Prolog

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Es war noch dunkel, als der junge Mönch die Tür des Pfarrhauses öffnete, um in der nahen Kirche zu beten. Er war gestern Abend hier angekommen, um am Abend einen Gebetsabend zu feiern. Der örtliche Pfarrer hatte ihm den Schlüssel zur Kirche anvertraut, damit er das morgendliche Gebet sprechen konnte. Eisiger Wind empfing den jungen Mönch und er stellte fest, dass es wohl die ganze Nacht geschneit haben musste. Zentimeterhoher Schnee lag auf der Straße und dem Bürgersteig und es schneite noch immer heftig. Dicke weiße Flocken tanzten im Licht der Laternen und verwandelten sich in schillernde Diamanten.

Der junge Mönch lächelte und trat einen Schritt aus der Tür. Obwohl er Kälte nicht unbedingt mochte, mochte er Schnee – vor allem, wenn er noch so frisch und unberührt war wie jetzt. Es war vollkommen still auf der Straße. Kein Auto fuhr um diese Uhrzeit und Fußgänger waren auch noch nicht unterwegs. Die Welt lag noch vollkommen friedlich und wie verzaubert da. Tief atmete der junge Mönch die klare Winterluft ein. Er liebte diese Ruhe und den Frieden, auch wenn er eigentlich nicht gern früh aufstand. Aber in diesen Momenten wusste er, warum er es tat. Den Zauber eines Wintermorgens konnte so schnell nichts übertreffen. Es war, als würde Gott selbst die Welt mit einer Decke belegen, die sie in Schweigen hüllte.

Aber plötzlich fiel der Blick des jungen Mönchs auf etwas neben der Eingangstür und er runzelte überrascht die Stirn. Was war das? Es sah aus wie ein Karton und irgendetwas lag darin. Eine Puppe? Zumindest sah es so aus. Der junge Mönch konnte gerade eben ein Gesicht erkennen, das erschreckend menschlich aussah und fast vollkommen von Schnee bedeckt war. Eine Gänsehaut überkam ihn. War das möglich?

Rasch trat der junge Mönch näher an den Karton und kniete sich hin, um besser sehen zu können. Er hatte sich nicht getäuscht. In dem Karton lag ein winziges Baby, vielleicht ein paar Stunden oder höchstens Tage alt. Der junge Mönch schluckte und musste gegen seine Tränen ankämpfen. Wer tat einem wehrlosen Geschöpf so etwas an? Sanft schob der Mönch den Schnee von dem winzigen Gesicht und betrachtete das winzige Geschöpf, das aussah, als würde es schlafen. Es war ein hübsches Kind mit dichten schwarzen Haaren. Ein kleines Mädchen wie der junge Mönch nach einem kurzen Blick auf den nackten Kinderkörper feststellte und längst vollkommen steifgefroren. Bei den Temperaturen in der Nacht hatte der Winzling nicht den Hauch einer Chance gehabt, länger als ein paar Minuten zu überleben. Ohnmächtige Wut überkam den jungen Mönch. Was für eine Mutter war das, die ihr Neugeborenes bei diesen Temperaturen aussetzte? Noch dazu ohne jede wärmende Kleidung? Es musste ihr doch klar gewesen sein, dass ihr Kind sterben würde. Warum hatte sie nicht einmal geklingelt oder sich sonst wie bemerkbar gemacht? Oder ihr Kind in eine Babyklappe gelegt? Dann hätte es wenigstens überlebt.

Noch immer tief erschüttert nahm der junge Mönch den Karton hoch und trug ihn ins Haus. Ihm war klar, dass er womöglich Spuren verwischte, die zu der Mutter führten, aber er brachte es einfach nicht übers Herz, das winzige Wesen weiter hier in der Kälte zulassen. Wenigstens jetzt sollte es ein wenig Würde erfahren. Außerdem war der Karton eh schon vom Schnee durchweicht und würde vermutlich nicht viel weiterhelfen können die Mutter zu finden.

Der junge Mönch trug den Karton ins Wohnzimmer des Pfarrhauses und stellte ihn vorsichtig auf dem Sofa ab. Noch einmal betrachtete er das winzige Gesicht des kleinen Mädchens, das viel zu kurz auf dieser Welt gewesen war. Jetzt war es bei Gott und wurde bei ihm mit offenen Armen empfangen. Plötzlich entdeckte der junge Mönch einen Zettel, der halb unter dem Baby lag. Vorsichtig zog er ihn heraus und las die wenigen Worte, die in schlechtem Deutsch darauf standen.

Es tuht mier leit.

Die Schrift war durch die Nässe ein wenig verwischt, aber noch gut lesbar. Der junge Mönch runzelte die Stirn. Was hatte das zu bedeuten? Wollte sich die Mutter entschuldigen, dass sie ihr Baby zum Sterben verurteilt hatte? Hatte sie es am Ende selbst getötet und dann hier abgelegt? Oder hatte sie gehofft, dass ihr Baby rechtzeitig gefunden wurde und wollte sich entschuldigen, dass sie es nicht behalten hatte?

A new beginning (All I want is you)Where stories live. Discover now