37# - Atemzug

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Ich warte mehrere Stunden im Flur. Frage mich die ganze Zeit was die beiden da so lange besprechen. Ob sie versucht ihn zu manipulieren, jetzt, wo er sich an die letzten Jahre nicht erinnern kann. Ich höre ein genervtes knurren.

,,Was dauert da so lange?", zischt Liam genervt. Ich zucke mit den Schultern.

,,Anscheinend haben die sich vieles zu sagen...", murmle ich niedergeschlagen. Plötzlich spüre ich eine Hand an meinem Arm.

,,Komm mit, ich hab' Hunger.", sagt Liam und zieht mich mit zu Fahrstuhl.

,,Aber was wenn sie gleich raus kommt?", frage ich ihn. Ich möchte Darrow sehen.

,,Da kannst du noch lange warten. Wahrscheinlich erzählt sie ihm ihre Lebensgeschichte.", sagt er und zieht mich in den Fahrstuhl.

*

In der Cafeteria setzen wir uns an einen Tisch und bestellen etwas zu essen. Ich sehe aus dem Fenster.
Die Presse hält anscheinend Wache um den Leuten sofort von Darrows Wohlbefinden berichten zu können. Viele Fans und Plakate sind zusehen. Er ist wirklich beliebt.

,,Jetzt greif schon zu. Das Essen ist zwar nicht das Beste, aber besser als vor Hunger tot umzufallen.", sagt Liam und schiebt sich Nudeln in den Mund. Ich nicke und fange an zu essen.
,,Du bist echt komisch.", höre ich ihn plötzlich sagen. Ich sehe ihn fragend an.
,,Na ja, du nimmst so viel auf dich. Ich will meinem Kumpel nicht in den Rücken fallen, versteh mich nicht falsch, aber was ist es, dass dich bei ihm hält? Dass es kein Geld oder Ruhm ist, ist mir inzwischen klar. Aber nach all dem, was du durchgemacht hast, würde ich verstehen wenn du ihn sitzen lassen würdest.", sagt er mit interessiertem Gesichtsausdruck.

Ich sehe auf meinen Teller und stochere nachdenklich im Essen rum.
,,Hm...", mache ich leise und zucke dann mit den Schultern.
,,Darrow ist der erste Mensch in meinem Leben, bei dem ich mich... Zuhause fühle. Ich weiß, er hat mir schreckliche Dinge angetan und auch vielen anderen Menschen. Das ist mir bewusst. Aber in der Zeit als ich bei Frederico war, hat er genauso gelitten, das hast du selbst gesagt. Er ist kein schlechter Mensch. Klar, er hat viele illegale Geschäfte am laufen und was weiß ich, aber im Grunde ist er ein Mann, dessen Vergangenheit nichts als Einsamkeit und Trauer gebracht hat. Ich verurteile ihn nicht, weil ich weiß, dass er mir das alles nicht aus Boshaftigkeit angetan hat. Seine ganzen Fehler sind seine Art und Weise sich zu schützen. Er hat nie von seinen Eltern gelernt wie man mit Enttäuschung umgeht. Er war immer allein, hat seit seiner Kindheit gekämpft und lässt sich deswegen schnell von seinen Gefühlen leiten. Das Geld, die Macht, die ganze Verantwortung... Das alles lässt ihn manchmal vergessen, dass er nicht einfach alles tun und lassen kann, was er will. Ich meine, er kann vieles tun, aber seine Position und das Fehlen einer Familie lässt ihn vergessen dass er manches nicht tun sollte. Er lernt und er bereut. Wenn er sich wieder erinnert, werde ich mich mit ihm hinsetzen und über alles mit ihm reden. Ich kenne ihn, er wird es sich selbst nie verzeihen, selbst wenn ich ihm verzeihe. Er ist ein Mann mit Fehlern, der versucht seine Verwundbarkeit auf falschen Wegen zu verbergen. Und diese Fehler habe ich zu lieben gelernt.", sage ich und stochere weiter in den Nudeln herum. Liam blinzelt mich ein paar mal überrascht an.

,,Ähm... Wow.", stammelt er verwundert.
,,Du... bist echt das was er braucht.", sagt er grinsend.
,,Weißt du, Darrow wollte sich der Polizei stellen, nachdem er herausgefunden hat, dass Ryan hinter allem steckt und du ihn nicht wirklich betrogen hast."

Ich sehe ihn verwirrt an.
,,Was?"
Er nickt ernst.

,,Er wollte sich weit weg in ein Gefängnis stecken lassen, damit du dein Leben ohne ihn fortsetzen kannst. Er wollte dass du dein Studium beendest, keine finanziellen Probleme oder sonstiges haben musst. Er hat Sebastian befohlen auf dich aus der Ferne aufzupassen. Er war so sehr am Ende, dass er sich nicht auf die Straße konzentrieren konnte und deshalb einen Unfall hatte. Wer weiß, vielleicht hatte er sogar vor sich dadurch umzubringen...", sagt Liam leise. Mir steigen ein paar Tränen hoch. Liam reicht mir eine Serviette die ich annehme.

His PrisonerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt