1

1.2K 56 15
                                    

Wie jeden Abend lag ich auch heute mit einem Buch im Bett. Und natürlich war es mal wieder Harry Potter. Ich meine, diese Bücher waren einfach perfekt. Sie wurden nie langweilig und wenn wir mal einen Moment ehrlich wären, müssten wir doch alle zugeben, dass wir alles dafür tun würden, nach Hogwarts gehen zu können.
Ich war mit diesen Büchern aufgewachsen, hatte mich mit Harry gefreut, als er endlich von den Dursleys eine Auszeit bekam, hatte gemeinsam mit ihm der ersten Flugstunde bei Madam Hooch entgegengefiebert, den Stein der Weisen gerettet, den Basilisken getötet, Sirius und Seidenschnabel gerettet und hatte beim Trimagischen Turnier mitgemacht. Ich hatte sogar mit ihm die Horkruxe zerstört, um am Ende Voldemort besiegen zu können. Und obwohl Harry natürlich die Hauptperson war, reizte und interessierte er mich gar nicht. Mein Liebling würde nämlich für immer Draco Malfoy bleiben. Als ich den sechsten Band das erste Mal gelesen hatte, musste ich doch tatsächlich weinen, es hatte mir einfach das Herz gebrochen, wie hilflos und verzweifelt Draco war. Auch wenn er das natürlich niemals zugeben würde.
Seufzend schloss ich die Augen. Nur einmal in Hogwarts sein. Einmal das Schloss sehen können, mit den Lehrern und Schülern sprechen, Himmel, ich würde mich sogar auf Peeves freuen.
Ich wünschte, ich könnte eine Hexe sein und in Hogwarts leben.
Plötzlich erfasste mich ein seltsames Gefühl, als wäre ich in einen riesigen Strudel geraten und panisch riss ich die Augen auf, nur um sie im nächsten Moment wieder schmerzerfüllt zuzukneifen.
Ich war scheinbar auf einem Steinboden aufgeschlagen und blinzelte überrascht.
"Was machst du denn hier? Wer bist du? Du hast hier nichts zu suchen, die ganze Schule ist in der Großen Halle, wie kannst du es wagen, hier rumzuschleichen?"
Irritiert hob ich den Blick und keuchte erstaunt auf. "Filch? Aber... Ich...wo bin ich?"
"In Hogwarts, wo denn sonst, du dämliches Balg? Los, komm. Ich bring dich jetzt zu Dumbledore, dann wirst du schon sehen, was du davon hast."
Mit diesen Worten zerrte er mich grob auf die Beine und schob mich vor sich her. Moment, hatte ich das gerade richtig verstanden? Hogwarts? Dumbledore? Aber das war unmöglich, ich konnte niemals in Hogwarts sein. Das alles war doch nicht mal real... Andererseits.. Wenn dies ein Traum war, dann ein verdammt realer, aber wenn ich eh erstmal hier war, konnte ich das ganze auch genießen.
Filch stieß die Tür zur Großen Halle auf und sämtliche Köpfe drehten sich in unsere Richtung. "Professor Dumbledore, Sir. Habe dieses Mädchen in der Eingangshalle gefunden, sie hat sich da rumgetrieben, aber sie scheint wohl ihre Uniform vergessen zu haben."
Erstauntes Gemurmel kam auf, als die anderen Schüler merkten, dass ich keine von ihnen war, ehe sie durch ein Räuspern zum Schweigen gebracht wurden. "Chrm chrm, ich verlange Disziplin und Ordnung! Und eine Erklärung, Dumbledore!"
Sofort sah ich zum Lehrertisch und musste ein genervtes Stöhnen unterdrücken. Umbridge. Na super.
Dumbledore erhob sich und lächelte sanft. "Ich bin mir sicher, dass wir für alles eine Erklärung finden. Kommen Sie bitte nach vorne, Miss...?"
"Willows, Seraphina Willows, Sir." Unsicher ging ich durch den schmalen Gang zwischen den Häusern nach vorne zu ihm und sah mich währenddessen etwas um. Wahnsinn, alles ist genau so, wie es in den Büchern beschrieben wurde. Da ist ja Harry... Etwas enttäuscht sah ich in die andere Richtung. Ich hatte eigentlich gehofft, ich würde irgendetwas spüren. Etwas, das mir zeigte, dass ich nach all diesen Jahren eine Verbindung zu den Personen und Orten hatte. Auf einmal wurde mein Blick von einer Person am Slytherintisch angezogen und ich schluckte leicht. Okay, Seraphina, du bist jetzt offiziell tot, da sitzt tatsächlich Draco fucking Malfoy.
Ich schritt weiter auf Dumbledore zu und blieb dann vor ihm stehen, während mein Blick immer wieder zu Draco huschte. "Entschuldigen Sie bitte, ich habe selbst keine Ahnung, was ich hier mache, ich war einfach plötzlich hier, wie als hätte ich einen Portschlüssel benutzt. Ich weiß aber nicht, wie ich nach Hause kommen soll."
Dumbledore schenkte mir erneut sein sanftes Lächeln.
"Nun, Miss Willows, Sie können erstmal hierbleiben, Sie sind doch eine Hexe, nicht wahr?"
Zaghaft nickte ich. Wenn ich wirklich in Hogwarts war, würde ich all die Zauber können. Ich hatte sie Zuhause oft genug mit meinem Zauberstab geübt, den ich mir selbst geschnitzt hatte und seitdem immer bei mir trug.
"Chrm chrm", machte Umbridge erneut und Dumbledore wandte sich nun ihr zu. "Möchten Sie noch etwas hinzufügen, Professor?"
"In der Tat", setzte sie an und ich verdrehte innerlich die Augen. Wenn sie schon so anfing, würde es Jahre dauern, bis sie zum Ende kam, also ließ ich meinen Blick unauffällig durch die Halle wandern. Snape, McGonagall, Sprout, Flitwick... Harry, Ron, Hermine, Ginny, Neville, Fred, George, Seamus, Luna, Zabini, Cho... In Gedanken ging ich alle Namen der Schüler durch, von denen ich wusste dass sie zu diesem Zeitpunkt noch in Hogwarts sein mussten und ordnete schnell jedem ein Gesicht zu, ehe ich mich wieder der Rede dieser alten Kröte zuwandte. War die vielleicht auch mal irgendwann fertig?
Endlich verstummte sie und sah mich an. "In welches Haus wird sie kommen?"
"In das, in welches der sprechende Hut sie einteilt, Dolores", erwiderte der Schulleiter und deutete auf das uralte Einzelstück, das einst Godric Gryffindor gehört hatte und nun von Minerva gebracht wurde.
Nervös zuckte ich kurz zusammen, als ich ihn auf dem Kopf spürte und schloss die Augen.
Bitte Slytherin, hoffentlich Slytherin. Ich bin durch und durch eine Schlange, wehe du machst mich zu einer...
"GRYFFINDOR!"
"Was?" Ungläubig nahm ich den Hut ab und gab ihn der Professorin zurück. Der tosende Applaus am Gryffindor-Tisch machte mir leider nur allzu bewusst, dass ich mich nicht verhört hatte. Der sprechende Hut hatte sich bisher noch bei niemandem geirrt und doch wagte er es, mich nach Gryffindor zu stecken? Mich? Schon von Anfang an hatte ich mich am meisten zu den Schlangen hingezogen gefühlt, doch nun stand ich da, starrte den Hut noch einen Moment an und machte mich auf den Weg zu den Löwen, dorthin, wo ich am wenigsten sein wollte.

Plötzlich Hexe ✔️ || #theHogward2018  || #RainbowAward2018 || #OrionAward2019 ||Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt