Kapitel 15 - Regina

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Ein fremder, aber zu gleich vertrauter Duft weckte Regina aus ihrem Schlaf. Verwirrt schlug sie die Augen auf und musterte sie das Zimmer, indem sie sich befand. Es sah aus wie ihr Schlafzimmer und irgendwie auch nicht. Emma lag nicht neben ihr. Anstatt der schwarz weißen Einrichtung war alles in ein orangenes, gleißendes Licht getaucht. Etwas stimmte nicht. Sie blickte an sich herab und bemerkte, dass sie keins ihrer seidigen Nachthemden oder Pyjamas trug, sondern ihre Alltagssachen. Außerdem trug sie Schuhe. Ihre Möbel waren mit weißen Laken bedeckt. Etwas stimmte ganz und gar nicht! Sie richtete sich auf, schob die Bettdecke beiseite und schlich zum Fenster. Das war nicht Storybrooke, auf das sie hinunterschaute - es war die Unterwelt.

Wenn Regina eines von ihrem ersten Besuch hier gelernt hatte, dann war es, dass man sich in Underbrooke nicht allzu lange aufhalten sollte. Sie eilte aus ihrem Anwesen und folgte dem Instinkt den Platz vor dem Glockenturm aufzusuchen, dessen abgebrochene Spitze aus dem Asphalt ragte. Hilflos drehte sie sich in jede Himmelsrichtung und hoffte eine verlorene Seele zu erspähen, die ihr dabei helfen konnte den Ausweg zu finden. Bei ihrem letzten Besuch hatten sie wohl zu viele aus der Zwischenwelt befreit. Aus dem dichten Nebel, der den Boden entlang kroch, erhob sich eine dunkle Gestalt.

»Hallo? Können Sie mich hören?«, fragte Regina vorsichtig in der Hoffnung, dass das überhaupt ein menschliches Wesen war.

»Sieh an, sieh an - Die Böse Königin. Wie lange habe ich auf diesen Moment gewartet!«, fauchte Reginas Gegenüber. Jetzt, wo dieses mit großen Schritten näher kam, konnte sie erkennen, um wen es sich handelte. Obwohl sie vielen Menschen das Leben genommen hatte, waren ihr einige doch in Erinnerung geblieben. Dieser war die entstellte Version eines ihrer Angestellten. Der Angestellte, der sie hin und wieder in ihren Albträumen heimsuchte. Er hatte lange für die Königsfamilie gearbeitet, bevor ein Kelch verschütteter Wein ihm das Herz kostete.

»Eure Hoheit, wenn ich Ihnen die letzte Ehre erweisen dürfte?« Er lehnte sich nach vorne und war gerade dabei Regina zu nahe zu kommen, als diese einen Satz zurück machte.

»Alexander?« Schockiert von dem Anblick ihres ehemaligen Angestellten vergaß sie auszuprobieren, ob sie in dieser Welt Magie benutzen konnte. Das letzte mal hatte es funktioniert, aber da war sie auch freiwillig da gewesen.

»Hatten Sie etwa erwartet, dass wir Sie mit einem glorreichen Fest empfangen? Es haben noch einige eine Rechnung mit Ihnen offen.« Auf seinem Gesicht breitete sich ein triumphierendes Grinsen aus. »Jetzt kriegen sie endlich das, was sie verdienen.«

»Wenn ihr eure Königin so sehnsüchtig erwartet habt, wieso habt ihr euch dann nicht an mir gerächt, als ich das letzte Mal hier war?«, fragte Regina sarkastisch.

Er fletschte die Zähne und ahmte mit seiner Hand in der Luft nach, wie er Reginas Herz zerquetschen wollte. »Wir wollten Sie - und zwar alleine. Damit Sie sehen wie es ist machtlos und ausgeliefert zu sein. Wenn wir mit Ihnen fertig sind, dann-«

»Genug, Alexander. Kriegen Sie sich wieder ein.« Ein zweiter Mann trat zwischen Regina und unterbrach den auf Rache bestehenden Untertanen. Ein Mann, dessen Stimme Regina zu gut kannte.

»Daniel!« Untypischerweise konnte sie nicht anders, als ihre erste Liebe die Arme um den Hals zu werfen. Nicht zuletzt weil sie froh war, an diesem gottverdammten Ort ein geliebtes Gesicht zu treffen und dann auch noch eines, das sie nicht töten wollte. Das Flattern in ihrer Brust war zwar verschwunden, aber die vertraute Wärme war noch zu spüren. »Aber wieso bist du hier? Ich habe deinen Grabstein gesehen! Ich dachte, du wärst an einem besseren Ort«, sagte sie, als sie sich wieder von ihm löste.

Sanft umfasste Daniel ihr Kinn. »Bei eurem letzten Besuch hattet ihr genug zu tun. Ich wusste, dass ich dich noch einmal wieder sehe.«

Regina konnte das ungute Gefühl, das sich in ihr ausbreitete, nicht abschütteln. Vielleicht war er ebenso wütend auf sie. »Es ist meine Schuld, dass du hier bist.«

»Nein, nein ist es nicht. Es war deine Mutter, die mich getötet hat. Regina, ich bin dir nicht böse, im Gegenteil. Wäre dieser Ort nicht das, was er ist, wäre ich erfreut dich zu sehen«, versicherte er ihr und nahm ihr somit die Zweifel.

Es fiel Regina nicht schwer, sich von seinen Augen zu lösen. Etwas, das sie früher nicht so leicht gekonnt hätte. »Ich kann nicht bleiben. Es muss einen Weg zurück geben!«

»Den gibt es, aber so leicht, wie das letzte Mal, wird es wohl nicht werden. Du bist nicht zu Besuch hier.«

»Was soll das bedeuten?« Die Panik in Reginas Stimme war deutlich zu hören.

»Das erkläre ich dir später. Komm mit mir.« Natürlich ließ sie sich das nicht zweimal sagen.

»Sie können mir nicht entkommen!«, giftete Alexander und lachte höhnisch, doch Daniel verdrehte nur die Augen und versicherte Regina damit, dass dieser keine ernstzunehmende Bedrohung darstellte.

******

Als sie die Tür zum Granny's aufstießen, lief Regina ein kalter Schauder über den Rücken. Die erblindet aussehende Hexe mit den zerzausten weißgrauen Haaren, die sie schon vom letzten Mal kannte, stand hinter dem Tresen und polierte immer wieder dasselbe Glas. Eine Gestalt, die wie ein ehemaliger Zwerg aussah, lümmelte auf einem der Sitze und starrte sein Essen an als würde es jeden Moment anfangen sich zu verselbstständigen. Es war schmutzig, verlassen, und hatte nichts mit dem familiären Treffpunkt in Storybrooke gemeinsam. Hinzu kam das orangefarbene Licht, das alles unwirklich und gefährlich wirken ließ. Schützend verschränkte Regina die Arme vor der Brust.

Daniel nahm am Tresen platz und Regina tat ihm nach.

»Sie schon wieder«, kommentierte die Hexe euphorisch, »dieses Mal für länger, nehme ich an?«

»Ich habe nicht vor mich in diesem... Loch voller erbärmlichen Seelen häuslich einzurichten, nein«, konterte Regina. »Dich ausgeschlossen«, ruderte sie zurück, als sie Daniels Blick auf sich spürte.

Die Hexe ließ das Glas sinken, nur um es gleich wieder in die Hand zu nehmen und es erneut zu polieren. »Darf es etwas sein? Lebkuchen oder Ki-«

»Kinder, ich weiß, nein danke.« Regina machte eine ablehnende Handbewegung.

Daniel gab der Hexe ein Zeichen, die ihm daraufhin etwas zu trinken zubereitete. Dann wandte er sich an Regina. »Du hast dich verändert.«

Beschämt richtete Regina den Blick auf den Tresen und suchte nach den Worten, die irgendwie erklären sollten, was nach seinem Tod aus ihr geworden war. »Ich war so jung, Daniel.«

»Das waren wir beide. Du bist erwachsen geworden. Und hast Fehler gemacht.«

»Du weißt was ich getan habe?«

Daniel nickte. »Ich weiß von dem Fluch und von Storybrooke.«

»Tatsächlich?« Regina war froh darüber sich nicht rechtfertigen zu müssen.

Er nahm einen Schluck von dem Getränk. Dem Geruch nach zu urteilen war es Pfefferminztee. »Du... bist hier keine Unbekannte.«

»Was für eine Überraschung.« Tatsächlich hatte Regina nie darüber nachgedacht, ob sie all die Leute wiedersehen würde, wenn sie starb. Genau genommen wusste sie das immer noch nicht, weil die Unterwelt nicht mit dem Tod gleichzusetzen war. Trotzdem verwunderte es sie nicht, dass einige noch ein Hühnchen mit ihr zu rupfen hatten.

»Es ist die Vergangenheit, Regina. Ich weiß auch was für ein Mensch du danach geworden bist. Du hast die Seiten gewechselt.«

Sie runzelte die Stirn. »Hast du uns das letzte Mal beobachtet?«

»Auch, aber ich habe hier auch auf jemanden getroffen, der nur in den höchsten Tönen von dir gesprochen hat.« Daniel deutete auf die Tür, in der ein muskulöser Mann mit Pfeil und Bogen stand und das Gespräch der beiden mit leidenden Augen beobachtete.

»Regina«, hauchte dieser sanft, als könnte er nicht glauben, wen er da vor sich sah.

»Robin?« Regina schob sich vom Barhocker, um ihren verstorbenen Freund von Nahem zu betrachten.

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