Kapitel 27
Brianna's POV
"Er liegt im Bett, und schläft erstmal seinen Rausch aus", informierte ich meine Schwester über die Geschehnisse. "Lou hat ihm eine Flasche Wasser und ein Aspirin gegeben, und einen Eimer, nur für alle Fälle."
Vor einigen Stunden war Louis aus unserem Haus gekommen, und hatte mir vorgeschlagen einen kleinen Spaziergang zu machen. Er wollte nicht, dass ich meinen eigenen Vater sturzbetrunken sehen musste, immerhin war er mein "fast-direkter" Onkel, wie meine Eltern es mir früher immer erklärt hatten. Das bedeutete, dass wir zwar nicht verwandt waren, jedoch nicht das Blut eine Familie machte, sondern Liebe. Und da er der beste Freund meines Vaters war, war er eben mein "fast-direkter" Onkel.
Also fuhr ich in mein Lieblingscafé, und machte mich über meine Hausaufgaben her, die ich in letzter Zeit sträflich vernachlässigt hatte. In einer kleinen Pause zwischen Mathe und Geschichte rief ich meine Zwillingsschwester an, um ihr von Dad's Absturz zu berichten. Sie nahm die Neuigkeit recht wortkarg entgegen, und wollte nach kurzer Zeit auch nichts mehr davon wissen. Dann informierte sie mich darüber, dass sie wohl die ganze Woche bei Jake wohnen würde, und dass sie von Mom nichts gehört hatte.
Ich seufzte. Wenn das so weiterging, sah ich für diese Familie mehr als schwarz.
Ich beschloss, Alice eine SMS zu schreiben. In letzter Zeit war ich so von meinem eigenen Familiendrama eingenommen gewesen, dass ich gar keine Zeit mehr für meine Freunde erübrigen konnte. Ich fragte sie, ob wir uns nicht hier treffen wollten, und zwei Minuten später kam die Zusage.Eine halbe Stunde später war ich gerade fertig mit meinen letzten Aufgaben, als die Türklingel bimmelte, und die hochschwangere Alice hereinschneite. Sie sah sich suchend um, und ich stand auf und winkte ihr zu. Sie strahlte mich an und hinkte auf eine recht merkwürdige Art und Weise auf mich zu. "Hi Brianna! Wie geht's dir so?", fragte sie mich. Ich zwang mir ein Lächeln auf und quetschte ein "Gut!" heraus. Sie ließ sich neben mich fallen, und erzählte mir von ihren letzten Ultraschallterminen. Anscheinend war das Baby doch gesund, und ihre Erleichterung darüber war deutlich spürbar.
Wir unterhielten uns etwas über die bevorstehende Geburt, und jedes Mal, wenn sie ihr Kind erwähnte, fragte ich mich, ob die Mutter meines Halbbruders sich wohl auch so viele Gedanken um ihn gemacht hatte.
Nach etwa einer Stunde musste Alice wieder aufbrechen, und auch für mich war es Zeit zu gehen. Unachtsam fegte ich meine Unterlagen vom Tisch in die Tasche, zahlte, und machte mich auf den Weg zu Phoebe. Ich brauchte die sanfte Umarmung meiner Freundin, egal was andere denken mochten.
Als ich den Weg zu ihr schon beinahe hinter mich gebracht hatte, klingelte mein Handy. Ich nahm ab, ohne zu schauen wer es war.
"Brianna?" Überrumpelt blieb ich stehen. "Mom?", fragte ich sicherheitshalber. "Ja, ich bin es. Ich wollte mich nur kurz vergewissern, dass es dir gut geht, mein Schatz. Wo bist du? Und wo ist deine Schwester?" "Uns geht es den Umständen entsprechend gut. Ich bin gerade unterwegs zu Phoebe, und Julie wohnt bei Jake." "Das ist schön zu hören." "Mom! Wo bist du? Wie geht es dir? Wir haben seit einer Woche nichts mehr von dir gehört. Geht es dem Baby gut?" "Mir geht es gut. Ich bin an einem sicheren Ort, wo wir gut versorgt werden, bei einem alten Freund. Du erinnerst dich vielleicht noch an ihn: es ist Tom, unser alter Bodyguard von damals, als ich mit euch schwanger war und am Flughafen von diesem fürchterlichen Mädchen angegriffen wurde." Ich schloss meine Augen. Ja, da war etwas. Ein großer, breitschultriger Mann, der vor mir wie ein Baum aufragte. "In Ordnung." Es herrschten ein paar Sekunden Stille. "Mommy, wenn du irgendwas brauchst, ruf mich unbedingt an, okay?" "Vielen Dank, mein Schatz. Das bedeutet mir sehr viel. Ich muss jetzt leider auflegen, aber du weißt dass ich euch beide über alles liebe? Bitte richte das auch deiner Schwester aus." "Das werde ich, Mom."
Holly's POV
Ich stellte das Telefon wieder in seine Ladestation zurück, und streckte mich. Mein Sohn trat in meinem Bauch unruhig vor sich hin, und ich strich beruhigend über meine Haut."Tom? Ich bin fertig mit Telefonieren!", rief ich in das Häuschen meines guten Freundes hinein. "In Ordnung. Möchtest du eine Tasse Tee?", kam es aus der Küche zurück. "Gerne", seufzte ich, und ließ mich in den Ohrensessel neben den Kamin fallen.
Tom hatte uns fünf Jahre lang begleitet, durch die Schwangerschaft bis zur Einschulung der Mädchen, danach war er mit seiner Frau und seiner Tochter nach Phoenix gezogen. Seit dem tödlichen Autounfall seiner Familie lebte er zurückgezogen in den Bergen im Nordosten des Landes. Dort kaufte er ein riesiges Grundstück, zog einen hohen Zaun drumherum und lebte von dort an abgeschieden, nur mit der Natur und sich selbst.
Wir waren bis zuletzt sehr gute Freunde gewesen, aber nachdem er aus Phoenix wegging, schlief der Kontakt immer mehr ein. Jedoch hatte er mir immer eingeschärft, zuerst ihn zu bitten, sollte ich jemals Hilfe benötigen.
Seit einer Woche besetzte ich nun schon sein Gästezimmer, und da niemand anders ahnte wo er wohnte, war dies der perfekte Platz gewesen, um auszuspannen und nachzudenken, wie meine nächsten Schritte wohl aussehen mochten.
Das Klirren der Teetassen riss mich aus meinen Gedanken. Tom platzierte mein Getränk auf den Beistelltisch neben mir, setzte sich auf das weinrote Sofa und sah mich erwartungsvoll an. "Hast du Brianna Bescheid gegeben?" Ich nickte, und schlürfte meinen Tee. Er lächelte mich an. "Weißt du eigentlich, dass du vor 17 Jahren auch schon so in deinem Schaukelstuhl gehockt hast, eine Tasse Tee in der Hand und deine Mädchen auf dem Boden spielend? Du hast dich so gut wie gar nicht verändert, weißt du?" Bei dem Gedanken an längst vergangene Zeiten musste ich schmunzeln.
"Ich durfte zusehen, wie aus einem Mädchen eine Mutter wurde, und aus der Mutter eine erwachsene Frau. Und jetzt sitzt du hier, 12 Jahre habe ich dich nicht gesehen, und bist im Herzen immer noch das 17-jährige Mädchen von damals." Ich schüttelte den Kopf. "Nein, das bin ich nicht. Es ist so viel passiert, Tom, ich weiß gar nicht wo ich beginnen soll ..." "Am Anfang. Starte mit dem Anfang, Holly."
Ich atmete tief durch. "Weißt du noch, wie Harry und ich waren, als wir noch jung waren? Wir sprühten vor Energie, haben zusammengepasst wie Topf und Deckel, wir haben alles wunderbar hinbekommen ... Und dann kehrte der Alltag ein. Er ging auf viele Touren, was ich ihm nicht zum Vorwurf mache! Es war nunmal seine Arbeit, die er mehr geliebt hat als alles andere. Und ich war zuhause, habe die Mädchen großgezogen und nebenbei studiert. Irgendwann haben wir uns einfach auseinandergelebt. Wir waren nicht mehr wie Lebenspartner, sondern wie Geschäftspartner. Wir haben uns ein Leben geteilt, aber es war nicht unser Leben, so wie wir es führen wollten. Versteh mich nicht falsch, um nichts in der Welt würde ich meine Kinder wieder hergeben, keins von ihnen, aber so hatte ich mir mein Leben nie erträumt. Ich hatte immer das Gefühl, etwas falsch zu machen, eine Rolle zu spielen, für die ich nie geeignet war. Ich wollte nach Harvard, Yale, wollte Medizin studieren oder Wirtschaft, aber ich wollte niemals Hausfrau und Mutter werden. Das hat sich immer falsch angefühlt."
Ich versuchte, mein Zittern einzustellen. "Es hat mir das Herz gebrochen, als Harry mir das mit seinem Sohn eröffnet hat, aber nach einiger Zeit des Nachdenkens habe ich darin eine Möglichkeit gesehen, auszubrechen. Dieses Leben mit ihm hinter mir zu lassen, nochmal ganz von vorne anzufangen, irgendwo wo mich keiner kennt. Und das ist schrecklich, ich trage sein Kind in mir!"
"Holly, es ist in Ordnung, mal selbstsüchtig zu sein. Du hast dein Leben für deine Familie gegeben. Vielleicht ist es Schicksal gewesen, dass Harry dieses andere Kind bekam, vielleicht sollte es so sein und das Leben wollte dich damit belohnen und dir eine Möglichkeit geben, zu gehen. Deine Mädchen sind groß, sie brauchen dich nicht mehr so intensiv wie früher. Und ich bin sicher, dass du es mit deinem Sohn mindestens genauso gut hinkriegen würdest, allein zu leben. Wir leben nicht mehr in den Zwanzigern. Nutze dein Recht auf Selbstbestimmung! Tu, was sich für dich richtig anfühlt. Wenn du bei deiner Familie bleiben willst und deiner Ehe einen Neustart geben möchtest, dann mach das. Solltest du dich für einen Neuanfang allein entscheiden, ist das genauso okay. Wichtig ist nur, dass du damit glücklich bist!"
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Rebel
Fanfiction11 Jahre nach Ende von "Daughters": Aus Julie und Brianna Parker-Styles sind Teenager geworden. Alles ändert sich, als die Zwillinge auf eine normale Schule müssen. Zum ersten Mal müssen sie mit Gefühlen klarkommen, die sie noch nie erlebt haben, un...