Bereits nach wenigen Stunden kam ich mir vor wie eine Gefangene. Diese völlige Isolation machte mich krank. Noch mehr als ich es eh schon war. Der härteste Kampf meines Lebens begann. Der Kampf mit mir selber. Ich musste gegen meine eigenen Gedanken ankommen und das war das härteste, was mir bevorstand. Ich versuchte, mich auf die Worte von Frau Krenzer zu konzentrieren. Sie hatte gesagt, dass bessere Zeiten kommen würden. Und sie musste Recht haben, denn schlimmer konnte es ja jetzt nicht mehr kommen. Das hier unten war die Härte. Es würde wirklich nur noch besser werden können von jetzt an! Ich redete mir ein, dass ich davon überzeugt war. Und dann musste ich an die Zukunft denken. Daran, wie es mit Jayden weiter gehen würde. In dem Moment wurde mir klar, dass es wirklich noch schlimmer kommen konnte. Das allerschlimmste, was mir nun noch passieren konnte, war, ohne ihn hier raus zu kommen oder umgekehrt. In der jetzigen Situation befanden wir uns wenigstens noch im selben Haus. Ein kleiner und sehr schwacher Trost. Aber was wäre, wenn einer von uns abgeholt werden würde? Dann wäre alles, was gerade dabei war mich und ihn wieder aufzubauen, weg. Einfach weg. Aber daran durfte ich jetzt auch nicht denken, denn das machte mich nur noch trauriger. Ich musste nun erst einmal am hier und jetzt festhalten. Ich musste an seine Worte denken. Er hatte gesagt wir schaffen das zusammen. Ich schmunzelte in mich hinein. Woher ich die Kraft nahm daran festzuhalten wusste ich nicht.
Es hielt auch nicht lang. Die Lampen wurden nachts nicht ausgestellt, was mich anfangs sehr erleichterte. Doch es erwies sich als das komplette Gegenteil. Ich verlor jegliches Zeitgefühl und konnte mich nur an den gebrachten Mahlzeiten und Medikamenten orientieren. Die brachten mich zusätzlich jedoch komplett durcheinander.
Nach einiger Zeit, ich schätzte es waren acht Tage die vergangen waren, war ich kurz davor aufzugeben. Meine Kräfte hatten mich verlassen und ich drohte zu verzweifeln. Doch dann kam mir der rettende Einfall. Ich betrachtete das Bett, hockte mich daneben und rückte die Matratze ein wenig herunter. An der Stelle zwischen den Federn und dem Bettgestell befand sich so ein Teil, was zur Befestigung diente. Not machte erfinderisch. Es war eine win win Situation für mich. Es ließ mich nicht nur den Druck stillen sondern war auch eine Möglichkeit vielleicht hier raus zu kommen. Es war locker genug, um es zu lösen und spitz genug um damit das anzustellen, was ich vorhatte. Es war klein und länglich und sehr spitz. Ich wusste gar nicht wie man das Ding nannte. Jedenfalls trennte ich es heraus, schob die Matratze wieder in gewohnte Position und hockte mich in eine Ecke auf den Boden. Doch mir fiel ein, dass ich gar nichts hatte um das ganze Blut abzutupfen und wegzuwischen. Aber in der nächsten Sekunde war mir das auch schon egal. Die wussten das hier eh schon seit meinem ersten Versuch. Ich konnte es vor denen nicht mehr verstecken. Und dann begann ich zu schneiden. Einmal, zweimal, dreimal... dreißigmal. Auf meinen Armen war schon kaum Platz mehr und so musste ich am Bein weiter machen. Dort ging es sogar fast noch tiefer, tat aber nicht ganz so weh wie am Arm. Und dann konnte ich auf einmal weinen. Endlich. Ich saß mittlerweile in einer Blutlache und meine Hände waren nun so zittrig, dass ich nicht mehr weiter schneiden konnte. Vor lauter Schmerzen spürte ich schon nichts mehr und ich hatte eine Sekunde lang das Gefühl, dass ich verbluten könnte. Mein kompletter rechter Oberschenkel und ein Stück vom linken waren aufgeschnitten und blutüberströmt. Meine Arme ebenfalls. Nicht nur die frischen Schnitte, auch die etwas älteren platzten auf. Ich schrie. Ich schrie so laut und so verzweifelt, dass ich dachte, das gesamte Heim hätte mich gehört. Aber nein, mich hörte niemand. Ich wusste nicht mal den genauen Grund warum ich so schrie. Ob es ein Schrei nach Hilfe, nach Erlösung war oder wirklich nur Verzweiflung? Oder war es, weil mir bewusst wurde, wie schwach ich eigentlich war, dass ich meinen ganzen Körper aufschnitt? Den genauen Grund für die Selbstverletzung rückte in den Hintergrund, man hatte einfach eine Sucht entwickelt. Eine Sucht nach etwas, dass einem den seelischen Schmerz erträglicher machte. Unglaublicher Hass auf mich und auf, ich weiß nicht genau wen, aber dass das alles passierte, staute sich in mir auf. Und ich glaubte, dass mein Schreien auch eine Art war, das alles rauszulassen. So lang hatte ich geschwiegen und das alles in mich hineingefressen, aber irgendwann ging das einfach nicht mehr. Irgendwann drehte jeder Mensch durch, selbst die stärkste Person. Mir wurde bewusst, dass ich an einem Punkt angelangt war, wo ich nie hinwollte. Und vor ein paar Jahren hätte ich mir unter keinen Umständen vorstellen können, dass ich mal das Mädchen sein würde, das durch Selbstverletzung und Suizid versuchte, sich zu betäuben und seine Gefühle zu verdrängen. Und nun war es so. Das war nichts als die traurige Wahrheit. Mir fiel das Ding aus der Hand und ich betrachtete die Blutlache, die mittlerweile schon fast zu einem See geworden war. Meine Hose hatte ich ausgezogen und aufs Bett geschmissen. Mein Blut zu sehen tat mir so gut und ich kam mir so schrecklich erbärmlich vor, so zu denken. Und auf einmal wurden meine Schreie erhört. Etwas bewegte sich an der Tür und kurz darauf ging sie auf.
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Wie ein Engel
Teen FictionGabby ist 14 als sie ihre Eltern bei einem Autounfall verliert. Sie selbst wacht nach einer Woche im Koma im Krankenhaus auf. Nach wenigen Wochen verliert sie jedoch auch noch ihre Oma, die aufgrund eines Schwächeanfalls ins Altersheim muss. Völlig...