Kapitel 3 - Regina

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Als Regina Emmas gelben Käfer von ihrem Fenster aus erspähte, ließ sie den Abwasch sofort links liegen und schnappte sich ihre Handtasche. Sie wollte selbst fahren, aber Emma hatte auf die Metallkiste bestanden.

»Geh nicht zu spät ins Bett!«, rief sie ins Wohnzimmer, wo sich Henry gerade einen Cartoon ansah. Für Regina war es noch ein bisschen ungewohnt, dass sie keinen Babysitter mehr für ihn organisieren musste. Er war alt genug.

»Wo gehst du hin?«, fragte er und legte sein Kinn auf die Couchlehne.

»Emma und ich haben etwas zu erledigen«, antwortete Regina und schlüpfte in ihren Mantel.

»Wegen dem Erdbeben, das keines war?« Henry wurde hellhörig. »Ich möchte mitkommen!«

Regina setzte sich zu ihm auf das Sofa und strich ihm über das Haar. »Das kommt nicht infrage. Du bleibst hier und gehst pünktlich ins Bett, hast du mich verstanden?«

»Ihr könntet meine Hilfe gebrauchen. Ich bin der Autor.«

»Das ist richtig. Wenn dir etwas einfällt, dann ruf mich an.« Regina sagte das nicht, um ihn ruhig zu stellen. Henry war ein intelligenter Junge und in der Tat der Autor des Märchenbuches.

»Wir brauchen noch einen Namen. Wie wäre es mit Operation Anonymus?«, schlug er vor und seine Augen weiteten sich.

»Das klingt gut.« Reginas Herz erfüllte sich mit stolz, wenn sie die Neugier in ihrem Sohn aufblitzen sah.

»Du, Mom und ich.«

Wenn Regina ihrem Kind eine Freude damit machen konnte, dass sie mit seiner leiblichen Mutter zusammenarbeitete, würde sie es immer wieder tun. Nicht nur aus diesem Grund.

******

Genervt verdrehte Regina die Augen und hielt sich am Türgriff fest, als das Auto die Straße zu Golds Laden hinauf tuckelte. Sie hasste die Urne.

»Entspann dich, der Kleine hat mich noch nie im Stich gelassen«, sagte Emma und tätschelte das Lenkrad.

»Irgendwann ist immer das erste Mal«, konterte Regina und stützte sich am Armaturenbrett ab, als Emma ruckelnd in den nächsten Gang schaltete.

»Naja, heute wohl nicht.« Brummend und unsanft kam der Käfer zum Stehen. Emma parkte das Auto ein paar Häuser vor Golds Laden, damit sie nicht auffielen und Gold keinen Verdacht schöpfte.

»Und jetzt?«, fragte Regina.

»Jetzt warten wir, bis Gold wieder seine Dunkle Magie einsetzt. Oder auch nicht.« Emma zog die Augenbrauen nach oben und setzte ein Fernglas an.

»Dafür braucht die Retterin also meine Hilfe.« Regina verschränkte die Arme vor der Brust und rutschte in eine bequemere Sitzposition. Das ganze könnte wohl etwas länger dauernd, als geplant.

»Vielleicht braucht auch die Bürgermeisterin Hilfe von der Retterin«, drehte Emma den Spieß um und biss genüsslich in den Bagel, den sie sich vor der Mission noch im Granny's geholt hatte.

Obwohl Regina tausend Sprüche durch den Kopf schossen, entschied sie sich dazu Emma am Leben zu lassen. Sie hatte es gut gemeint. Außerdem wurde es Regina warm ums Herz, wenn sie daran dachte, dass Emma sich um sie sorgte. Sie sorgte sich nämlich auch um Emma. Gleichzeitig krochen auch Zweifel in ihr hoch. Vielleicht hatte Emma auch nur ein schlechtes Gewissen, weil Hook eine zweite Chance bekommen hatte und Robin für immer tot war.

»Ich brauche keinen Babysitter«, sagte Regina trocken.

»Regina, ich weiß was du durchmachst und ich möchte für dich... da sein.« Emma sah sie mit demselben Blick an wie damals, als sie zugegeben hatte, dass sie und Regina Freunde waren.

»Du hast keine Vorstellung davon«, schnauze Regina zurück, wohlwissend, dass sie beide von unterschiedlichen Dingen sprachen. Das brachte sie dazu zurück zu rudern. »Robin ist tot und Captain Guyliner am Leben. Es ist nicht gerecht, aber es ist so und ich kann nichts dagegen tun. Ich bin es gewohnt, dass Glück nicht lange anhält. Ich habe um Robin getrauert und jetzt mache ich weiter. So wie immer. Damit ist die Sache jetzt geklärt.«

»Okay.«

»Wer kommt da aus Golds Laden?« Regina kniff die Augen zusammen um die Gestalt besser erkennen zu können. Sie trug einen Umhang und versteckte ihr Gesicht unter einer Kapuze.

Sofort zückte Emma das Fernglas. »Belle, was für eine Überraschung.«

»Bist du sicher?«

»Überzeuge dich selbst.« Emma reichte ihr das Fernglas und widmete sich wieder ihrem Essen. Es bestand kein Zweifel daran, dass es Belle war, die da aus Mr. Golds Laden huschte. Von ihr ging keine Gefahr aus.

Enttäuscht lehnte Regina sich zurück in den Sitz. Langsam wurde es etwas frisch und die Scheiben begannen zu beschlagen. »Operation Anonymus. Den Namen hat sich Henry ausgedacht.« Sie pustete in ihre Hände um sich warm zu halten.

»Er ist ein cleveres Kind.«

»In der Tat. Und er wird so schnell erwachsen.« Stille breitete sich aus und Emma hatte aufgehört wie ein am Hungertod nagendes Eichhörnchen auf ihrem Essen herum zu kauen. »Emma, es tut mir leid, dass du ihn nicht aufwachsen sehen konntest.«

»Das ist nicht deine Schuld. Ich habe ihn weggegeben. Es war meine Entscheidung und es war die richtige. Er hätte keine bessere Mutter als dich haben können.« Emma musterte ihr Essen, anstatt zu Regina aufzusehen.

»Uns. Als uns. Wir sind ziemlich-« Regina widerstand dem Drang Emmas Arm zu berühren. Es stoppte sie etwas, weil es für sie eine andere Bedeutung hätte, als für Emma.

»Einzigartig.« Emma lächelte und als sie das tat, geschah das, was Regina bereits kommen sah und vor dem sie sich seit Robins Tod am meisten gefürchtet hatte. Emma aß wie ein Kleinkind, so ungeschickt, dass ihr ein Stück Bagel in den Ausschnitt kullerte. Sie war so tollpatschig, dass sie sich am Rootbeer verschluckte und beinahe erstickte. Und manchmal sprach sie mit vollem Mund, sodass Regina sie kaum verstehen konnte. Aber all diese Dinge machten Reginas Welt mit einem mal bunter, als hätte sie Jahrhunderte lang in einem Schwarzweißfilm festgesteckt. Ihr Magen zog sich zusammen. Instinktiv fasste sie sich ans Herz, weil sie es nicht gewohnt war, dass es so stark pochte. Dabei fiel ihr auf wie sehr ihre Hände schwitzten. Sie wollte etwas sagen, eine sarkastische Bemerkung machen. Stattdessen schmunzelte sie und konnte nicht aufhören. Erst dann, als Emma sie ansah, fand sie wieder zu sich. Alle Menschen, die Regina je etwas bedeutet hatten, mussten sterben. Das war wie ein ungeschriebenes Gesetz. Mit Emma würde sie es nicht soweit kommen lassen. Niemals.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Emma besorgt.

Ehe Regina etwas darauf erwidern konnte, fand sie sich in lilafarbenen Rauch und eine Sekunde später in ihrem Wohnzimmer wieder. Magie kommt vom Instinkt und dieser hatte Regina wärmstens empfohlen sich sofort und auf der Stelle aus der unangenehmen Situation zu befreien, bevor sie etwas tat, was sie später bereute.

******

Zu ihrer Überraschung war sie nicht allein. Henry lümmelte putzmunter und hellwach auf der Couch.

»Wieso bist du noch wach?«, fragte Regina, obwohl sie sich die Antwort denken konnte. Mit einem Handgriff schaltete den Fernseher aus.

»Ich... ich habe noch nach Antworten gesucht. Im Buch, meine ich«, stammelte Henry ertappt und drückte sein Märchenbuch an sich.

»Und hast du etwas gefunden?« Prüfend verschränkte Regina die Arme.

»Die Geschichte ist wohl noch nicht zu Ende geschrieben. Ich geh jetzt schlafen. Gute Nacht, Mom.« Henry huschte nach oben. Regina war zu müde und durcheinander, um ihm eine Standpauke zu halten und verschob das auf den nächsten Tag.

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