Kapitel 1

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Wenn ich an Beerdigungen dachte, waren sie immer trüb. Düsteres Wetter, Wolken, vielleicht auch Regen. Welke, trockene Pflanzen, kahle Bäume. Ganz gewiss brachte ich Beerdigungen nicht mit Sonnenschein, fröhlichem Vogelgezwitscher und bunten Frühlingsblumen in Verbindung.

Doch genauso war das Begräbnis meiner besten Freundin Kira.

Ich konnte es immer noch nicht glauben, auch nicht in dem Moment, als ich eine rosa Orchidee auf das frische Grab legte. Kira hatte Orchideen geliebt und rosa war bei diesen Blumen ihre Lieblingsfarbe gewesen. Auch ihr Sarg war mit rosa Orchideen und weißen Lilien geschmückt gewesen. Es hätte ihr gefallen. Der Gedanke trieb mir die Tränen in die Augen. Kira würde nie wieder etwas gefallen. Ich wischte mir über die Wangen und blickte mich um. Die anderen Trauergäste waren bereits fort, ich sah noch zwei Mädchen um eine Ecke biegen. Außer Kiras Familie und ihren engsten Freunden waren auch noch viele Mitschüler hier gewesen. Die Nachricht ihres Todes hatte uns alle geschockt und die meisten konnten gar nicht glauben, dass Kira sich selber das Leben genommen haben sollte.

Ich glaubte es auch nicht.

Kira war so glücklich gewesen in den letzten Wochen. Wir standen kurz vor dem Abi, ihre Noten waren prima und seit kurzem war sie mit ihrem neuen Freund Jonathan zusammen gewesen, der sie regelrecht auf Händen trug. Warum hätte sie sich in dieser Situation umbringen sollen? Zudem gab es noch etwas, was mich an einem Selbstmord zweifeln ließ. Unwillkürlich wanderte meine Hand zu meiner schwarzen Tasche, die ich heute mitgenommen hatte und in der mein Handy ruhte. Als mir Kiras Mutter erzählt hatte, dass man Kira im Park tot aufgefunden hatte, waren mir die letzten Nachrichten meiner besten Freundin sofort eingefallen und ich hatte sie erst Kiras Eltern und dann auch der Polizei gezeigt.

Kira hatte sich verfolgt gefühlt.

Sie hatte mir das auch geschrieben, aber ich hatte alles nur auf den Prüfungsstress geschoben. Zwar war Kira schon immer eine gute Schülerin gewesen, aber hier ging es nicht mehr nur um eine einfache Klassenarbeit, hier ging es um unser Abi. Natürlich wollten wir da beide besonders gut abschneiden und ich hatte einfach gedacht, dass sie nervös war und sich ihre Sorgen so bemerkbar machten. Mittlerweile machte ich mir Vorwürfe, dass ich ihre Ängste nicht ernster genommen hatte. Warum hatte ich bloß alles so abgewiegelt? Wir hätten mit ihren Eltern und der Polizei reden müssen, sicher hätten die doch etwas tun können. Vielleicht war es ein Stalker gewesen, der Kira für sich wollte und sie aus Eifersucht umgebracht hatte, weil sie mit Jonathan zusammen war. Möglicherweise hatte ich zu viele Krimis gelesen und schaute zu viele Nachrichten, aber ausschließen konnte man so etwas nun auch nicht. Immerhin war es doch ein sehr seltsamer Zufall, dass sie mir diese Nachrichten schickte und nur wenige Tage später tot war.

Ich verabschiedete mich leise von Kira und machte mich auf den Heimweg. Kiras Eltern hatten keine große Trauerfeier nach der eigentlichen Beerdigung geplant, sie wollten den Tag mit der Familie verbringen, was ich auch verstehen konnte. Ich hätte es wohl nicht anders gewollt, wäre ich an ihrer Stelle gewesen. Am Haupttor erwartete mich eine Überraschung. Jonathan stand dort, die Hände tief in den Jackentaschen vergraben und den Blick auf den Friedhof gerichtet. Als er mich erblickte, nahm er die Hände aus den Taschen und machte einen Schritt auf mich zu.

"Hey", begrüßte er mich, als ich ihn erreicht hatte.

"Hey." Einen Moment standen wir schweigend da, bis er auf die Straße wies.

"Soll ich dich mitnehmen?"

"Hast du hier extra auf mich gewartet?" stellte ich eine Gegenfrage, setzte mich aber auch direkt wieder in Bewegung. Jonathan steckte die Hände zurück in seine Jackentaschen und zuckte kurz mit den Schultern.

Dreizehn MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt