Miss Amalia McAlister staunte nicht schlecht, als sie eines Frühlingstages vollkommen unerwartet einen Brief von Mr Kingsley erhielt.
In letzter Zeit erschrak sie jedesmal wenn sie einen Brief erhielt, der in einer männlichen Handschrift adressiert war. Denn sie hatte weitere Drohbriefe erhalten. Ihre Erpresser waren immer dreister geworden, hatten Geld gefordert und gedroht sie in der Gesellschaft zu diskreditieren. Woher sie von ihem Geheimnis wussten, war Amalia gänzlich unbekannt. Steckte der Duke, der bekanntlich immer etwas knapp bei Kasse war, am Ende selsbt dahinter?
Als sie den Brief öffnete konnte sie ihre Verblüffung zunächst nicht verbergen, denn Mr Kingsley hatte sich während der vergangenen Monate nur höchst selten im Hause der McAlsiters blicken lassen.
Amalia war bewusst, wie sehr ihre Cousine sich nach einem Treffen mit besagtem Mann sehnte, auch wenn Sophie dies niemals zugeben würde. Trotz ihrer hervorragenden kupplerischen Fähigkeiten war es Amalia nie gelungen die Beiden gleichzeitig zu einem Fest einzuladen. Irgendetwas war immer dazwischen gekommen und igrendwann hatte die junge Dame die Geduld verloren.
Vorsichtig verschloss Amalia den Umschlag wieder, denn sie ahnte, dass der Inhalt des Briefes sicherlich nicht für die Ohren ihrer überaus Neugierigen Mutter bestimmt war. Unauffällig versteckte sie den Brief und las ihn erst, als sie alleine auf ihrem Zimmer war.
Es mag unangebracht sein, einer jungen Dame einen persönlichen Brief zu schreiben, wenn man so wenig miteinander bekannt ist. Und ich hoffe, dass ich Sie damit keineswegs in Verruf bringe.
Um Ihre Zeit nicht weiter zu vergeuden, werde ich gleich zu meinem Anliegen kommen. Ich kann nur mutmaßen, wie viel Ihre Cousine Ihnen über unsere Bekanntschaft berichtet hat. Über einen recht langen Zeitraum waren wir sehr vertraut miteinander und sie hatte sich dazu bereit erklärt ihr Leben mit mir zu verbringen. Möglicherweise hat Miss Badford Ihnen auch berichtet, wie dieses Verlöbnis endete.
Ich kann Ihnen versichern, dass ich dies seit jenem Tag bitterlich bereue. Kein Tag bietet mir noch etwas erfreuliches, da ich sie nicht mehr an meiner Seite weiß.
Ich weiß nicht, ob Sie in der Lage wären oder es überhaupt für Ratsam hielten, wenn wir uns wieder begegnen würden. Doch ich bitte sie aus tiefstem Herzen, mir eine Gelegenheit zu verschaffen Miss Sophie Badford noch einmal zu begegnen.
In tiefer Verbundenheit,
Charles Kingsley
Nachdenklich legte Amalia den Brief aus der Hand. War es ratsam Mr Kingsleys Wunsch zu erfüllen? Wie würde Sophie reagieren?
Amalia war bewusst, dass ihre Cousine sich nach diesem Mann sehnte, denn zu den unterschiedlichsten Gelegenheiten hatte Sophie sich möglichst unauffällig nach seinem Befinden erkundigt.
Nach reiflicher Überlegung ließ Amalia sich an ihrem Schreibpult nieder und begann folgende Zeilen zu verfassen:
Sir,
ich würde ihrem Ersuchen sofort und ohne zu Zögern stattgegeben haben, hätte ich nicht gewisse Zweifel, was diese Angelegenheit betrifft. Hiermit bitte ich Sie um ein Treffen, um diese sowie andere Details besprechen zu können. Sollten sie in dieser Angelegenheit noch ebenso denken, bitte ich Sie morgen gegen Mittag in die Leihbücherei auf der ***Street zu kommen.
***
Nervös machte Amalia sich am nächsten Morgen auf den Weg zur Bibliothek. Die halbe Nacht hatte sie sich um die Ohren geschlagen, indem sie über ihren beinahe skandllösen Beschluss nachgrübelte. Es galt zweifellos skandallös sich unbegleitet mit einem unverheirateten Mann zu treffen. Aber in letzter Zeit schien Amalias guter Ruf ohnehin am Seidenen Faden zu hängen, da würde diese eine Begebenheit das Kraut auch nicht fett machen.
