Kapitel 7 - Wissen

884 43 1
                                    

Helens Sicht:

Die Müdigkeit überrollte mich am Morgen wie eine gewaltige Flutwelle. Während den Stunden in der Nacht, nachdem ich noch schnell im Krankensaal gewesen war, blieben meine Augen einfach nicht geschlossen.
Jede gefühlte Minute hatte ich ruckartig meine Augen aufgeschlagen, um meine Gedanken halbwegs aus meinem Kopf zu verscheuchen. Meine Gedanken, aber eher meine Erinnerungen an den gestrigen Abend versuchten mich wieder wo anders hinzutragen, doch ich kämpfte angestrengt dagegen an.

Wieso hatte ich ihn noch einmal geküsst?

Ach ja, weil ich eine hoffnungslose Idiotin war und keinen Alkohol vertrug. Schlussendlich stürmten die Erinnerungen wie ein Wasserfall meinen Verstand. Es hatte sich alles so schnell und unerwartet abgespielt.
Auf einmal hatte er mich aufgehoben und auf das Bett gelegt, schlussendlich waren meine Lippen seinen viel zu nahe gewesen...

Tief in meinem Inneren wusste ich eigentlich, dass mein Unterbewusstsein für mich die Initiative ergriffen hatte, um das Problem mit der verzauberten Türe zu lösen. Diese Hoffnung auf Besserung meiner ansonst katastrophalen Menschenkenntnis war beängstigend, denn vormittags war ich noch beleidigt, dass ich mit ihm in einem Projekt für Zaubertränke war und abends verlor ich alle Hemmungen küsste ihn einfach?
Ihn, Draco Malfoy, der Mistkerl schlechthin?

Frustriert schüttelte ich meinen Kopf und konzentrierte mich auf die schlichte Realität. Ich saß wieder einmal beim Frühstück und stocherte in meinem Haferbrei herum. Doch ein flüchtiger Blick zum Slytherintisch verdarb mir meinen angeblichen Hunger ganz und gar. Bewusst legte ich meinen Löffel auf die Seite.

"Keinen Hunger?", fragte Ron mit blitzenden Augen in Richtung meines Essens.
"Alles für dich...", entgegnete ich kühl und ließ meinen Blick wieder durch die Große Halle schweifen.

Unbewusst strich ich mir mit meiner gesunden Hand über meinen gebrochenen Arm. Zum Glück würde er in ein paar Tagen dank Madame Pomfreys Trank wieder verheilt sein.

"Harry, du liest seit gestern nur mehr in diesem Buch herum...", meinte Hermine etwas bissig.
Abwesend zuckte Harry seine Schultern und blätterte eine Seite in diesem besagten Buch um.
Neugierig fragte ich und blickte auf die alten Seiten: "Seit wann interessierst du dich für Zaubertränke und seit wann machst du dir so viele Notizen in einem normalen, abgestandenen Schulbuch, Harry?"
"Slughorn ist eben nicht Snape.", murmelte er und las begierig in diesem Buch weiter.

Verwirrt belächelte ich den lesenden Harry und tauschte mit Hermine einen vielsagenden Blick. Zwischenzeitlich aß Ron mein Frühstück auf.
"Ihr fragt gar nicht, was ich bei meiner Hand gemacht habe...", stellte ich etwas eingeschnappt fest, um diese Unterhaltung fortzuführen.
Ron schaufelte ohne Anzuhalten den Haferbrei in seinen Mund hinein und versuchte dementsprechend zu antworten: "Heute... gesprochen... Terry Boot... erzählt... stimmt... stimmt... das alles?"
Ein mulmiges Gefühl in meinem Magen ergriff mich und erschrocken riss ich die Augen auf. Ohne darüber nachzudenken fing ich anzulügen: "Terry Boot? Keine Ahnung, er war dermaßen betrunken, hat nichts mehr mitbekommen. Ähm, Zabini hat sich gestern einen Scherz erlaubt und mich auf die Party gelockt, ich bin danach sofort gegangen."

Es war ja nicht ganz gelogen, dass ich danach gleich gegangen war. Hermine sah mich misstrauisch an und ausgerechnet jetzt hob Harry seinen Kopf auch und sah mich ebenfalls abschätzig an.

"Das erklärt deinen Arm nicht.", bemerkte er. "Ach, ich dachte, ihr wisst Bescheid, wenn euch Terry Boot alles so genau erzählt hat.", zischte ich gereizt.
Ich nahm meine Tasche und stand vom Tisch auf.
„Es war doch nicht böse gemeint, Helen.", sagte Hermine beschwichtigend.
Müde seufzte ich: "Ich weiß... Wir sehen uns im Unterricht, ich gehe noch einmal kurz spazieren vor Kräuterkunde. Wir haben ja noch ein wenig Zeit."

Meine Füße trugen mich in Richtung des Sees. Eine kühle Brise wehte mir um die Ohren. Am Ufer angekommen, ließ ich mich auf den Kies gleiten und starrte einfach auf die blaue Landschaft vor mir. Nach einiger Zeit wühlte ich mit meiner gesunden Hand ein wenig den Kies auf.

Auf einmal durchlief mich ein verzerrender Schauer. Panisch keuchte ich auf. Eine geballte Kraft an Magie schien sich in meinem Bauch anzusammeln. Ich atmete flach ein und aus. Mit Mühe unterdrückte ich dieses Gefühl, doch plötzlich wurde ich mitgerissen. In meinem Verstand tauchten Bilder auf. Ich jagte auf vier Pfoten durch den Wald, hinter mir wurde ich ebenfalls von vier Pfoten begleitet.
Gerüche strömten in meine Nase.
Wald, Blumen, nasses Moos...
Meine Sinne waren vollkommen überflutet. Ich öffnete die Augen ohne gewusst zu haben, dass ich sie geschlossen hielt.
Mit einem Male erfüllte mich wieder eine Welle an Magie und wie ein Blatt im Wind wurde ich mitgerissen.

Schon wieder verspätet hastete ich zu Kräuterkunde. Neugierig starrten mich die Schüler an, doch ich entschuldigte mich nur schnell bei Professor Sprout und lief zu meinen Freunden.
"Was habe ich verpasst?", fragte ich aufgewühlt.
"Wir sollen Professor Sprout heute nur helfen ein paar Pflanzen zu gießen und nachschauen, ob sie von irgendwelchen Tierchen befallen sind.", brachte mich Hermine auf den neusten Stand.
"Gut, dann haben wir Zeit zu reden...", meinte ich und zerrte Harry, Ron und Hermine in den hinteren Teil des Gewächshauses.
Ich sortierte kurz meine Gedanken und hoffte die richtige Frage zu stellen, um die richtige Antwort zu erhalten.
"Ist es wahr, dass ich ein Animagus bin?", fragte ich und mein Gesicht verzerrte sich zu einem gequälten Ausdruck. Überrascht sahen mich meine Freunde an. Harry zog scharf die Luft ein.
"Was weißt du, Helen? WAS!?", fuhr er mich an.
Ich zuckte zusammen und wich einen Schritt zurück. Beinahe hätte ich einen Blumentopf umgeschmissen.
"Ihr wusstest es?", flüsterte ich bitter, "Aber wieso habt ihr es mir nicht gesagt? Wieso wusste ich es nicht?"
Meine Freunde schienen auf meine Worte gar nicht eingehen zu wollen, denn Ron fragte weiter: "Helen, was weißt du noch?"
Die Verwirrung war mir ins Gesicht geschrieben.
„Sollte ich etwas wissen?", fragte ich mit gebrochener Stimme.
Hermine schüttelte langsam den Kopf und sagte bestimmt: "Nein, da ist nichts mehr."

Aus irgendeinem Grund schenkte ich ihr keinen Glauben. Wieso hätten sie so etwas gewaltig Großes vor mir verstecken sollen? Was war hier los?
Plötzlich stolperte ich weitere Schritte zurück und beschloss den Rückzug anzutreten. Ich rannte zu Professor Sprout und meinte, dass mein Arm wieder weh tun würde.
Sie entließ mich und ohne einen Blick zurück zu werfen hastete ich aus dem Gewächshaus hinaus. Ich rannte in das Schloss und ohne Ziel bog ich in immer andere Gänge ein. Die Tränen bahnten sich ihren Weg an die Oberfläche und die Enttäuschung und Verwirrung ließen sich nicht mehr zurück halten.
Wieder fragte ich mich, was hier verdammt noch einmal los war...

Auf einmal stand ich vor dem Raum der Wünsche. Ich schloss meine Augen und hoffte nur auf jegliche Besserung meiner Lage. Ein riesiges Portal mit wunderschönen Verzierungen zeigte sich an der Wand und mit einem tiefen, erschöpften Atemzug trat ich in den Raum der Wünsche ein.
Der Raum war befüllt mit einer unglaublichen Vielzahl an allerlei Kuriositäten. Ich streifte gedankenverloren durch die Gänge. Ich sah die unmöglichsten Dinge, welche bereits mehrere Jahrzehnte alt sein müssten, wenn nicht noch älter.
Nach einiger Zeit beschloss ich zu versuchen meine Animagusgestalt anzunehmen. Ein Wolf.
Vielleicht würde ich so Antworten erhalten. Vielleicht...
Ein paar Meter entfernt, bemerkte ich einen alten Spiegel. Langsam ging ich auf ihn zu. Die Magie schoss ein weiteres Mal durch meinen Körper.
Im nächsten Moment war es um mich geschehen. Ich stand nicht mehr als Helen Rainwood vor dem Spiegel.
Ich war ein Tier.
Die ganze Last auf meinen Schultern schien wie weggeblasen zu sein. Bedächtig setzte ich eine Pfote vor die andere und erkundete in dieser Form den Raum der Wünsche weiter.

Auf einmal hörte ich Schritte näher kommen. Alarmiert spitzte ich meine Ohren. Reflexartig beschloss ich mich zurück zu verwandeln, denn wieso sollte ein Wolf in diesem Raum sein.
Noch nie waren Tiere hier drin zu finden gewesen. Im nächsten Moment bog eine Gestalt um die Ecke. Doch die Verwandlung war bereits eingetreten und diese Person beobachtete alles.
Ich als Wolf und ich als Mädchen.

Panisch starrte ich ihn in meiner Mädchengestalt an. Neugierig erwiderte er mein Starren. Ich schwieg und wich einen Schritt zurück und dann noch einen und noch einen...
Überrumpelt flüchtete ich aus seiner Sicht und aus dem Raum der Wünsche. Ich konnte es nicht fassen. Niemand durfte von dem erfahren, ausgesprochen niemand...

Doch genau Draco Malfoy wusste es nun.

Die Fehde zweier Seelen - Draco Malfoy Lovestory Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt