Das Leben im Pfarrhaus war durchaus angenehm. Besonders schätzte Sophie, dass es ihr vergönnt war am Morgen so lange zu schlafen, wie sie wollte. Ein Luxus, den sie in London nicht genoss.
Nach einem ausgedehnten Frühstück begaben die beiden Freundinnen sich meist auf einen Spaziergang, wobei sie die Armen und die Kranken der Gemeinde besuchten.
Am Nachmittag widmeten sie sich meist Büchern, Musik oder der Malerei. Die Abende verbrachten sie entweder bei befreundeten Familien oder Nachbarn und gelegentlich empfingen sie selbst den einen oder anderen Gast.
Nun wo Sophie so viel Zeit in der Heimat verbrachte, konnte sie nicht verhindern, dass ihre Gedanken zu Mr Kingsley wanderten. Die Orte, die sie gemeinsam besucht hatten riefen ihr all die Gespräche, die sie geführt hatten wieder in Erinnerung. Und mit all diesen Erinnerungen kehrte auch die Liebe unserer Heldin zurück.
***
Mr Wragsdale war ein häufiger und sehr gern gesehener Gast im Pfarrhaus. Und es verging kaum ein Tag, ohne dass er sie mit seiner Anwesenheit beehrte.
Während dieser Besuche hatte Sophie gute Gelegenheiten, um die Beiden in aller Ruhe zu betrachten.
Miss King war zweifellos Hals über Kopf in den jungen Mr Wragsdale verliebt, doch in Mr Wragsdales Verhalten fand Sophie Anlass zur beunruhigung.
Mr Wragsdale hatte sich kein bisschen verändert, seit Sophie ihn das letzte Mal zu Gesicht bekommen hatte. Er war noch immer einfältig, seine Vorstellungen vom Leben antiquiert und seine Manieren waren deutlich verbesserungswürdig.
Es war mehr als offensichtlich, dass er gewisse Absichten bezüglich Sophies Freundin hatte, doch er machte immer wieder Andeutungen, die Sophie hoffte falsch verstanden zu haben.
***
Mit zittrigen Fingern befestigte Sophie eine Brosche an ihrem Kleid und warf einen letzten Blick in den Spiegel. Sie sah vorzeigbar aus, aber weder gut noch schlecht. Ihr blondes Haar wirkte stumpf, ihre Wangen waren eingefallen und ihre Augen hatten ihren Glanz verloren.
Trotzdem war ihre Erscheinung in dem hübschen rosafarbenen Kleid mit dem zarten Spitzenbesatz nicht zu verachten.
"Bist du so weit" fragte Caroline, die den Kopf zur Tür herein streckte. Auch Caroline hatte sich für den festlichen Anlass mehr herausgeputzt als sie es sonst tat.
Ihr Haar war zu einer imposanten Frisur hochgesteckt und in ihrem neuen Kleid sah sie umwerfend aus.
"Wie werden wir zum Herrenhaus gelangen?"
Caroline betrat den Raum und antwortete: "Mr Wragsdale hat angeboten uns in seiner Kutsche mit zu nehmen."
Vom Fenster des Salons aus beobachtete Sophie, wie Mr Wragsdales Equipage, die nicht mehr der neusten Londoner Mode entsprach vor dem kleinen, gemütlichen Pfarrhaus hielt.
Nervös begab Sophie sich nach unten, wo der Rest der Familie die Abfahrt erwartete.
Mr Wragsdale war keineswegs der Grund für die Nervosität der jungen Dame... Die Ursache lag an der Einladung zum Dinner in Sophies ehemaligen Zuhause, welche sie für jenen Abend erhalten hatten.
Seit ihrer Ankunft im Dorf hatte sie es geschickt vermieden in die Nähe ihres geliebten Heims zu kommen, aus Angst vor den Gefühlen, die sie bei diesem Anblick sicherlich überkommen würden.
Des Weiteren graute ihr vor der Begegnung mit dem Erben des Anwesens, einem gewissen Mr Louis Carton, über den selbst die geschwätzige Caroline nichts zu erzählen wusste.
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Miss Sophie
Historical FictionSophie Badford ist eine wohlhabende junge Lady. Gemeinsam mit ihrem Vater, ihrer Mutter und ihrer Schwester Ann genießt sie die Freuden des Lebens. Doch plötzlich erkrankt ihr Vater an einer unheilbaren Krankheit und sie müssen um ihre Zukunft bang...