Ich bin nicht der, den du meinst zu kennen. | Fortsetzung

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Da es nach dem Ende wirklich naheliegt und die Maddi__13 danach gefragt hat, hier die Fortsetzung zum OS von gestern. :)


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Nervös sah der Braunhaarige auf die schlicht weiße Wanduhr. Fünf Minuten noch, dann würde Stegi durch die gläserne Eingangstür treten, soweit sich sein Zug nicht nennenswert verspätet hatte. Langsam hob er seinen Blick, ließ ihn über die Tische des Cafés schweifen, in dem er saß und richtete ihn dann abwartend durch das große Glasfenster nach draußen, beobachtete die Menschen, die sich teils gehetzt, teils tiefenentspannt einen Weg durch die Massen auf dem gut besuchten Marktplatz suchten. Er war zehn Minuten vor der abgemachten Zeit vor Ort gewesen, um sich einen Platz an einem der kleinen Tische zu reservieren, immerhin erschwerte der Rollstuhl diese Prozedur noch weiter. Abgesehen davon würde er so nicht mehr allzu sehr auffallen, nicht mehr so sehr von den Blicken der gaffenden Menschen durchbohrt werden. Den Stuhl hatte eine junge Frau bereitwillig an die Seite geschoben, scheinbar gab es doch noch Menschen, die sich auch als hilfreich erwiesen, statt nur stumm daneben zu stehen. Es war schon einige Male vorgekommen, dass er im Supermarkt Mitarbeiter ansprechen musste, ob sie ihm etwas aus den oberen Regalen reichen konnten, obwohl überall Kunden waren, die ihm genauso gut hätten helfen können, stattdessen aber lieber betreten weggeschaut und schnellstens im nächsten Gang verschwunden waren. Das schrille Klingeln der Glocke an der Eingangstür, welches sich nur schwer vom Gebrabbel der Besucher abhob, riss ihn aus seinen Gedanken. Aufgeregt riss er den Kopf hoch, musste beinahe schon paranoid aussehen, wie er seine Augen schnell über den Eingangsbereich schweifen ließ. Doch es war kein Blondschopf in Sicht, bloß ein älteres Ehepaar, welches nach kurzen Suchen und der Feststellung, dass es keine Sitzplätze mehr gab, kehrt machte und das Café ebenso schnell wieder verließ. Tims Herz schlug dennoch beachtlich schnell, er war unfassbar aufgeregt. Wusste weder, wie er sich gegenüber seinem besten Freund verhalten sollte, noch wie er ihn begrüßen würde, wenn es denn soweit war. Am liebsten würde er aufstehen und ihn umarmen, aber in seiner eingeengten, sitzenden Position würde sich das wohl als ein wenig schwieriger erweisen. Über so vieles machte er sich Gedanken, machte sich selbst nahezu verrückt, indem er all diese Situationen durchspielte und jedes Mal auf mögliche Komplikationen traf. Ganz abgesehen von der regelrechten Angst vor dem Verhalten des Blonden. Natürlich, er meinte es würde nichts ändern, er wäre ja immer noch derselbe. Aber was wäre, wenn er seine Meinung ändern würde, sobald er ihn wirklich sah? Frustriet von den ganzen Gedanken, die ihn übermannten, hob er seine Hand und fuhr sich damit durch das Gesicht. Seufzend richtete er seinen Blick in Richtung der Tür und versuchte ehrlich die Freude überwiegen zu lassen, sämtliche Sorgen zu unterdrücken. Immerhin war es Stegi, der toleranteste und treuste Freund, den er jemals hatte. Und in diesem Augenblick sah er ihn, schon außerhalb des kleinen aber dafür umso gemütlicheren Cafés, durch die gläserne Tür.

Auch der Blonde erblickte den dunkelhaarigen, jungen Mann in dem schwarzen Rollstuhl an einem Platz im hinteren Teil des Ladens. Auf seinem Gesicht hatte sich schon längst ein breites Grinsen ausgebreitet, doch er sah, dass seinem Freund unwohl zu sein schien. Es war, als könnten seine Mundwinkel sich nicht entscheiden, ob sie sich jetzt vor Freude nach oben oder vor Unwohlsein nach unten bewegen wollten. Doch je näher Stegi dem edel wirkenden Holztisch kam, desto eher schienen sie sich für den Weg nach oben zu entscheiden. Wobei es eher ein schiefes, unsicheres Lächeln war, dass dem Blonden entgegen strahlte, aber genaugenommen war es trotz allem oben. Stegi hingegen blieb konsequent während des gesamten Weges durch die wartenden Menschen bei seinem Grinsen und er meinte es vollkommen ernst. Er vergaß alle Gedanken, die er sich zuvor um die Begrüßung gemacht hatte und ging noch um den Tisch herum, auf Tims Seite, um ihm dort die Arme um den Hals zu legen und ein "Hey, Timmi." in das Ohr zu flüstern. Zugegeben, es war nicht die eleganteste Umarmung, die die beiden Freunde dort hinlegten, aber es war eine Umarmung und das reichte ihnen in dem Moment. Mit einem ebenso geflüsterten "Hey, Stegi.", seitens Tim lösten sie sich voneinander und Stegi nahm ihm gegenüber Platz. "Gut siehst du aus, ehrlich.", lachte Stegi sogleich und Tim wurde ein wenig rot um die Nase, hatte nicht damit gerechnet, dass sein bester Freund direkt so offen redete und sein Aussehen ansprach. Aber letztendlich war es gut so, denn es nahm einiges an Distanz, machte den Weg frei für ein unkompliziertes Gespräch und schien mit einem Mal ganze Barrieren zu vernichten. Also stieg Tim mit ein und entgegnete zu allererst ein "Du auch, Stegi...du auch.", während seine Augen anfingen zu glänzen und sich ein nun deutlich selbstsicheres Grinsen in seinem Gesicht breitmachte. Und so begannen sie ein Gespräch über die Zugfahrt, Tims Heimatstadt Essen, über Gott und die Welt, während sie an der erfrischenden Cola schlürften. Es war alles wie immer, nur dass sie sich voreinander sitzen hatten. Entgegen Tims Erwartungen, ließ Stegi seinen Blick nie in die Richtung seines unfreiwilligen Begleiters schweifen, sondern richtete ihn stets in sein Gesicht, hielt Augenkontakt und ließ auch Tim seinen Rollstuhl beinahe vergessen.

Stexpert ~ Mini OS-SammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt