"Bin ich die einzige Frau auf dieser Welt" fragte Sophie nachdem sie ihrer Cousine Amalia bei ihrem nächsten Treffen von dieser unangenehmen Geschichte berichtet hatte.
Amalia lächelte, "die einzige Frau sicherlich nicht... Aber anscheinend denkt jeder Mann der dir begegnet, er müsse dir einen Heiratsantrag machen. Ich sollte dich wirklich niemals mit Mr Carstairs alleine lassen."
Behutsam stellte Sophie ihre Teetasse auf dem zarten weißen Spitzendeckchen, das den Tisch zierte ab. Für sie fühlte sich selbst dieser einfache Vorgang vollkommen falsch an. Sie gehörte nicht mehr in diese Welt mit feinen Kleidern, zerbrechlichem Porzellan und rein weißen Tischdeckchen. Bei jeder Bewegung fürchtete sie etwas zu zerbrechen oder mit ihren schmutzigen Händen zu besudeln.
"Bist du immer noch hinter Mr Carstairs her?"
Ein wenig verlegen nickte Amalia. Jede Frau, die noch ganz bei Sinnen war hätte diesen Mann schon längst aufgegeben, da er nur sehr sporadisch Interesse an ihr zeigte.
"Hat er dir noch immer keinen Antrag gemacht?"
Amalia schämte sich. Und sie befürchtete, dass ihr Erpresser trotz all dem Geld das sie ihm gezahlt hatte, jene unsägliche Geschichte über sie verbreitete. Und dies der Grund für Mr Carstairs Zögern war. Kein ehrbarer Mann würde sie nach einem solchen Skandal noch zur Frau begehren und schon gar nicht Mr Carstairs.
"Hast du ihn nach deinem Antrag noch einmal gesehen" versuchte Amalia das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.
"Viel zu oft" murmelte Sophie und blickte verlegen auf ihre Hände, die sie nervös in ihrem Schoß verknotet hatte.
"Er verhält sich, als wäre nie etwas zwischen uns geschehen. Aber ich spüre deutlich den Schmerz in seinem Blick, jedes Mal wenn er mich ansieht."
Es war nicht nur der Schmerz in seinem Blick, jedes Wort und jede Geste verrieten Sophie, wie sehr sie Phillips Gefühle verletzt hatte. Doch Phillip war viel zu stolz um diese Angelegenheit jemals wieder zu erwähnen. Sie hatten eine wortlose Absprache getroffen, nie wieder über diese Angelegenheit zu sprechen.
Ihr Leben war seither weiter gegangen wie bisher. Sie halfen sich gegenseitig wo sie nur konnten, verbrachten die Abende lesend an Phillips Bettkasten lehnend.
Die einzige Veränderung bestand in den Hoffnungen des jungen Mannes. Alle seine Hoffnungen auf ein besseres Leben mit seiner Angebeteten schienen zerstört zu sein. Nichts vermochte ihn noch mit Freude zu erfüllen und seine Arbeit verrichtete er lustlos und wiederwillig. Und nichts schien ihn aus seiner Lethargie reißen zu können.
"Hast du nicht auch langsam die Nase voll von all den Männern" fragte Amalia und knabberte an einem Keks. Sie war es Leid zu Hungern, nur um in ihre prächtigen Kleider zu passen. Sie hatte es satt sich jeden Tag fein zurecht machen zu müssen. Manchmal kam sie sich vor wie auf einem Viehmarkt, wenn sie von ihrer Mutter durch sämtliche schicke Salons geschleift wurde, nur um den feinen Herren präsentiert zu werden.
Sophie seufzte, sie konnte den Unmut ihrer Cousine nur zu gut verstehen, denn ihr war es einst genauso ergangen. Auch wenn sie dem lästigen Karusell der Saison nun entkommen war.
Die Saison konnte die Beste oder Schlechtesete Zeit im Leben einer jungen Dame sei. Dies hing einzig und allein davon ab, ob die junge Dame dem Geschmack der Herren entsprach. Passte sie in das gängige Schönheitsideal, konnte sie sich vor Verehrern kaum noch retten. Doch sobald ihr Äußeres nicht in die gängigen Maße passte wurde sie verschmäht und musste sich monatelang den Erfolg ihrer Konkurrentinnen ansehen. Wenn diese Mädchen zu allem Unglück auch noch ihre Freundinnnen waren, hatte sie nicht nur zu zu sehen, sondern auch zu gratulieren.
"Was würdest du davon halten für eine Weile weg zu fahren" schlug Amalia vor, die es aufgegeben hatte gegen ihren Hunger zu kämpfen und sich noch einen weiteren Keks genehmigte.
"Wohin wölltest du denn reisen? Und wen du den Männern davon laufen möchtest, ist das vollkommen zwecklos. Selbst in der Sahara würdest du nicht von ihnen verschont bleiben."
Auch Sophie gönnte sich noch einen weiteren Keks und blickte ihre Cousine erwartungsvoll an.
"Ich hatte an Bath gedacht" gab Amalia zu, der ihr Plan nun vollkommen verstandlos erschien, "meine Eltern hatten geplant diese Reise anzutreten und hätten nichts dagegen, wenn du uns begleiten würdest.
Für Sophie war nun vollkommen klar, wie ihre ältere Cousine auf diesen Gedanken hatte kommen können. Amalias Abreise war scheinbar schon längst beschlossene Sache, doch die junge Dame hatte Angst in Bath unentwegt an ihre Mutter gefesselt zu sein. Und Sophie wusste nur zu gut, welches Grauen Amalia bei dieser Vorstellung befallen musste.
Zögerlich antwortete sie: "wäre es deinen Eltern denn überhaupt genehm, wenn ich euch begleiten würde?"
"Oh natürlich wäre es ihnen recht" versicherte Amalia ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, "Mama wäre mit Sicherheit erleichtert, wenn sie mich nicht den ganzen Tag auf dem Hals hat."
Sophie warf ihrer Cousine über den Rand ihrer Teetasse einen skeptischen Blick zu. Amalia, die sich ertappt fühlte argumentierte: "stell dir nur vor, wie viel Spaß wir gemeinsam haben könnten? Außerdem graut mir vor der Vorstellung meine Tage nur in Mamas Begleitung zu verbringen."
Aber auch dieses Argument konnte unsere junge Heldin nicht vollends überzeugen. Sie wusste außerdem nicht, ob sie ihre Familie schon wieder sich selbst überlassen konnte. Selbstverständlich würde sie viel Vergnügen an Amalias Gesellschaft und einer Reise finden, doch sie hatte auch Bedenken hinsichtlich der feinen Gesellschaft in Bath.
Wie würden die Reichen, die ihre Zeit in dem Kurort verbrachten auf sie reagieren? Eines war klar: sie gehörte nicht mehr zu dieser Schicht und dies sah man ihr mittlerweile sehr deutlich an...
Schlussendlich hatte Sophie überhaupt gar keine andere Wahl als zu zustimmen. Amalia hätte sich niemals mit einer anderen Antwort zufrieden gegeben.
***
Als Sophie von jenem Besuch nach Hause zurückkehrte, wusste sie nicht, was sie ihrer Mutter und iherer Schwester erzählen sollte, denn ihr graute vor der Enttäuschung der Beiden. Aber keines ihrer erdachten Szenarien hätte sie auf die bittere Realität vorbereiten können.
"Wie kannst du nur so undankbar sein" rief Mrs Badford entsetzt als sie von den Reiseplänen ihrer Tochter erfuhr.
"So ein undankbares Kind... Jahrelang habe ich dich gehegt und gepflegt und wie zahlst du mir diese Mühen zurück?!"
Ann, die durch den Wutausbruch ihrer Mutter alarmiert herbei geeilt war, konnte ebenfalls kaum einsehen, warum Sophie sie schon wieder im Stich ließ. Ein wenig neidisch fragte sie: "warum haben die McAlisters mich nicht auch eingeladen sie zu begleiten. Schließlich bin ich die Ältere..."
***
Es dauerte einige Tage bis sich der Unmut der beiden Frauen wieder gelegt und sie sich mit der Situation abgefunden hatten. Trotzdem machten sie ihre Ablehnung bei Sophies Abreise eine Woche später deutlich bemerkbar.
Nur widerwillig hatten sie Sophie geholfen ihre Koffer nach unten zu bugsieren und auch die Verabschiedung war deutlich unterkühlt ausgefallen.
Mit gemischten Gefühlen ließ Sophie London hinter sich. Ihre Schuldgefühle nagten mehr an ihr, als sie sich selbst eingestehen konnte. Trotzdem begann sie sich auf ihren Aufenthalt in Bath zu freuen.
DU LIEST GERADE
Miss Sophie
Historical FictionSophie Badford ist eine wohlhabende junge Lady. Gemeinsam mit ihrem Vater, ihrer Mutter und ihrer Schwester Ann genießt sie die Freuden des Lebens. Doch plötzlich erkrankt ihr Vater an einer unheilbaren Krankheit und sie müssen um ihre Zukunft bang...