36.Kapitel

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Es dauerte nicht lange, bis sich die frohe Kunde in Bath herum gesprochen hatte. Auch wenn Bath zu den beschaulichen Städten des britischen Empires gehörte, die Verbreitung von Klatsch ging ebenso schnell vonstatten, wie dies auch in einer Stadt von der Größe Londons der Fall war.

Bald wusste jede Dame, jede Magd, Herr, Knecht oder Kind von der bevorstehenden Hochzeit zwischen Miss Badford und Mr Kingsley. Einige betrachteten die Verbindung mit Missgunst, andere gratulierten der jungen Dame insgeheim zu dieser ausgezeichneten Partie. Doch im Grunde der Herzen der Menschen schwelte auch die dunkle Vorahnung, dass diese Verbindung eine ungünstige Wendung für das junge Paar nehmen könnte.

Hinter vorgehaltenen Händen wurde getuschelt, sobald die Beiden frisch Verlobten gemeinsam in der Öffentlichkeit gesehen wurden.

Wie dies schon in Tausend weiteren Fällen der Fall war, gratulierte niemand den Beiden, schließlich wollte keiner zugeben eine Information zu besitzen, die noch nicht offiziell von den Familien bestätigt worden war.

Im Hause der Familie Kingsley löste diese vollkommen unerwartete Verlobung tiefste Bestürzung hervor. Lady Kingsley war über das Verhalten ihres Sohnes so bestürzt, dass ihr Ehemann sie nicht davon abhalten konnte auf der Stelle nach Bath zu reisen... Und so kam es, dass Sophie eines morgens unverhofft ihrer künftigen Schwiegermutter gegenüber stand.

"Sind Sie Miss Sophie Badford" fragte Lady Kingsley in herrischem Ton, sobald man sie in den Salon geleitet hatte und sie sich mit der jungen Dame allein wusste.

"Ja, die bin ich, Madam" antwortete Sophie ohne mit der Wimper zu zucken.

Die alte Dame baute sich für ihre kleine Statur sehr selbstbewusst vor der jungen Frau auf und musterte diese mit strengem Blick, als versuche sie krampfhaft einen Makel an ihr zu finden.

Achtung heischend räusperte sie sich und durchbohrte Sophie beinahe mit ihrem eiskalten Blick: "und ist es wahr, dass Sie mit meinem Sohn, Mr Charles Kingsley, verlobt sind?"

Verlegen senkte Sophie den Blick und antwortete: "ja, Madam. Das bin ich."

Lady Kingsley machte ein Geräusch, als hätte sie sich verschluckt und fragte mit vor Zorn zitternder Stimme: "und gedenken Sie, an dieser Verbindung festzuhalten?"

Sophie war mittlerweile aus ihrem Stadium der Verängstigung erwacht und Empörung hatte sich in ihr breit gemacht. Lady Kingsley mochte zwar in gewisser Weise die Entscheidungen ihres Sohnes beeinflussen, doch sie würde sich ein solches Verhalten nicht bieten lassen.

"Was ich zu tun gedenke, ist allein meine Angelegenheit."

Lady Kingsley wich zurück, als hätte man sie ins Gesicht geschlagen, offensichtlich war sie es nicht gewohnt, dass ihr wiedersprochen oder ihre Fragen nicht zu ihrer Zufriedenheit beantwortet wurden.

Nach einem kurzen Augenblick des Schreckens hatte die Dame sich wieder gefangen und plusterte sich zu ihrer vollen Größe auf.

"Ihnen ist doch sicherlich bewusst, dass wenn Sie die Verlobung nicht lösen, mein Sohn dies tun wird, was einen gesellschaftlichen Skandal zur Folge haben würde!"

Sophie wusste nicht, was sie darauf erwiedern sollte, denn ihre Gegnerin hatte zweifellos einen Punkt in diesem Machtkampf gewonnen. Sollte Mr Kingsley die Verlobung tatsächlich lösen, würde ein skandal gewaltigen Ausmaßes über ihre Familie herein brechen. Dass eine Dame sich von ihrem Versprechen entbinden konnte war eine vollkommen legitime und von der Gesellschaft anerkannte Handlung, was womöglich auf die schwache Gemütsverfassung der Damen zu begründen ist. Ein Gentleman der einmal sein Wort gab, konnte von jenem nicht los kommen, ohne damit größtes Aufsehen zu erregen und die betreffende Dame zu kompromittieren.

Einen kurzen Moment war Sophie angesichts dieser Drohung versucht aufzugeben, doch sie besann sich eines besseren: "Madam, wenn Sie meinen, dass Sie mich erpressen können, sind Sie an die falsche Frau geraten. Ich denke, dass nun alles gesagt ist und Sie auf der Stelle dieses Haus verlassen!"

Ihre Worte waren gewagt gewesen, doch sie hatten ihre Wirkung keineswegs verfehlt. Nach einem letzten zornigen Blick verließ Lady Kingsley den Salon und wenige Minuten später hörte man, wie ihre schwarze Kutsche auf dem Kopfsteinpflaster davon rumpelte.

***

Kurze Zeit später betrat der Diener den Raum, um die Morgenpost an seine junge Herrin zu übergeben.

Als er sie auf dem Sofa beim Fenster in sich zusammen gesunken vorfand, war er entsetzt über ihre Verfassung. Bleich, erschöpft und mutlos stierte sie in die Ferne, angestrengt auf einen Punkt, der sich seinen Blicken verbarg.

"Fehlt Ihnen etwas Miss?" erkundigte er sich und konnte die Besorgnis in seiner Stimme nicht vollständig unterdrücken.

"Es geht mir hervorragend" antwortete Sophie, rang sich ein Lächeln ab und richtete sich auf. Der Diener, welcher ihr nicht so recht glauben schenken mochte, schob seine unangenehmen Gedanken beiseite. Die morgendliche Post überreichte er ihr mit den Worten: "wenn Sie noch etwas benötigen sollten, wenden Sie sich an mich!"

Desinteressiert las die junge Frau die Absender der Briefe. Man kann jedoch keineswegs behaupten, dass sie nachlässig mit ihrer Post umging, was sich für eine junge Dame keineswegs ziemte. Aber jeder Leser wird es wohl als nachvollziehbar empfinden, dass die Gedanken unserer Heldin nach einem solchen Morgen woanders weilten.

Erst beim Absender des letzten Briefes wurde Sophie stutzig. Ungläubig las sie mehrere Male die verschnörkelte Schrift, um sicher zu gehen, dass sie keiner Täuschung unterlag. Der Absender war, wie Sophie zweifellos feststellte, Mr Kingsley.

Mit klopfenden Herzen und zitternden Fingern öffnete Sophie hastig den Brief. Zunächst wanderten ihre Augen ruhelos über die eng beschriebenen Papierbögen, ohne deren Sinn erfassen zu können.

Erst nach einigen vergeblichen Versuchen legte sich ihre Aufregung und sie war in der Lage, die an sie gerichteten Zeilen zu verstehen.


Meine liebste Sophie,

die Nachrichten, die ich dir mitteilen muss sind bei weitem nicht so hoffnungsvoll, wie ich wünschte, dass sie es wären.

Wie versprochen habe ich noch an jenem morgen an meine Familie geschrieben, um ihnen von der zwischen uns bestehenden Verlobung zu berichten. Ich hatte gehofft, dass meine Mutter sich, wenn sie vor vollendete Tatsachen gestellt wird, mit der Situation abfindet, doch dies scheint keineswegs der Fall zu sein.

Gestern am späten Abend traf meine Mutter in unserem Stadtpalais ein. Ihre Stimmung glich der einer Furie und war denkbar entsetzlicher als ich es mir je ausgemalt hätte. Es ist eine eigenart meiner Mutter zu toben und zu drohen, sobald etwas nicht so läuft, wie sie es sich zurecht gesponnen hat.

Und eine Verbindung zwischen uns gehört definitiv nicht zu den Dingen, die sie sich für meine Zukunft ersonnen hat. Ihre Wut steigerte sich ins unermessliche, als fest stand, dass all ihr Theater nicht dazu beitrug mich von meinem Versprechen zurücktreten zu lassen.

Nun werde ich mich unverzüglich zu meinem Vater begeben und an seinen guten Charakter appellieren. Möge Gott dafür sorgen, dass er sich aus dem eisernen Griff meiner Mutter befreit und das in dieser Situation einzig richtige tut, indem er meine Wahl wohlwollend anerkennt.

Aber auch wenn er dies nicht tun sollte, ich werde dich nicht noch einmal gehen lassen. Lieber verzichte ich auf den Wohlstand und materielles Glück, als auf die Chance auf persönliches Glück und die Möglichkeit dich glücklich zu machen. Sobald ich Neuigkeiten habe, werde ich schreiben ohne auch nur eine Sekunde zu verlieren.

Miss SophieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt