chapter 14

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Drei Tage waren vergangen seit Jayden weg war. Ich hatte weder gegessen, noch geschlafen, stand unter Beruhigungsmedikamenten und hatte kaum etwas anderes getan als mit der Kette in meiner Hand auf dem Bett zu liegen und an die Decke zu starren. Ich war leer, einfach nur leer. Fühlte seit den Medikamenten auch kaum noch Schmerzen. Doch ich war nicht sicher, was schlimmer war.

Diese Leere fraß mich auf. Oder sie hatte mich schon aufgefressen. Die anderen hatten mehrmals versucht mich anzusprechen. Ich hatte nicht reagiert, nur den Kopf bewegt und wieder zurückgedreht. Der Schwindel überfiel mich selbst im Liegen. Aufgestanden war ich nur um auf die Toilette zu gehen. Ich hatte auch nicht mehr geduscht. Es war mir egal. Ich war mir egal. Vom einen Moment auf den anderen überstürzte mich das Verlangen nach Blut. Wie bei einem Vampir. Die Klinge war das einzige, was mir in meinem Leben noch übrig geblieben war. Ich wollte Blut und das Verlangen brachte mich auf die Beine. Ich bekam eine Art Tunnelblick und steuerte entschlossen zu meinem Kulturbeutel. Hemmungslos zog ich meine Hose runter und wollte mir das Metall ins Fleisch rammen, als sich Aishe und Lizzy auf mich stürzten.

„HÖR AUF!" Sie schrien mich an. Ich schrie zurück. Einen Schrei nach dem nächsten. Ich warf die Klinge gegen die Wand. Mit solch einer Kraft, dass sie fast kaputt ging. Meine plötzliche Wut brach so aus mir heraus, dass ich vor mir selbst erschrak. Ich schrie einfach nur, presste mir die Hände an den Kopf und riss mir fast meine Haare dabei raus. Ich sprang auf und schlug gegen die Wand, immer noch schreiend, und so fest, dass ich vor Schmerz noch mehr schreien musste.

Ich schrie so lang, bis mich die beiden schließlich zur Ärztin gebracht hatten. Dies Mal war meine Hand wirklich verletzt. Sie fühlte sich an wie zwanzig Mal gebrochen, doch sie war nur verstaucht. Ich bekam eine Salbe und einen Verband. Danach wurde ich sofort zur Psychologin geschickt.

„Gabby erzähl, was ist los?"

„Mein Freund ist weg."

„Mhm. Hat er etwas da gelassen? Oder dir etwas gegeben?"

„Ja." Ich holte die Kette aus meiner Hosentasche. Ich trug sie immer bei mir. „Er hat gesagt, ich soll sie halten wenn es mir schlecht geht. Sie... Sie hat eine sehr wichtige Bedeutung für ihn. Sein Vater hatte sie ihm geschenkt. Er ist an Krebs gestorben als Jayden fünf war. Er ist eingeschlafen während sein Sohn in seinen Armen lag. Jayden sagte mir er hätte ihn wecken wollen aber er sei nicht mehr aufgewacht. Die Mutter erkrankte schon bei der Diagnose und Beginn der Krankheit ihres Mannes an Alkoholsucht. Es wurde immer schlimmer. Als er dann schließlich gestorben war prügelte sie ihren Sohn fast bewusstlos. Sie gab ihm die Schuld daran, warum wusste kein Mensch. Wahrscheinlich konnte sie es nicht begreifen und wollte sich nicht eingestehen sich nicht sorgfältig um ihren Mann gekümmert zu haben. Jayden hat erzählt, dass sie immer öfter das Haus verließ und oft rum schrie wenn sie dann zu Hause war weil es ihr alles zu viel wurde. Sie ging mittags weg, kam teilweise erst morgens wieder, ging feiern, verhielt sich wie ein Teenager. Sie verabreichte ihrem Mann die nötigen Medikamente oft nicht oder schlief auf der Couch weil sie den dauernden Husten nicht ertrug wenn ihr Mann kaum noch Luft bekam. Jayden war zu jung um das alles zu verstehen, er hatte einmal seinen Vater gefragt welche Krankheit er hatte. Sein Vater hätte ihn überfragt angeschaut und ihm erklärt, dass etwas ganz Böses in seinem Körper steckte, was ihn kaputt machte. Mehr konnte er ihm nicht sagen. Seine Mutter sprach mit ihm nicht über solche Dinge. Wenn er sie bat, Vaters Krankheit zu erklären, schrie sie ihn an, er habe seinen Mund zu halten. So etwas frage man nicht, hatte sie ihn angebrüllt. Aber er war neugierig, er wollte verstehen..." Ich atmete kurz und machte eine kleine Pause.

„Lass dir ruhig Zeit." Beruhigte mich Frau Stein.

„Er rannte zu seiner Mutter wenn sein Vater fast erstickte und husten musste oder andere Symptome sich bemerkbar machten. Irgendwann war die Mutter so krank und alkoholisiert, dass sie ihn in die Besenkammer stecke, von außen abschloss und das Licht ausmachte. Sie hatte ihm mehrere Backpfeifen verpasst und ihm eingepredigt er sei böse, ganz böse. Manchmal ließ sie ihn mehrere Stunden in dem kleinen dunklen Raum. Sie ließ ihn erst wieder raus, wenn sie Lust dazu hatte und dann schickte sie ihn aufs Zimmer. Einmal hatte sie sogar gesagt er würde seine Mutter genauso kaputt machen wie die Krankheit den Vater. Er hatte schlimm geweint, öfters. Und geschrien, wenn er wieder geschlagen oder getreten wurde. Je kränker der Vater wurde umso brutaler wurde die Mutter. Sie nutzte die Ohnmacht und die Unfähigkeit ihres Mannes, etwas gegen die Gewalt zu tun, schamlos aus. Jayden war fest überzeugt, dass es eine schlimmere Qual für seinen Vater gewesen war wenn er seine Schreie hörte und nichts tun konnte als seine eigene Krankheit. Er hatte seinem Sohn immer schon mehr Liebe gegenübergebracht als die Mutter. Sie hatte nie zuvor Gewalt angewendet, aber sie schätzte und pflegte ihr Familienleben eben kaum. Wie gesagt, trotz ihres Alters ging sie gern und oft feiern, nach der Arbeit ging sie mit anderen aus ohne Bescheid zu sagen und kam erst spät in der Nacht zurück, tagsüber schlief sie viel weil sie müde von den Partys war und sie erschien zu keinem Elternsprechtag, zu keiner Schulveranstaltung und machte sich keine Gedanken um Arztbesuche und dergleichen. Der Vater war immer die Person gewesen, die in Jaydens Leben die wichtigste Rolle spielte. Er konnte ihm alles sagen, alles mit ihm unternehmen und immer mit ihm lachen. Und dann wurde ihm diese Person genommen und der kleine Junge wusste nicht mehr, wie er im Leben klar kommen sollte. Mit einer Mutter, die ihn beinahe tot prügelte, ihn einsperrte und fast umbrachte. Nach dem Tod des Vaters wurde sie in eine Psychiatrie eingewiesen." Erneut brauchte ich eine Pause. Als ich die Geschichte von Jayden erzählt bekommen hatte, war es schon schwer genug gewesen. Aber das alles selbst zu erzählen kostete eindeutig mehr Kraft. „Am schlimmsten war für Jayden die Ungewissheit wenn er eingesperrt war. Nicht zu wissen ob sein Vater jede Sekunde sterben könnte oder ob es noch nicht so weit war, zerstörte ihn. Bis heute ist für ihn die Ungewissheit seine größte Angst neben Klaustrophobie. Er fürchtet auch noch heute die Dunkelheit, konnte das jedoch in einer Therapie einigermaßen behandeln lassen. Er sagte mir, dass er ohne die Therapie nicht alleine klar gekommen wäre, das alles nicht verkraftet hätte. In der Therapie hat er endlich verstanden, warum sein Vater sterben musste. Und das war doch alles, was er wollte. Er wollte es nur verstehen um es akzeptieren zu können. Es hat lang gedauert, sehr lang. Die Therapie begann er mit fünfeinhalb und beendete sie mit zehn. Seit dem geht er nur noch ein paar Mal im Jahr zum Psychologen. Seit ich seine Geschichte kenne, verstehe ich warum es für ihn so schwer ist mich hier zurück zu lassen und nicht zu wissen wie es mir geht oder ob ich überhaupt noch lebe. Es ist fast wie bei seinem Vater und ich weiß gar nicht wie er das aushält. Es sind jetzt drei Tage vergangen und... Und ich vermisse ihn so schrecklich. Ich weiß nicht wie ich das schaffen soll ohne ihn. Ich weiß es wirklich nicht. Bitte helfen Sie mir!"

Wie ein EngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt