Kummer

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Etwas später, am Abend, saßen Cathéa und Taynara gemeinsam im Esszimmer und tranken heiße Schokolade, als es an der Tür klopfte.

„Gehst du? Ich muss gleich zu Rayn", fragte Taynara ihre Freundin.

„Klar." Cathéa legte ihre Tasse beiseite, stand auf und ging zur Tür. Als sie sie öffnete, sah sie draußen Jamie stehen. Sie war in einen Mantel, Schal und Mütze gepackt, sie zitterte etwas und ihre Augen waren leicht gerötet.

„Könnte ich vielleicht reinkommen?", fragte sie Cathéa leise und schniefte.

„Oh, klar", sagte Catheá schnell und trat aus der Tür, woraufhin die Kleinere eintrat.

„Ist alles okay?", erkundigte sie sich schließlich zögerlich.

Jamie zog ihre Stiefel aus, deren Sohlen voller Schnee waren, und antwortete: „Ja... Nein... Können wir uns vielleicht irgendwohin setzen?"
Sie richtete sich wieder auf und sah zu Cathéa hoch.

„Natürlich, wir können ins Wohnzimmer."

„Okay..." Jamie schniefte erneut leise und folgte Cathéa, welche vorgegangen war.

Das Wohnzimmer war spärlich beleuchtet, als sie eintraten, nur eine einzelne Kerze auf dem Kamin brannte.
„Oh, jemand hat wohl vergessen, sie auszumachen", stellte Cathéa fest, ehe sie sich auf das breite Sofa setzte und Jamie bedeutete, sich neben sie zu setzen.

„Ich hoffe, du magst Kerzen. Also, was ist los?"

Jamie setzte sich neben Cathéa und starrte einige Sekunden lang auf den Boden, ehe sie langsam antwortete: „Ich weiß es nicht wirklich... Ich wollte heute einfach nicht alleine sein... Ach, tut mir Leid, dass ich hier einfach angeschneit komme, wir kennen uns ja noch nicht einmal richtig. Es ist nur... Melissa arbeitet gerade an einer riesigen Story und ich will sie nicht stören, Nate macht Urlaub mit seinen Eltern, Milton, mein Freund, hat ein Fotoshooting, und für meinen Onkel ist es sowieso schon schlimm genug... Ich möchte nicht, dass es ihm wegen mir noch schlechter geht. Und mein Vater... Der interessiert sich sowieso nicht für mich."

Eine Träne rollte über ihre Wange, und Jamie wischte sie sofort energisch weg. „Entschuldige, ich möchte dich nicht belasten, vielleicht sollte ich lieber gehen", sagte sie plötzlich und wollte aufstehen, doch Cathéa hielt sie am Handgelenk fest.

„Du kannst mit mir reden, wirklich. Was liegt dir auf dem Herzen?", fragte sie mit besorgtem Blick.

Seufzend ließ sich Jamie wieder auf das Sofa sinken und schwieg wieder einige Momente, bevor sie zögerlich begann: „Heute, vor genau acht Jahren, ist meine Mutter gestorben."

Sie richtete ihren Blick auf den Boden, auf den im nächsten Moment einige Tränen tropften.

„Oh, äh- das tut mir leid", stammelte Cathéa etwas überfordert, da sie nicht so recht wusste, was sie darauf sagen sollte.

„Das ist ja nicht mein Hauptproblem... Nach acht Jahren komme ich schon etwas besser damit klar", erzählte Jamie, „Es ist mein Vater. Mein Onkel und ich zünden jedes Jahr eine Kerze für Mum an. Heute habe ich meinen Vater gefragt, ob er mitmachen möchte, aber natürlich wollte er nicht. Er sagte, dass das alles Schwachsinn sei, und dass Mum auch nicht zurückkomme, wenn wir Kerzen anzünden. Außerdem meinte er, sie sei tot und fertig. Dafür müssten wir keine Kerzen verschwenden. Dann ist er wieder in sein Büro verschwunden. So ist er seit sie gestorben ist... An dem Tag, an dem meine Mutter starb, ist auch mein Vater gestorben. Übrig blieb nur ein gefühlsloser Geschäftsmann.
Mein Leben interessiert ihn überhaupt nicht, ich soll nur gute Noten schreiben. Früher waren wir eine glückliche Familie, und heute frage ich mich, ob meinem Vater überhaupt bewusst ist, dass ich seine Tochter und nicht irgendein Mädchen, das in seinem Haus wohnt, bin."

Cathéa sah sie bemitleidend an, sagte jedoch nichts, da sie nicht so gut mit Trauer bei anderen Personen umgehen konnte.

Jamie sprach einfach weiter, sie erwartete gar keine Antwort: „Ich habe natürlich meinen Onkel, und er ist der Beste den es gibt, aber manchmal würde ich schon gerne zu Dad gehen und ihm erzählen, was mir auf dem Herzen liegt, ihm meinen Freund vorstellen oder ihn auch nur mal umarmen. Aber er ist nie für mich da..."

Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, aber es brachte Nichts, da immer wieder Neue kamen.

Kurz überlegte Cathéa, bevor sie Jamie tröstend in den Arm nahm. Diese überlegte gar nicht und drückte sich leise schluchzend an sie.

„Klingt, als wäre dein Vater ein ganz schönes Arschloch."

Beide Mädchen erschraken, als sie die bassige Stimme hinter sich hörten.

„Und nein, ich hab nicht vergessen, die Kerze auszumachen, Kitty-Cat."

Blake trat aus dem Schatten und setzte sich anschließend neben Jamie.

„Ich weiß, es ist hart, jemanden zu verlieren, der einem wichtig ist. Und wenn eine Vertrauensperson nicht für einen da ist. Aber wenigstens hast du deinen Onkel, oder? Es gibt auch Personen, die niemanden außer sich selbst haben."

Etwas überrumpelt sah Jamie ihn an, und auch Cathéa machte ein überraschtes Gesicht.

Schließlich sagte Jamie: „Ja, da hast du schon recht..."
Sie wischte sich erneut die Tränen aus dem Gesicht. „Ich habe wohl etwas überreagiert, es ist ja nicht so schlimm."

„Doch, es ist schlimm", widersprach Blake, „Und du darfst deswegen natürlich auch traurig sein. Aber trotzdem solltest du glücklich sein über das, was du hast."
Er lächelte sie leicht an.

„...Du kannst Lächeln?", fragte Cathéa völlig entgeistert und zerstörte damit den nachdenklichen Moment.

„Ja, kann ich, happy birthday", brummte er daraufhin und sah wieder grummelig drein. Jamie aber war in Gedanken, sie dachte über seine Worte nach.

„Seit wann bist du eigentlich so tiefgründig?", erkundigte sich Cathéa skeptisch und kniff ihre Augen zusammen.

„Schnauze", brummte Blake, „Ich geh jetzt schlafen. Nacht."
Mit diesen Worten erhob er sich wieder vom Sofa und lief zur Tür.

„Blake?" Jamie hob ihren Kopf wieder und sah zu ihm. „Danke."

Er blieb kurz stehen, drehte sich aber nicht um und ging kurz darauf wortlos durch die Tür. Jamie sah ihm lächelnd hinterher.

Für einen kurzen Moment herrschte Stille, bevor Cathéa grinsend sagte: „Was war das denn? Sonst ist er nie so drauf. Jedenfalls nicht, wenn andere Lebewesen in der Nähe sind."

„Was weiß ich..." Jamie zuckte lächelnd mit den Schultern. „Aber jetzt geht es mir wenigstens besser. Dankeschön."

„Gerne doch", erwiderte Cathéa fröhlich, „Du kannst immer zu mir kommen, wenn dich etwas bedrückt."

Einen Moment lang lächelten sich die beiden Magierinnen an, da kam Cathéa eine Idee: „Hey, du arbeitest doch bei diesem Magazin da. Und wolltest du nicht neue Fotos von uns?"

Jamie nickte langsam. „Ja, warum?"

Die Eismagierin lachte finster, als sie sagte: „Die Jungs schlafen schon alle, abgesehen von Blake. Du könntest doch-".

Bevor sie zuende gesprochen hatte, wusste Jamie schon, was sie meinte. „Das ist eine fantastische Idee! Kannst du mir die Zimmer zeigen?"

Sie sprang aufgeregt vom Sofa herunter, und auch Cathéa stand auf.
„Jap. Wann kommt die neue Ausgabe heraus?"

„Übermorgen", antwortete Jamie grinsend, und Cathéa grinste zurück.


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