chapter 12

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Aber nein. Es war nicht vorbei. Ich schlug meine Augen wieder auf. Und erkannte, dass ich mich im Krankenzimmer befand. Ich hatte es nicht geschafft. Sofort fing ich bitterlich an zu weinen. Die Krankenschwester eilte zu mir.

„Oh Gott, oh Gott! Kind was machst du denn für Sachen?" fragte sie, während sie besorgt den Kopf schüttelte.

„Ich hab es nicht geschafft. Ich bin nicht tot." flüsterte ich kaum hörbar. Ich schaute an mir herunter. Mein linker Arm war vom Handgelenk bis zum Ellbogen verbunden. Ich konnte die Wunde nicht sehen, fühlte aber die Schmerzen. Es tat unglaublich weh, aber noch viel mehr verletzte mich die Erkenntnis, dass ich noch lebte. Das darf nicht wahr sein! Dachte ich. Das darf einfach nicht wahr sein. Wie sehr muss Gott mich hassen, dass er mich so leiden lässt, mich nicht einfach gehen lässt? Schon zum zweiten Mal hatte ich den Tod nur knapp verfehlt. Ich hätte einfach sterben können. Die Stimmen von Mel, Lizzy und Aishe rissen mich aus meinen Gedanken. Ich war nicht mal froh darüber, dass sie da waren. Das hieß nämlich nur, dass ich mir Fragen über Fragen und Besorgnis und Mitleid anhören musste. Und das wollte ich mir gerade jetzt ersparen.

„Oh mein Gott, Gabby! Spinnst du oder was?" rief Mel während sie mir mit Tränen in den Augen um den Hals fiel. Ich hörte, wie auch die anderen beiden weinten. Doch die drei wendeten sich dann erstmal der Ärztin zu.

„Was genau ist denn passiert?"

„Ein Mädchen hat sie heute Vormittag auf der Toilette gefunden. Oder vielmehr hat sie Blut aus der Kabine laufen sehen und geklopft und gerufen, doch sie hatte keine Rückmeldung bekommen. Danach informierte sie sofort eine Betreuerin, die dann mit ihr zu den Toiletten gegangen ist und die Tür eingetreten hat. Ja und dann wurde ich gerufen, weil sie bewusstlos am Boden lag und sich den kompletten Arm aufgeschnitten hatte. Sie lag schon in einer richtigen Blutlache und wir dachten im ersten Moment sie wäre tot. Und davon war sie auch gar nicht so weit entfernt gewesen. Ich habe die vorläufige erste Hilfe übernommen während der Notarzt und der Krankenwagen unterwegs waren. Ihr Puls war ganz ganz schwach und sie atmete kaum noch. Dann ist sie mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gekommen und wurde dort weiter versorgt. Und vor ein paar Stunden ist sie dann wieder hier her gekommen. Sie ist noch ziemlich schwach und ich denke, sie braucht jetzt Ruhe. Hätten wir sie ein paar Minuten später gefunden, wäre sie wahrscheinlich tot gewesen. Sie hatte echt Glück."

Ich war zwar schwach, da hatte die Ärztin Recht, aber nicht zu schwach um zu hören, was sie sagten. Von wegen Glück. Es war mit das schlimmste, was mir passiert war, dass ich es nicht geschafft hatte.

„Wisst ihr denn, was ihr passiert ist oder warum sie hier ist?"

„Ähm, also wir wissen nur, dass sie einen Autounfall hatte und ihre Eltern dabei gestorben sind. Und wir wissen von ein paar Unannehmlichkeiten und anfänglichen Schwierigkeiten hier im Heim. Aber sie hat sich die letzten Tage extrem zurückgezogen. Sie hat kaum noch geredet, war sehr viel allein und hat sich total von uns abgegrenzt."

„Mhm. Das arme Mädchen kann einem ja wirklich leid tun. Suizid ist hier kein Einzelfall, aber das nimmt mich doch immer wieder mit." Die Ärztin machte einen sehr freundlichen Eindruck auf mich. Und obwohl ich dieses ganze Mitleid nicht wollte, tat ich mir in diesem Moment selbst ein bisschen leid.

„Frau Krenzer?" Ihren Namen wusste ich von Katrin. Sie hatte mir nicht nur die Räume und das Heim vorgestellt, sondern auch ein paar Namen. Die Ärztin drehte sich zu mir um. „Warum haben..." Ich musste abbrechen, weil ich so sehr weinte. „... Warum haben Sie mich nicht einfach sterben lassen?" Sie schaute mich entsetzt an und setzte sich dann zu mir und legte ihre Hand auf meinen rechten Arm.

Wie ein EngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt