und Stelle hängen geblieben wäre, so fest wie er sich vermutlich festkrallte) und eine an seinem Rücken, um dort langsam auf und ab zu streichen. Tim schien den Sport auch während seines Auslandsaufenthaltes nicht vernachlässigt zu haben, denn Stegi hatte in der Zeit ohne ihn doch ein wenig zugenommen. Abende alleine und voller Lernstress waren eben schlicht und einfach nicht das Wahre um sein Gewicht zu halten.

Ich sah nur Stegis Rücken, doch Tims Gesicht sprach Bände und ich war mir sicher, dass es meinem besten Freund nicht anders ging. Auf seinen Lippen hing ein breites, ehrliches Lächeln, die Augen hatte er genießerisch geschlossen. Nachdem sie eine ganze Weile so da gestanden und hier und da ein paar wenige Worte gewechselt hatten, nahm der Größere ihn an der Taille und hob ihn auf den Boden, um ihn zu küssen.
Und als ich die beiden da so stehen sah, wie sie nur Augen füreinander hatten, fragte ich mich, ob Stegi ihn je wieder freigeben würde, um mir die Chance zu geben Tim ebenfalls zu begrüßen. Aber letztendlich war es egal, mir war schon längst klar, dass für die beiden jeder Außenstehende zweitrangig war.

Und so blieb ich etwas auf Abstand, zückte mein Handy und beschloss ein Foto zu schießen, von dem stexpertigen und so unheimlich niedlichen Anblick meiner beiden Freunde, die so ungerührt beieinander standen, mitten im Flughafentrubel.

°°°

So lange her, dass ich mich hier hab blicken lassen und dann auch noch nur so ein kurzer Drabble/OS/was auch immer, der spontanerweise im Zug zustande gekommen ist. Verzeiht, aber in letzter Zeit hat mir schlicht und einfach die Motivation gefehlt, neben der Tatsache, dass sich der Schulkram nun mal nicht von alleine macht.

Vielleicht sind ja dennoch noch ein paar von euch übrig, denen mein kleines und hoffentlich wenigstens ein bisschen feines Geschreibel gefallen hat.

Lasst mir super gerne Kommentare oder auch gerne DM's mit Kritik da, ich freue mich riesig über jede Form der Rückmeldung! :)

Judelfus

Stexpert ~ Mini OS-SammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt