"Wir sollten unbedingt und unverzüglich einen Schneider aufsuchen" stellte Amalia fest, nachdem sie die Garderobe ihrer Cousine genaustens unter die Lupe genommen hatte, "keines deiner Kleider ist noch augehtauglich..."
Sophie seufzte, denn sie wusste nur zu gut, dass ihre Kleider im Vergleich zu denen der anderen Damen wirkten wie von einer Vogelscheuche. Und ihr stand deutlich vor Augen, dass sie sich keine neue Garderobe leisten konnte.
"Ich finde meine Kleider sind gerade richtig, wenn ich meine Zeit doch sowieso nur bei den alten Jungfern absitze."
"Und genau das wollen wir doch verhindern" flötete Amalia vergnügt und bestellte die Kutsche.
***
"Darin wirst du garantiert allen Männern den Kopf verdrehen" stellte Amalia fest, nachdem sie Sophie anerkennend gemustert hatte.
Die junge Dame trug ein weißes, aufwendig mit Spitze verziertes Kleid, das beinahe skandalös tiefe Einblicke in ihr Dekolette erlaubte.
Egal wie Sophie sich vor dem silbergerahmten Spiegel drehte und wendete, so richtig gefallen konnte sie sich in diesem Kleid nicht. Es gab viel mehr über sie preis als sie bereit war offen zu legen. Und sie hatte den Eindruck, dass der Stoff weder ihrem blassen Teint noch ihrer abgemagerten Finger schmeichelten.
"Ich könnte dieses Kleid niemals in der Öffentlichkeit tragen" versuchte Sophie ihre Cousine von deren Begeisterung abzubringen.
"Aber ich muss der jungen Dame zustimmen" fiel die Schneiderin in Sophies Protest ein, "mit diesem Kleid wären Sie der Blickfang auf jeder Festlichkeit."
Nur zu genau wusste Sophie, dass die Schneiderin dies nur sagte, um sich bei Amalia anzubiedern. Schon als die beiden jungen Frauen das Geschäft betreten hatten, hatte sie genau erkannt, dass Amalia diejenige war, die über das Geld verfügte. Ob das Kleid nun passend war oder nicht interessierte die Schneiderin nicht im geringsten. Das einzige was für sie von Interesse war, war das Geld das Amalia dafür zu zahlen bereit war.
Schlussendlich nutzten Sophie weder gute Argumente noch wehementer Protest. Amalia hatte beschlossen dieses Kleid zu kaufen, sobald sie es an ihrer Cousine erblickt hatte. Und nichts würde diese Entscheidung rückgängig machen können.
Mit einem zutiefst zufriedenen Lächeln verpackte die Verkäuferin das Kleid in einen bunten Karton und kassierte das Geld.
Bei dem Preis den Amalia zahlte wurde Sophie anders, denn ihre Cousine zahlte mehr als Sophie und ihre Familie in einem Monat verbrauchten. Früher hätte Sophie sich um eine solche Summe keine Gedanken gemacht, doch nun wo sie wusste was Armut bedeutete, sah sie diese Dinge in einem ganz anderen Licht.
Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch verließ Sophie den Laden und trat auf die Straße. Ein heftiger Aufprall erschütterte ihre Knochen und riss sie von den Füßen, bevor sie überhaupt wusste was ihr geschah lag sie auch schon auf dem Boden.
Das Päckchen mit dem Kleid, war neben ihr auf dem Pflaster, beängstigend nah an einer schmuddeligen Pfütze.
Im gleißenden Sonnenlicht konnte Sophie nicht erkennen, wer sie umgestoßen hatte. Doch dies war auch gar nicht nötig, denn der junge Mann reichte ihr seine Hand um ihr auf die Beine zu helfen. Als sie wieder auf den Beinen war, stellte Sophie erschrocken fest, wer ihr gegenüberstand.
Es war kein anderer als Mr Kingsley, der sich nun nach ihrem Päckchen bückte. Sobald er ihr das Paket sorgsam in die Hand gedrückt hatte, ergriff er die Flucht ohne auch nur ein weiteres Wort zu verlieren.
"War das nicht..." begann Amalia, die den Laden kurz nach Sophie verlassen hatte. Doch sie wurde von Sophie unterbrochen bevor sie ihre Frage beenden konnte, "nein, du musst dich geirrt haben. Ich habe diesen Mann noch nie zuvor im Leben gesehen. "
Äußerlich wirkte Sophie sehr gefasst, doch in ihrem Inneren bebte sie. So lange hatte sie ihre Gefühle für Mr Kingsley unterdrückt, doch jetzt wo sie ihn gesehen hatte, konnte sie sich nicht länger davor verschließen. Sie liebte Mr Kingsley auch wenn sie sich dies nicht eingestehen wollte.
"Bist du sicher, dass es nicht Mr Kingsley war?" beharrte Amalia weiterhin und spähte angestrengt in die Richtung in der er verschwunden war.
***
Für einen Besucher der Stadt Bath führte kein Weg an einem Besuch der Brunnenhalle vorbei. Allgemein wurde behauptet, dass die Menschen diesen Ort aufsuchten um von des so gesunden Wassers zu trinken. Fest stand jedoch, dass die Mehrheit der Damen an diesen kulturellen Treffpunkt kamen um sich über die neusten Klatschgeschichten auszutauschen statt von dem abgestandenen Heilwasser zu trinken.
Und clever wie die Damen nun einmal sind ließen sie zu diesem täglichen Besuch ihre Männer zu Hause oder in ihren Clubs, damit sie sich stundenlang ungestört unterhalten konnten.
Als Sophie und Amalia die Brunnenhalle zum ersten Mal betraten wussten sie noch nicht, dass dies ein obligatorischer Bestandteil ihres Tagesablaufes werden würde.
Bei ihrer Ankunft war die Halle bereits von unzähligen Damen bevölkert und der Raum summte vor Stimmengewirr.
Während die beiden jungen Damen sich langsam durch den Raum schoben fing Sophie immer wieder kurze Gesprächsfetzen auf.
"Hast du schon gehört, dass meine Nichte in der letzten Woche einen Heiratsantrag bekommen hat" erzählte eine etwas ältere recht voluminöse Dame ihrer noch voluminöseren Freundin. "Letzte Woche" antwortete diese, "na das wurde ja langsam Zeit. Sonst hätte sie am Ende noch als alte Jungfer Bath verlassen." Gerne hätte Sophie gehört was die Dame, die vor Zorn ganz rot geworden war erwiederte, doch Amalia schob sie unablässig vorwärts.
Erst nachdem die Beiden ausgiebig von dem Heilwasser getrunken hatten, ließ Amalia sie etwas verweilen.
Bisher hatten sie noch keine Zeit gefunden um Bekanntschaften in Bath zu schließen, weshalb sie nur langsam durch den Saal schlenderten ohne sich zu einer Gesprächsrunde zu gesellen.
Erst als Amalia den Namen Mr Kingseys zu Ohren bekam verlangsamte sie ihren Schritt und lauschte neugierig der Gruppe junger Damen, die kichernd beieinander standen.
"Gestern Abend war Mr Kingsley zu Gast auf Mrs Cromwells Hausball" berichtete die eine in schwärmerischen Tonfall.
"Ist er wirklich so gut aussehend wie allgemein behauptet wird?"
"Ja das ist er in der Tat"
"Verschwendet eure Zeit nicht. Der Gentleman hat ein Herz wie ein Eisbrocken. Und er würdigt keine von uns auch nur eines Blickes..."
Amalia warf Sophie einen vielsagenden Blick zu. Denn nun hatte sie die Bestätigung Mr Kingsley an jenem Morgen gesehen zu haben.
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Miss Sophie
Historical FictionSophie Badford ist eine wohlhabende junge Lady. Gemeinsam mit ihrem Vater, ihrer Mutter und ihrer Schwester Ann genießt sie die Freuden des Lebens. Doch plötzlich erkrankt ihr Vater an einer unheilbaren Krankheit und sie müssen um ihre Zukunft bang...