Blake

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„Ihr habt ihn einfach mitgebracht?", fragte Hyou entsetzt, als er seine Kameraden an der Tür empfing. „Was hätten wir sonst mit ihm machen sollen?", entgegnete Joel schulterzuckend und ließ den noch immer bewusstlosen, blauhaarigen Jungen hinter sich her schweben. „Was, wenn er aufgewacht wäre?", fragte Hyou besorgt weiter. „Das ist er, aber Malayka hat ihn paralysiert", erklärte Cathéa lachend. „Alles klar...", murmelte der Schwarzhaarige, bevor er aus der Tür trat und die Anderen hinein ließ.


Rosalia musterte den jungen Mann nachdenklich, während er mit zornigem Blick zurückstarrte. Sie hatte ihm eine Magiesperre erteilt und ließ ihn mithilfe eines Stillhaltezaubers auf dem Stuhl in ihrem Büro sitzen bleiben.
Sie ließ sich gegenüber von ihm auf dem alten Sessel nieder.
„Möchtest du nicht deinen Mantel ausziehen?", fragte sie ihn nach einer kurzen Weile und faltete ihre Hände zusammen.
„Nein." Weiterhin sah er sie verächtlich an.
„Wie lautet dein Name?"
„Warum sollte ich es dir sagen, du alte Schreckschraube?", fauchte er und versuchte sich irgendwie aus der Starre zu befreien.
„Wahrscheinlich, weil du hier erst einmal nicht so schnell wegkommst", antwortete die alte Dame mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen. „Also, wie heißt du?"
„Werde ich dir nicht sagen", knurrte er und wollte seine Arme verschränken, scheiterte aber aufgrund der Starre daran.
Rosalia lächelte ihn weiterhin einfach nur herzlich an, bevor sie fortfuhr: „Nun gut, dann versuchen wir es mal mit einer anderen Frage. Warum hast du Gaizard angegriffen?".
Ihr Gegenüber wich ihrem durchdringenden Blick aus und schaute mit einem wütenden Gesichtsausdruck zu Boden, sagte aber Nichts.
Geduldig sah die alte Magierin zu ihm. „Du unterdrückst deine Gefühle. Was ist passiert? Was hast du erlebt?".
Der Junge mit den blauen Haaren hob seinen Blick wieder, sah ihr aber nicht in die Augen und murmelte: „Ich möchte nicht darüber sprechen..."
„Das ist vollkommen okay. Möchtest du Tee?", bot Rosalia ihm weiterhin lächelnd an. Der Gesteinsmagier nickte leicht, auch wenn er nicht genau wusste wieso, und war recht verwundert über die Freundlichkeit und die Geduld der Dame. Immerhin war er recht unhöflich ihr gegenüber.
Rosalia drehte sich zu ihrem Schreibtisch um und schenkte etwas Tee aus der Porzellankanne, die sie dort hingelegt hatte, in eine weiße Tasse, die danebenstand. Diese reichte sie anschließend ihrem Gast und lockerte seine Starre ein wenig, sodass er seine Arme bewegen konnte. Er spielte sogar mit dem Gedanken, sich bei ihr zu bedanken, entschied sich aber doch dagegen.

„Mein Name ist übrigens Rosalia", stellte sie sich vor und schaute ihn aus ihren grauen Augen an, während er zögerlich den ersten Schluck nahm.
„Ich bin Blake", kam es plötzlich aus seinem Mund, er schien selbst ein wenig überrascht über sich selbst, fuhr aber fort: „Ich... Ich habe Gaizard aus Rache angegriffen. Ich wollte mich an diesen scheinheiligen Leuten rächen, die sich hinter der Fassade der freundlichen Dorfbewohner verstecken." Er hatte einen verbitterten Gesichtsausdruck angenommen und schaute aus dem Fenster.
„Ich verstehe. Möchtest du darüber reden?", fragte Rosalia mit sanfter Stimme nach und schenkte sich nebenbei ebenfalls Tee ein.
„Nein." Mehr sagte Blake nicht dazu, und trank schweigend seinen Tee aus.
„Wo lebst du?", erkundigte sich Rosalia und sah ihn fragend an.
„Überall und Nirgendwo. Ich habe kein Zuhause", antwortete er und wusste selbst nicht, warum er ihr das erzählte.
„Du könntest hier bleiben." Als sie das aussprach, spuckte Blake vor Überraschung seinen Tee aus.

„Wie bitte?!"

***

Mit bösem Blick schaute Matteo Blake an, während Joel ihn eher neugierig musterte. Sie wollten auf ihr Zimmer gehen, als sie auf ihn trafen.
„Warum ziehst du deinen Mantel nicht aus?", fragte Joel ihn und neigte seinen Kopf zur Seite.
„Geht dich nichts an", zischte Blake, der vor der Tür zu Milans Zimmer stand, und drehte sich nicht um. Matteo, der mit Joel hinter ihm stand, sagte mit eisigem Unterton: „Verzieh dich vom Zimmer. Aus der Villa. Warum bist du überhaupt noch hier?".
„Die Alte hat gesagt ich soll hier bleiben", stöhnte Blake genervt und wollte die Tür öffnen, wurde aber von Matteo grob zurückgezogen. „Wie kannst du es wagen, so respektlos über Rosalia zu sprechen?", fuhr er ihn an und sah ihn wütend an, während er ihn am Kragen packte.
„Wow, beruhig dich, Matteo", sagte Joel ziemlich überrumpelt und zog seinen besten Freund vorsichtig zurück. Blake sah ihn verächtlich an, bevor er sich wortlos umdrehte und in Milans Zimmer ging.

„Was war das denn? So kenne ich dich gar nicht", fragte Joel ihn mit großen Augen. „Ich hasse diesen Bastard einfach", knurrte Matteo finster, „Wie kann Rosalia nur sagen, dass er hierbleiben soll? Er ist ein Mörder! Weißt du nicht mehr, wie viele Leute wegen ihm gestorben sind?".
Joel biss sich unsicher auf die Unterlippe. „Ja, schon, aber Granny hat es bestimmt nicht ohne Grund gemacht... Außerdem bist du noch nie auf jemanden losgegangen, egal aus welchem Grund. Bisher war das immer eher meine Rolle. Das ist schon... seltsam."
„Ach, ich weiß auch nicht", murmelte Matteo wieder entspannter und fuhr sich nachdenklich durch die Haare, „Dieser Kerl macht mich einfach aggressiv." „Aber wenn er jetzt auch hier wohnt, was ziemlich gewöhnungsbedürftig wäre, musst du mit ihm klarkommen", warf Joel schulterzuckend ein.
„Das kommt mir sowieso ziemlich eigenartig vor. Granny hätte uns doch etwas gesa-." Bevor er zuende sprechen konnte, kam Vermont in den langen Gang und sagte völlig aufgeregt: „Hat Granny es euch schon gesagt? Wir bekommen einen récent Mitbewohner. Je suis tendu!" Dann lief er weiter zu seinem Zimmer. Joel warf Matteo einen vielsagenden Blick zu, und dieser sah alles andere als begeistert aus. „Ich will wissen, warum...", brummte er, bevor sich auf den Weg zu Rosalias Büro machte.

„Warum hast du eigentlich nichts gegen ihn? Ich meine, er hat dir die Platzwunde verschafft", erkundigte sich Matteo bei seinem Freund, welcher nur mit den Schultern zuckte. „Ich weiß nicht. Ich glaube, er ist eigentlich gar kein so schlechter Kerl."
„Ernsthaft?", fragte Matteo gereizt, woraufhin Joel nur leise seufzte.

***

Cathéa saß mit Coco und Taynara in ihrem Zimmer, die Heilerin machte Cocos Haare, während sich die drei unterhielten.
„Und? Wie ist der Typ so?", fragte Coco Cathéa neugierig und grinste schief. „Gemein, böse, skrupellos? Er hat fast eine ganze Stadt zerstört. Und er hat mich Eiskönigin genannt!", beklagte sie sich seufzend. „So schlimm kann er doch gar nicht sein, wenn Granny ihn hier wohnen lässt", murmelte Taynara und versuchte Cocos wilde Locken zu flechten. „Da hast du schon recht... Aber in der Zeitung stand, dass es in Gaizard 79 Tote gab. Seinetwegen!"
„Man sollte nicht alles glauben, was in der Zeitung steht, Süße", sagte Coco mit einem vorwurfsvollen Blick, „Oder glaubst du etwa auch, dass eine Wunderdiät entdeckt wurde, mit der man innerhalb von zwei Wochen zehn Kilo abnehmen kann? Hah, schön wärs!"
„Aber Coco, das ist doch etwas komplett anderes", meinte Cathéa mit zweifelndem Blick.
„Trotzdem. Glaubst du, die sind da rumgelaufen und haben jede einzelne Leiche gezählt?".
„Granny würde niemals einen Mörder hier wohnen lassen", bemerkte Taynara lächelnd und fummelte weiter an Cocos silbernen Haaren herum.
„Du hast Recht, Tay", schloss Cathéa ebenfalls lächelnd, „Apropos Zeitung... Mal schauen, was in letzter Zeit so passiert ist."

Sie schnappte sich die Tagesausgabe, die unangerührt neben ihr auf ihrem Bett lag, und schlug sie auf. Das erste, was ihr ins Auge fiel, war:

Gaizards Rettung – Gibt es etwa echte Superhelden?

Beim Titel der Schlagzeile fing sie an zu lachen. Superhelden. Klar.

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