Kapitel 23

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Zu Hause fand ich mich vor dem Problem wieder, dass ich nicht wusste, wo ich das Kästchen aufbewahren sollte. Wenn Lena mal etwas bei mir suchen sollte, würde es ihr ins Auge stechen. Meine Mutter konnte ich auch nicht fragen, dann hätte ich ihr beichten müssen, dass ich bei dem Laden gewesen war. Oder ich hätte sie schon wieder anlügen müssen, dass ich das Kästchen schon länger hatte, und das wollte ich nicht.

Schließlich packte ich es in die unterste Schublade des Kleiderschrankes, wo ich dicke Strumpfhosen aufbewahrte, die ich ohnehin kaum trug. Hier würde Lena sicher auch nicht reinsehen.

Als ich gerade Kiras Kette wieder aus meiner Tasche nahm, hörte ich ein Kratzen vom Fenster her. Erschrocken fuhr ich herum, doch da saß nur Brina, die an die Schnur der Jalousie gekommen war. Ich konnte sie noch leicht schwingen sehen. Leise seufzend verstaute ich die Kette im Schrank, nur um gleich darauf wieder zusammenzuzucken, als Brina plötzlich fauchte und aus dem Zimmer jagte.

Mit der Hand noch an der Schranktür blickte ich zum Fenster. Mein Herz raste nicht, ganz im Gegenteil, es schlug erstaunlich langsam und ein Topf heißes Gelee schien in mein Innerstes ausgeleert worden zu sein. Irgendwas musste Brina erschreckt haben. Vielleicht war jemand im Garten. Es begann bereits zu dämmern, ich hatte mir für den Rückweg Zeit gelassen.

Und nun jagte Brina einfach so aus dem Zimmer.

Ich leckte mir über die trockenen Lippen und ging langsam auf das Fenster zu. Vielleicht schlich ein Einbrecher durch den Garten, der irrtümlich glaubte, es sei niemand zu Hause. Vielleicht war eine fremde Katze auf dem Grundstück. Oder vielleicht war da auch jemand ganz anderer. Jemand, den ich nicht hier haben wollte.

Zu sehen war nichts. Die Amseln sangen fröhlich in den Sträuchern und zwei Tauben trotteten nebeneinander über den Rasen, vermutlich auf der Suche nach etwas Essbarem. Aber ich sah niemanden, der sich zwischen die Sträucher duckte, und da war auch kein massiger Schatten, der sich drohend vor meinem Fenster auftürmte.

So absurd die Vorstellung auch war, mir wurde in diesem Moment bewusst, dass ich das tatsächlich für einen kurzen Augenblick erwartet hatte. Einen Schatten, der sich auf mich stürzte. Nichts Körperliches – keinen Menschen. Einfach nur ein Ding, das sich durch ein Fenster nicht aufhalten ließ, sich auf mich stürzte, mich erstickte oder mir irgendwelche Tabletten aufzwang.

War ich schon so verzweifelt, dass ich jetzt auch nach einer übernatürlichen Lösung für Kiras Tod suchte? Anders konnte ich mir diese Gedanken nicht erklären. Seufzend schloss ich die Jalousien und bereute es schon im nächsten Augenblick, denn es wurde sofort dunkler im Raum. Zwar wusste ich, dass ich allein im Zimmer war, aber dennoch fühlte ich mich wieder beobachtet.

Schnell hastete ich zum Lichtschalter und natürlich musste mir mein Gehirn jetzt all diese kleinen, fiesen Geschichten wieder in Erinnerung rufen, die ich bisher gelesen oder in Filmen gesehen hatte. Die Hände, die unter dem Bett hervorgriffen. Die kalte Hand, die auf dem Lichtschalter lag. Das Knarren der Schranktüren, die sich öffneten, um das Grauen herauszulassen. Die glühenden Augen, die man aus dem Augenwinkel sah.

Ich betätigte den Lichtschalter in genau dem Moment, als etwas meine Wade berührte.

Ich schrie erschrocken auf, aber in dem nun hellen Licht erkannte ich Vino, der gerade an mir vorbeigegangen war und mich nun fast irritiert ansah, als wolle er fragen, warum ich denn schreie. Erleichtert sackte ich gegen den Türrahmen und verlieh mir gedanklich den Titel Idiotin.

Was oder besser gesagt wer sollte mich denn sonst an der Wade berühren, wenn nicht eine unserer Katzen?

Da waren keine Hände, die unter meinem Bett hervorlugten oder aus dem Schrank heraus nach mir griffen. Keine Augen, die mich beobachteten und sich nun im Licht einfach in Luft auflösten. Das waren alles nur meine überreizten Nerven. Ich fühlte mich beobachtet, weil Mareike und ich uns soviel über Kiras und Isabelles Mörder unterhielten, weil ich diesen Zettel bekommen hatte und weil ich schlicht Angst hatte. Meine Fantasie gaukelte mir etwas vor.

Dreizehn MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt