Kapitel 16

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Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Jonathan war mir tatsächlich nicht böse, wir klärten das Missverständnis gleich am nächsten Tag. Dabei verriet er mir, dass er auch noch ein ganz altmodisches Telefonbüchlein führte, einfach ein schlichtes Vokabelheft, das er sich vor Jahren zugelegt hatte. Ich besorgte mir auch eines, um meine Kontakte nun schriftlich festzuhalten. So waren die zumindest nicht verloren, wenn doch mal mein Handy den Geist aufgab. Auch ein neues Ladekabel kaufte ich mir. Zwar hatten wir noch ein oder zwei Ersatzkabel zu Hause, aber ich hatte lieber mein Eigenes.

Mein Auslandsjahr würde dafür leider doch etwas warten müssen, aber das machte gar nichts. Ich besprach mit meinen Eltern, dass ich in der Zeit bis dahin jobben wollte. Es gab einige Jobs, die sich auch an ungelernte Kräfte richteten, da würde ich etwas finden. Unser Abiball stand immerhin auch bevor, weswegen meine Gedanken an Kiras Mörder ein wenig in den Hintergrund rückten. Ich nahm Abstand von der Idee den Antiquitätenladen noch einmal aufzusuchen, zumindest in der nächsten Zeit. Motiviert von dem Gedanken an den Abiball und mein Auslandsjahr schrieb ich meine ersten Bewerbungen und als ich Jonathan erzählte, dass ich einen Job suchte, bot er mir an meine Bewerbung in dem Bistro einzureichen, in dem er auch jobbte. Sie brauchten jemanden für die Theke.

Die Vorstellung mit ihm zusammenzuarbeiten ließ mich zögern, dann schob ich meine Bedenken beiseite. Was meine Mitschüler – ehemaligen Mitschüler – auch denken mochten, ich hatte kein Interesse an Jonathan. Das würde sich auch nicht ändern, wenn wir durch den Job mehr Zeit zusammen verbrachten. Zumindest vermutete ich das. Also nahm ich sein Angebot an und schickte ihm per E-Mail meine Bewerbung und meinen sehr übersichtlichen Lebenslauf. Er wollte sie ausdrucken und gleich am nächsten Tag mitnehmen.

Und schließlich war er da – der Tag des Abiballs.

Lena hatte keine Lust daran teilzunehmen, nachdem ich ihr erklärt hatte, wie es sein würde, daher übernachtete sie an diesem Samstag bei einer Freundin, um den Abend nicht allein zu Hause zu sein. Meine Eltern wollten am ersten Teil – der offiziellen Zeugnisausgabe, der Verteilung der Abibücher und dem Buffet – teilnehmen, aber danach, wenn die Party losging, würden sie nach Hause fahren. Mich störte das nicht, ich brauchte meine Eltern und Lena nicht in der Nähe, wenn ich mit meinen Freunden und Mitschülern feierte und etwas trank.

Katja kam am frühen Nachmittag zu uns, um mir die Haare zu machen. Sie und Matthias würden nicht mehr zum Abiball kommen, sie hatte mich bereits gebeten ein Abibuch für sie mitzunehmen. Wir sprachen über mein Auslandsjahr und ich musste kämpfen, nicht gleich loszuheulen, weil ich immer an Kira denken musste. Als ich Katjas feuchte Augen sah, verlor ich den Kampf. Wenigstens war ich noch ungeschminkt, sodass ich mein Make-Up nicht neu machen musste. Sonst hätte ich nun genauso schwarze Streifen im Gesicht gehabt wie Katja.

Nachdem sie sich kurz das Gesicht gewaschen hatte, kehrte sie zu mir zurück und beendete meine Hochsteckfrisur. Sie war wirklich gut darin, Kira und ich hatten sie schon vor Monaten bequatscht, uns zum Abiball die Haare zu machen. Ich bedankte mich bei ihr und umarmte sie zum Abschied fest.

Sonst dachte ich selten daran, nun aber war mir wieder bewusst, wie hart die ganze Situation für Katja sein musste. Ich vermisste Kira bereits unbändig und dabei waren wir nur Freundinnen gewesen. Katja hatte ihre Tochter verloren. Das musste schlimm sein. Irgendwie konnte ich die Sorgen meiner Eltern nun doch ein wenig besser verstehen. Früher hatten sie mich eher genervt, wenn sie mich ermahnten vorsichtig zu sein, aber nun ... Ich wollte nicht, dass sie das gleiche durchmachen mussten wie Katja und Matthias. Allerdings lag es auch nicht in meiner Hand. Egal wie vorsichtig ich auch war, passieren konnte immer etwas.

Ich vertrieb meine Gedanken und begleitete Katja noch zur Tür. Lena war noch da und folgte mir ins Badezimmer, um mir beim Schminken zuzusehen. Sie wollte auch etwas ausprobieren und so kramte ich in meinen Schminksachen, bis ich einen beinahe farblosen Lipgloss fand. Das war für meine kleine Schwester wohl okay. Strahlend tupfte sie ihn auf ihre Lippen und machte schließlich einen Kussmund, was mich kichern ließ.

Dreizehn MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt