Epilog

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Die Sonne war bereits untergegangen und eine leichte Brise wehte über den Vorplatz des Internates.
Es war still, denn kein einzieger Schüler hielt sich draußen auf.
Der perfekte Zeitpunkt um abzuhauen.
Nach dem Gespräch heute brauchte ich unbedingt eine Auszeit und die konnte ich in diesem Gefängnis einer Schule nicht bekommen.
Ich setzte mir meine schwarze Kapuze auf, so wie ich es in letzter Zeit oft tat, um unerkannt zu bleiben und sprang, ohne lange zu warten, aus meinem Fenster.
Es war kein tiefer Sprung, schon rollte ich mich ab und schlich vorsichtig neben meinem Wohnheim entlang.
Hoffentlich würde meine Methode hier rauszukommen auch wirklich funktionieren.
Ich wusste nicht wieso, aber die Idee war mir nach einem Albtraum gekommen und vielleicht könnte ich ja wirklich unbemerkt hier ein und ausgehen.
Ich hoffte es sehr, denn ich wollte endlich einmal wieder meine Gefühle herauslassen, wollte schauen, ob sich noch immer Emotionen hinter meiner festen Fassade versteckten oder ob ich sie alle verloren hatte. Kurz vor dem Tor blieb ich stehen und sah mich noch einmal um.

Als ich niemanden entdeckte, verwandelte ich mich in eine blaue Nebelwolke.
Ich stellte mir einfach vor mich mit einer Illusion des Nebels zu umgeben und mich dann ganz hinter ihm zu verstecken.
Sobald ich merkte, dass man meinen Körper nicht mehr sehen konnte, weil ich eine kleine, blaue Wolke war, schwob ich los, mitten zwischen den Eisenstangen des Tors hindurch. Nachdem ich ein paar Meter in den Wald geflogen war, verwandelte ich mich wieder zurück.
Es ging ganz einfach und sobald ich auf dem waldigen Boden stand, fiel eine schwere Last von mir.
Die Luft schien hier viel kühler und frischer zu sein, selbst wenn ich außerhalb der Gitterstäbe nicht mehr sicher war, war es das Freiheitsgefühl, dass ich in diesem Moment empfand, auf jeden Fall Wert. Es war als könnte ich seit langem wieder richtig atmen, doch das war nicht der Grund weshalb ich hier war.

Ich presste meine Lippen aufeinander.
Vielleicht hätte ich den nächsten Schritt lieber lassen sollen, aber innerlich wollte ich es unbedingt tun, wollte wenigsten ein paar Sekunden wieder ich selbst sein und nicht diese kühle Fassade, die mich immer umgab.
Ich ließ meine Mauer fallen und alles donnerte auf mich ein wie bei einem stürmischen Gewitter.
Es war schrecklich.

Das Erste, was mir die Luft nahm, war Luis.
Sein Gesicht erschien wie ein großes Plakat vor meinem inneren Auge.
Er lachte, sah mich mit schmerzerfüllten Augen an oder blickte einfach nachdenklich an mir vorbei in den Wald.
Er fehlte mir bei jedem Atemzug und ich bereute es so sehr, mit ihm Schluss gemacht zu haben, egal wie richtig und notwendig und vernünftig diese Entscheidung gewesen war.
Tränen der Sehnsucht flossen über meine Wangen und ich schluchzte laut. Es war schrecklich ohne seine Nähe zu leben, doch es wäre noch viel schlimmer, wenn ich ihm weh tun, oder ihn sogar töten, würde.
Das könnte ich mir niemals verzeihen.

Danach wurde ich von weiteren enttäuschten Blicken bombadiert.
Alle die, die mir etwas bedeuteten sahen mich traurig an und dieses Mal kamen die Bilder nicht von Gabe Hanwen, waren keine Illusion, waren lediglich Erinnerungen.
Da war meine Mutter und sah mich anschuldigend an.
Dabei hatte sie mich doch mein ganzes Leben belogen. Ich hatte in einer Scheinwelt gelebt und das nur wegen ihr.
Sie hatte mir nicht ermöglicht mein Leben so zu leben, wie es mir bestimmt war und nur deswegen, war ich zu dem geworden, was ich jetzt war.
Der Moment, in dem sie gestorben war, hang mir noch lebhaft im Gedächtnis. Ich hatte mich zu ihr gelegt und bittere Tränen geweint.

Jetzt weinte ich auch, weinte hemmungslos wegen allen meinen bunten Gefühlen, die mich zu überwältigen drohten.
Nur dieses Mal war ich allein. Niemand war bei mir und niemand würde kommen, um mich zu trösten, denn jeder, der mir etwas bedeutete, war entweder tod oder ich hatte ihn von mir gestoßen.
Mein Körper fing an zu zittern und ich kniete mich unter dem Druck der Gefühle auf den Boden.
Sie waren stärker als ich und zwangen mich in die Knie.
Nachdem ich die Bilder der Anderen Personen mit aller Mühe wieder weggeschlossen hatte, war nur noch ein letztes durchdringendes Gefühl da, Hass.
Hass auf mich selbst, darauf, dass ich mich nicht unter Kontrolle hatte, dass ich mit Luis Schluss gemacht hatte und dass ich mich in einer Illusion eingeschlossen hatte, die eine Fassade vor meinem echten ich und eine Isolation zur Außenwelt war.
Alle Entscheidungen hätten anders getroffen werden müssen.

Ich drohte ohnmächtig zu werden, war noch nicht für meine Zukunft bereit. Ich versuchte meine Mauern wieder hochzufahren, aber es funktionierte nicht.
Ein Teil von mir wollte einfach nicht in mein künstliches Ich zurück verwandelt werden.
Das hier war echt.
Immer mehr Tränen schossen aus meinen Augen, ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und weinte bitterlich in die Stille des Waldes hinein.
'Du bist eine Kämpferin, Nia.
Du wirst das schaffen.', hörte ich Elysias glockenhelle Stimme in meinem Inneren.
Ich schüttelte stur den Kopf.
'Du weißt doch gar nicht, wie sich das anfühlt. Ich habe niemanden mehr.' Mit der Hand fuhr ich über den erdigen Boden und formte meine Finger zu einer Kralle.
Sie passte mehr zu mir, machte mir als Monster alle Ehre.

Da stand plötzlich eine riesige, schwarze Kralle neben meiner Hand, schien aus dem Nichts zu kommen. Ich zuckte zusammen und blinzelte mit verschleiertem Blick gegen das Mondlicht an.
Der Fenriswolf stand neben mir und blickte mich aus seinen feurig leuchtenden Augen an.
Er setzte sich langsam neben mich und stupste mich dann mit der Nase an, was sich anfühlte, als hätte er einen Blitz nach mir ausgesandt, der wie ein Licht durch mein hoffnungsloses, dunkles Inneres hindurchfuhr.

Endlich bekam ich mich unter Kontrolle, meine imaginären Mauern fuhren wieder hoch und ich atmete laut auf.
Ich hatte nicht erwartet, dass mich so viele Gefühle festhalten würden. Langsam hob ich den Blick und sah den Fenriswolf dankbar an.
Mit meiner immernoch zitternden Hand fuhr ich durch das weiche Fell des Wesens. Die Lehrer und die anderen Schüler bezeichneten ihn doch auch immer als Monster, aber das war er wirklich nicht.
Ganz im Gegenteil, er war ein wahrer Freund, der da war, wenn man ihn brauchte.
Fast musste ich lächeln.
'Du hast mich schon wieder gerettet. ', flüsterte ich.
Dann rutchte ich zu ihm rüber, schmiegte mich an ihn und genoss die seelige Stille. Stundenlang saß ich einfach nur neben dem Fenriswolf. Er gab mir etwas wichtiges zurück, dass ich bereits verloren geglaubt hatte. Ein kleines Licht, das wie eine fast erloschene Kerze in meinem Inneren gelodert hatte.

Dann flog eine Sternschnuppe über den Himmel.
Ich hielt die Luft an, bis sie verschwunden war, schloss anschließend fest die Augen und dachte an meinen tiefsten Wunsch. Dass ich meine Kräfte kontrollieren könnte und alles wieder werden würde wie vor der schrecklichen Nacht. Vielleicht würde dieser Wunsch ja irgendwann in Erfüllung gehen.
Die Hauptsache war doch eigentlich, dass ich am Leben war und das es mir, mehr oder weniger, gut ging.
Die guten Dinge bemerkte man meist viel weniger als die Schlechten.
Dabei gab es doch so viel Gutes auf dieser Welt und irgendwann würden auch die schlimmste Teile meines Lebens vergehen. Das hatte meine Mutter mir immer gesagt.
Sie hatte mich zwar in Bezug auf mein Leben angelogen, aber irgendwie hatte sie doch immer gewusst, was ich für mein Leben brauchen würde und hatte mir doch zu verstehen gegeben, worauf es im Leben ankam. Dafür war ich ihr mehr als dankbar.

Tief in mir keimte ein kleiner Hoffnungsfunke.
Hoffnung darauf, dass es Alles gut werden würde.
Hoffnung darauf, dass das Gute doch siegte.
Und Hoffnung auf eine schöne Zukunft. Auf das alles baute ich meine Träume auf, ließ meine Gedanken durch andere Welten schweifen, denn man musste nur lange genug auf sein Happy End warten, um es zu bekommen.
Bis zu meinem dauerte es eben noch eine Weile.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 25, 2017 ⏰

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