chapter 9

17 0 0
                                    

Als ich in meinem Zimmer aufwachte standen Herr Dr. Fentz und zwei Schwestern vor meinem Bett und blickten mir besorgt in die Augen. Der Arzt atmete ein wenig erleichtert auf als ich die Augen aufschlug und versuchte, sie auf scharf zu stellen.

„Ich habe dich schon einmal so aufwachen sehen und doch ist es jedes Mal aufs Neue wieder schlimm für mich." sagte er. „Okay Gabby, wärst du bereit mir einmal genau zu erklären was passiert ist?" Ich nickte ob wohl ich noch ziemlich weggetreten war. Diese Beruhigungsmedikamente hatten es echt in sich.

„Ich habe Bilder vor mir gesehen."

„Was für Bilder?"

„Vom Unfall. Von meinen Eltern. Und dann kam es mir so vor als hätte ich ihre Stimmen gehört. Ihre Schreie. Geräusche wie das Klirren der Scheiben. Der Unfall hat sich praktisch nochmal abgespielt. Nur eben in meinem Kopf. Ich habe versucht, das loszuwerden und as meinem Kopf zu bekommen, habe mir die Hände vor die Augen und an den Kopf gehalten. Es wurde nur schlimmer."

„Aha... Interessant." Nachdenklich hielt er sich die Hand an sein Kinn. Die eine Schwester notierte fleißig auf einem Block. „Und was denkst du hat diese Panikattacke in dir ausgelöst?"

„Ich, ich denke... Ich habe meine Freundin auf einer anderen Station besucht. Sie war alleine auf ihrem Zimmer. Das Bett war noch bezogen, aber leer. Ein Mädchen war gestorben. Ich weiß nicht genau wie ich den Tod des Mädchens mit dem meiner Eltern in Verbindung gebracht habe. Vielleicht wegen der Leere und der Trauer, die diesen Raum in dem Moment ausgefüllt haben. Ich verschwieg bewusst, dass es neben den aufgelisteten Gründen auch noch die Tatsache gab, dass ich die letzten Wochen meine Gefühle versteckt hatte.

Mir wurde plötzlich bewusst, wie sehr ich mich auf Jolina und ihr Befinden fixiert und dabei mich selber verdrängt hatte. Aber das war zu meinem Schutze gewesen. Meinem Schutz vor mir selber und meinen Gedanken und Gefühlen. Ich hatte mir eingeredet, dass ich alles, woran ich gedacht hatte, vergessen könnte und mit allem klarkommen könnte, indem ich es verdrängte. Je weniger Erinnernungen in mir hochkamen, desto besser. Dachte ich jedenfalls. Doch dieser Vorfall hatte mir nun gezeigt, dass dieser Plan keine Lösung war. Aber gab es überhaupt eine Lösung? So würde das alles jedoch nicht weitergehen können.

Als hätte der Doktor Gedanken lesen können wendete er sich mir nun nach langer Überlegung zu. „Gabby, ich bin Arzt in einem riesigen Krankenhaus, betreue jeden Tag und jede Nacht eine Menge Patienten. Ich bekomme nicht von jedem alles mit und es kann auch mir schon mal passieren, dass ich etwas übersehe. Ich glaube, dass ich von dir sehr viel weniger weiß als ich bisher dachte und da mich dein Schicksal sehr getroffen hat, bin ich sehr besorgt um dich und möchte dafür sorgen, dass du professionelle Hilfe bekommst. Vor allem auch, weil wir dich nicht mehr lange hier behalten können. Ich denke das weißt du, hm?" Als hätte das irgendwas gebracht schloss ich gequält die Augen für einen kleinen Augenblick. Ich wollte das alles nicht. Ich konnte das alles nicht. Und was sollte denn bitte eine Psychologin bringen? Die konnte meine Eltern auch nicht wieder zurückbringen. Da ich aber wusste, dass die Zeit bis zum Kinderheim nicht aufzuhalten war, fragte ich nur wie viel ich davon noch hatte. Als ich die Frage ausgesprochen hatte öffnete ich die Augen wieder und schaute ihn an. Ich konnte förmlich spüren, dass es ihm das nicht einfacher machte auf meine Frage zu antworten.

„Ich glaube, meine Befürchtung es würde mir leichter fallen auf deine Frage zu antworten wenn du mich nicht so ansehen würdest, würde sich nicht bestätigen. Die Antwort wäre die selbe und würde dich und auch mich genau so treffen. Aber ich will nicht noch mehr Drama machen. Also, eigentlich wollten wir dich übermorgen entlassen." Ich schloss meine Augen erneut um das Risiko auf Tränen zu verringern. Die Antwort hatte keine große Rolle gespielt. Ich wusste, dass mir nicht mehr viel Zeit blieb und dass ich das nicht ändern konnte.

Wie ein EngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt