Lonely

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Wie ein Stück Müll lud der Mann die junge Frau vor der Notaufnahme des Krankenhauses ab und verschwand dann wieder in die Nacht. Seit drei Tagen hatte sie Fieber und jetzt war sie mehr tot als lebendig. So etwas konnte er nicht brauchen. Es war dem Mann egal, ob die Frau bei den eisigen Temperaturen überlebte oder starb. Wenn sie starb, hatte er wenigstens keine Arbeit mehr mit ihr – auch wenn es ein bisschen schade war. Sie war ziemlich hübsch und hatte einiges an Geld gebracht. Aber er würde schon Ersatz finden. Hübsche Mädchen gab es genug und sie waren austauschbar. Wer kein Geld brachte, wurde eben entsorgt. Er hatte weder Zeit noch Lust, in die Mädchen zu investieren.

Halb bewusstlos hörte die junge Frau die Autotür zuschlagen und kurz darauf das Geräusch des startenden Motors. Schnee stob auf und traf sie ins Gesicht als das Auto in die Nacht davonbrauste ohne Licht einzuschalten.

„Dimitrij", flüsterte die junge Frau. „Hilf mir. Bitte."

Aber niemand hörte die verzweifelte Bitte der jungen Frau und nur der Mond am Nachthimmel war Zeuge. Genau wie vor drei Tagen begann es zu schneien und Schneeflocken setzten sich in das rotblonde Haar der jungen Frau und auf ihren Körper. Ihr war klar, dass sie diese Nacht ohne Hilfe nicht überstehen würde, aber sie war zu schwach aufzustehen. Das rettende Licht war nur zwanzig Meter entfernt, aber in ihrem Zustand war es unerreichbar. Eine einzelne Träne lief über die Wange der jungen Frau. So hatte sie nicht sterben wollen. Aber vermutlich hatte sie es verdient. Ergeben schloss die junge Frau die Augen und wartete auf das Unvermeidliche. Sie war so unendlich müde und spürte die Kälte trotz ihrer dünnen Kleidung kaum. Vielleicht würde sie einfach einschlafen. Sie musste an ihre Tochter denken, die sie vor der Kirche abgelegt hatte. Ob man sie gefunden und begraben hatte?

Sie hatte nicht gewusst, dass sie schwanger war. Plötzlich waren die Schmerzen da gewesen. Schmerzen, die sie fast zerrissen hatten. Und dann hatte ihr Baby da gelegen. Ein blutverschmiertes winziges Bündel, das begonnen hatte, aus Leibeskräften zu schreien. Sie hatte Panik bekommen, dass Dimitrij es hören konnte. Das Baby sollte doch nur still sein. Also hatte sie ihm ein Kissen auf das Gesicht gelegt, damit es still war. Wie lange wusste sie nicht. Die Schreie waren tatsächlich leiser geworden und waren dann verstummt. Erleichtert hatte sie das Kissen weggenommen und entsetzt bemerkt, dass ihr Baby tot war. Sie hatte ihre kleine Tochter umgebracht. Als ihr das klar geworden war, hatte sie haltlos geschluchzt. Das hatte sie doch nicht gewollt. Ihr Baby hatte doch nur still sein sollen. Das war es jetzt – für immer. Sie hatte ihr Baby weinend an ihre Brust gedrückt und es immer wieder geküsst. Immer wieder hatte sie ihm versichert, dass es ihr leid tat. Und dass es so vielleicht besser für sie war. Dann hatte sie die Nabelschnur mit einem Messer durchtrennt und das Baby gewaschen. Ihre Tochter war so wunderschön. So perfekt. Auch wenn sie keine Liebe kannte und auch nicht wusste, was sie mit einem Baby anfangen sollte, hatte sie es geliebt.

Ganz vorsichtig hatte sie die Kleine dann in einen Karton gelegt und zur Kirche getragen. Auch wenn sie selbst nichts mit Gott zu tun hatte – vielleicht würde er ihre Tochter trotzdem beschützen. Noch einmal hatte sie ihr Baby geküsst, das aussah, als würde es schlafen und war dann gegangen.

Die letzten drei Tage hatte die junge Frau so getan als wäre nichts geschehen, obwohl sie Schmerzen und Fieber hatte. Sie hatte mit den Männern geschlafen bis es heute nicht mehr gegangen war und sie zusammengebrochen war. Dimitrij hatte sie dann in sein Auto gepackt und hierher gefahren. Zuerst hatte sie gehofft, er würde ihr tatsächlich helfen, aber dann hatte er sie einfach nur hier hingeworfen. Aber wahrscheinlich hatte sie es verdient – sie, die Mörderin. Am Rande ihres immer weiter schwindenden Bewusstseins hörte die junge Frau, dass sich ihr jemand näherte und spürte dann sanfte Hände, die sie berührten. Zu gern hätte sie die Augen geöffnet, aber ihr fehlte die Kraft. Wie lange sie hier in der Kälte lag wusste sie nicht. Das letzte, was die junge Frau hörte war ein Hilferuf einer Frau. Dann fiel sie in eine bodenlose Schwärze.



A new beginning (All I want is you)Where stories live. Discover now