Außerdem schuldete sie es ihrer Cousine, ihr in dieser Angelegenheit behilflich zu sein. Schließlich war die Lüge, die sie ihrem Vater vor beinahe zwei Jahren erzählt hatte dafür verantwortlich gewesen, dass Mr McAlister so große Befürchtungen hinsichtlich Mr Kingsley hegte. Vielleicht hätte Sophie weniger Scheu davor gehabt sich öffentlich mit Mr Kingsley zu verloben, wenn ihr nicht von allen Seiten davon abgeraten wurde. Möglicherweise wären die Beiden nun glücklich verheiratet.
Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als sie an den Duke of Wellington dachte und an ihr gemeinsames Kind...
So unschuldig und naiv wie sie damals war, hatte sie geglaubt, dass er sie heiraten würde, nachdem sie sich ihm hingegeben hatte. Sie hatte seine Aufmerksamkeiten genossen und geglaubt, dass er sie liebte. Manchmal hatte sie sich in ihren Träumen schon als zukünftige Duchess of Wellington gesehen.
Doch der große Mann hatte andere Pläne gehabt. Warum sollte er auch eine dumme Fabrikantentochter heiraten?! Das einzige was sie in seinen Augen attraktiv gemacht hätte wäre eine große Mitgift, doch sobald er erfahren hatte, dass ihre Mitgift nicht so hoch sein würde, wie er erwartet hätte, hatte er seine Aufmerksamkeit wieder anderen Frauen zugewendet.
Nur ihrem Vater hatte sie von ihrem schändlichen Verhalten erzählt. Allerdings kannte auch er nicht die ganze Wahrheit. Sie hatte ihm berichtet, dass Mr Charles Kingsley sie betrunken gemacht und verführt hatte. Und in anbetracht der Tatsache, dass Mr Kingsley ohnehin einen schlechten Ruf hatte, hatte ihr Vater nicht an ihrem Bericht der Tatsachen gezweifelt.
Tatsache war, Amalia McAlister war schwanger und der Vater des Kindes würde sie weder heiraten noch das Kind anerkennen.
Bald hatte Mr McAlister gemeinsam mit seiner "Freundin" Lady Belcourt einen Plan ausgetüftelt. Amalia sollte in Begleitung besagter Lady auf ihren Landsitz fahren. Am besten noch bevor sich erste Anzeichen ihrer Schwangerschaft bemerkbar machten.
Diese Reise tarnten sie als eine Vergnügungsreise in die Schottischen Berge, wo sich das Anwesen der Belcourts befand. Dort brachte Amalia in aller Heimlichkeit das Kind zur Welt. Nie wieder sollte von dieser schändlichen Angelegenheit gesprochen werden. Sonst wäre die Familienehre bis in alle Ewigkeit besudelt.
Das Kind brachten sie nicht wieder mit nach London. Sie überließen es einem Bauernpaar, das genug eigene Kinder hatte, sodass ein weiters Kind nicht weiter auffallen würde. Und es wurde vereinbart, dass das Kind, ein Junge niemals von seiner Herkunft erfahren sollte.
Dass Lady Belcourt mehr als nur eine Freundin ihres Vaters war, war der jungen Amalia vom ersten Augenblick ihrer Bekanntschaft bewusst. Lady Rosamund Belcourt war die geliebte ihres Vaters. Die Beiden hatten sich bereits in ihrer Jugend gekannt. Sie wollten heiraten, doch Rosamunds Vater vereitelte die Hochzeit, da er andere Pläne für seine Tochter hatte. Sie sollte ihr Leben nicht an den Sohn eines Fabrikanten wegwerfen sondern einen Lord heiraten.
Die Beiden liebten sich so sehr, dass sie sich trotz ihrer beider Ehen nie vergaßen und sich bis zu ihrem Tod noch regelmäßig trafen.
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Miss Sophie
Historical FictionSophie Badford ist eine wohlhabende junge Lady. Gemeinsam mit ihrem Vater, ihrer Mutter und ihrer Schwester Ann genießt sie die Freuden des Lebens. Doch plötzlich erkrankt ihr Vater an einer unheilbaren Krankheit und sie müssen um ihre Zukunft bang...