Kapitel 5

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Zwar war ich am nächsten Morgen nicht so gerädert wie am Vortag, aber mich ließ die Frage nicht los, was es mit dem fremden Namen in meinem Notizblock auf sich hatte, der sich als leises Wispern durch meine Träume gezogen hatte. Auch als mein Handywecker klingelte, glaubte ich noch immer eine leise Stimme zu hören, die "Grit Wendel" flüsterte. Ich schüttelte den Kopf, um so die Reste meiner Träume auch von mir abzuschütteln, danach machte ich mich für die Schule fertig. Während ich mich anzog, schlug Vino mit einer Pfote in die Luft. Vielleicht hing da eine Spinne, mit der er gerade spielte. Ich musste selten Spinnen oder Käfer aus meinem Zimmer entfernen, unsere Katzen jagten sie tatsächlich gerne und hielten das Haus so sauber. Allerdings störten mich Spinnen auch nicht weiter, Nachtfalter fand ich viel schlimmer. Aber ein Nachtfalter hätte nicht ruhig in der Luft gehangen.

Auf dem Weg zur Schule bekam ich eine Nachricht von Britta, die mir mitteilte, dass sie einen ersten Entwurf für Kiras Seite hatten. Wir trafen uns am Haupteingang und sie gab mir eine Kopie, damit ich das Okay von Kiras Eltern einholte. Sie würden die Seite sicher mögen. Eigentlich war es sogar eine Doppelseite. Die erste zeigte das Foto von Kira im Urlaub, auf der anderen waren ein paar Zitate und Anekdoten von Kira drin. Britta und die anderen vom Jahrbuchteam hatten schon das ganze Jahr über alles mögliche gesammelt und notiert für das Jahrbuch, sodass sie auch für Kiras Seite genug Material hatten. Ich musste leise lachen, als ich einen der Sprüche von Kira las. "Mathe? Latte? Ich weiß, was mir lieber ist." Daneben war ein Foto von Kira mit einer großen Kaffeetasse abgebildet. Eigentlich war sie keine große Kaffeetrinkerin gewesen, aber sie hatte eine Schwäche für Latte Macchiato gehabt.

Während des Unterrichts blickte ich immer mal wieder auf den Entwurf, sodass ich den Ausführungen meiner Lehrer nicht so richtig folgen konnte, da mich die Gedanken an meine beste Freundin ablenkten. Ein Gutes hatte dies allerdings - ich musste nicht mehr ständig über Grit Wendel nachdenken. Erst später, als ich in meinen Notizblock schaute, fiel mir alles wieder ein. Allerdings wollte ich momentan nicht mehr über Grit nachdenken, ich wollte Kiras Grab besuchen. Am Friedhof angekommen ging ich in die Gärtnerei, die an den Friedhof angrenzte, und kaufte eine rosafarbene Orchidee. Die Angestellte machte sie für mich zurecht und ich machte mich schließlich auf den Weg zu Kira. Als ich auf den Abschnitt einbog, wo ihr Grab lag, sah ich bereits jemanden dort stehen. Es war eine Frau, aber Katja konnte es nicht sein, deren Haare waren nicht ganz so lang. Je näher ich Kiras Grab kam, desto sicherer war ich, dass ich diese Frau nicht kannte. Sie war noch jung, nur wenige Jahre älter als ich, und sie blickte traurig auf Kiras Grab. Als ich neben sie trat, blickte sie auf.

"Hallo", begrüßte ich sie und auch gleichzeitig Kira, danach legte ich die Orchidee auf ihr Grab. Wie immer, wenn ich hier war, stiegen mir Tränen in die Augen. Dieses Mal blinzelte ich sie weg, da ich nicht vor der fremden Frau weinen wollte.

"Hallo", erwiderte diese meinen Gruß und ich blickte sie fragend an.

"Wer sind Sie?" fragte ich schließlich direkt und die Frau sah mich überrascht an, dann lächelte sie schwach.

"Mein Name ist Mareike Langer", stellte sie sich vor.

"Sind Sie eine Freundin von Kira?" bohrte ich nach, da ich mich einfach fragte, was die Frau hier machte. Sie war mir nicht bekannt, eine Verwandte von Kira war sie wohl nicht. Vom Reiterhof war sie auch nicht, aber irgendwoher musste sie Kira ja kennen. Zumindest konnte ich mir nicht vorstellen, dass man einfach an ein fremdes Grab ging.

"Nein. Ich ... habe vor einigen Tagen einen Artikel über Kiras Tod in der Zeitung entdeckt", erzählte Mareike und ich sah sie weiterhin fragend an. Sie atmete tief durch und holte etwas aus ihrer Handtasche. Es war ein ausgeschnittener Zeitungsartikel. Ich erinnerte mich natürlich an ihn. Darin wurde über Kiras Tod berichtet und gerätselt, was passiert war. Schließlich war die Polizei von Anfang an nicht ganz sicher gewesen, dass es sich um Selbstmord handelte, auch wenn ich nicht wirklich wusste, woran sie das festgemacht hatten. Aber immerhin war das ihr Job, sie wussten natürlich, was sie taten und warum sie so etwas vermuteten. Mareike wies auf das Bild von Kira, das nur wenige Tage vor ihrem Tod entstanden war. "Ihr Armband ist mir aufgefallen", fuhr sie mit leiser Stimme fort. "Meine Schwester hatte das gleiche."

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