Madre tan hermosa

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Während der Fahrt wurde Paddy immer stiller und hing seinen Gedanken nach. Viele Erinnerungen an seine Zeit hier in Spanien hatte er nicht mehr. Dafür war er einfach zu klein gewesen. Die wenigen Erinnerungen, die er noch hatte, waren schön und traurig. Er erinnerte sich daran, dass die Familie mit Freunden zum Schwimmen oder Picknicken gegangen war. In der Nähe des Dorfes war ein kleiner Bach, an dem sie herrliche Stunden verbracht hatten. Seine Geschwister und er hatten gern dort gespielt und die Älteren hatten sogar Mäuse besessen, denen sie auf einer Wiese am Bach kleine Kunststücke beigebracht hatten. Das war schön und unbeschwert gewesen.

Aber es hatte auch eine andere Zeit gegeben. Als Barbara krank geworden war. Nach Angelos Geburt war sie immer schwächer geworden und hatte viel im Bett gelegen. Ihre Kinder hatten jeden Tag an ihrem Bett gesessen und hatten ihr von ihrem Tag erzählt oder für sie gesungen. Dann hatte Barbara gelächelt und manchmal vor Rührung geweint. Nie hatte sie sich beklagt, trotz der Schmerzen, die sie gehabt hatte. Behutsam hatte sie ihre Kinder auf das Unvermeidliche vorbereitet und sie getröstet. Sie hatte ihnen gesagt, dass das Leben eine Art Haus war und sie in ein anderes Zimmer gehen würde. Paddy hatte das nicht hören wollen. Seine Mama sollte nicht in ein anderes Zimmer gehen. Sie sollte bei ihm bleiben – immer. Er hatte sich zu seiner Mutter ins Bett gekuschelt und ihr kleine Geschichten erzählt. Barbara hatte ihn sanft gestreichelt und ihn geküsst. Es war wunderschön gewesen.

Aber eines Tages war alles anders gewesen. Plötzlich war die geliebte sanfte Stimme ihrer Mutter für immer verstummt. Paddy hatte es nicht verstanden. Er hatte nach seiner Mutter gerufen, geweint und an ihrer Schulter gerüttelt. Wie lange wusste er nicht mehr. Warum wachte sie denn nicht auf und tröstete ihn? Irgendwann hatte Kathy ihn auf den Arm genommen und ihn aus dem Zimmer getragen. Auch sie hatte geweint. Alle hatten geweint – sogar sein Vater, den er noch nie hatte weinen sehen. Weder vorher noch nachher. Paddy war vollkommen verstört gewesen. Was war denn los? War seine Mutter in das andere Zimmer gegangen? Warum kam sie nicht zurück? Es hatte lange gedauert, bis er verstanden hatte, dass seine Mutter nie wiederkommen würde. Irgendetwas war an diesem Tag in seiner Kinderseele zerbrochen – etwas, das trotz der Liebe seines Vaters und seiner Geschwister nie verheilt war. Und auch nie ganz heilen würde.

Im Haus war es plötzlich so still geworden. Es hatte kein Lachen und keine Musik mehr gegeben. Auch keine kleinen Streiche mehr. Sie alle hatten irgendwie lernen müssen, den Tod ihrer Mutter zu verarbeiten. Erst nach einem Jahr hatte es wieder Musik bei ihnen gegeben, weil ihre Mutter es so wollte. Keep on singing – Singt weiter. Das waren ihre letzten Worte gewesen. Ihr Vermächtnis, das ihre Kinder und ihr Mann erfüllen wollten. Aber hier in Spanien ging das nicht. Hier war die Erinnerung an ihre Mutter zu lebendig und der Schmerz zu groß. Also waren sie mit einem uralten VW – Bus ohne gültiges Kennzeichen nach Frankreich geflüchtet. Ihr Vater hatte die Autokennzeichen selbst gemalt und sie hatten Glück, dass sie nicht erwischt wurden. Mit Mühe und Not hatten sie schließlich Paris erreicht und neu angefangen. Seitdem waren sie nie wieder hier gewesen. Sie wollten nicht zurückblicken.


Shaina beobachtete Paddy nachdenklich, der vollkommen in Gedanken versunken war. Sie konnte sich vorstellen, dass es nicht leicht für ihn war, hierher zurückzukehren – an den Ort, an dem die Erinnerung an seine Mutter so lebendig war. Sanft legte Shaina ihre Hand auf Paddys und streichelte sie zärtlich. Es tat ihr selbst weh, den Schmerz in Paddys Augen zu sehen und sie fragte sich, ob er ihn wirklich durchstehen konnte. Sie wusste, was Schmerz bedeutete und wie sehr er lähmen konnte. Paddy sah kurz zu Shaina herüber und schenkte ihr ein trauriges Lächeln, bevor er in das Dorf bog.

Es sah ähnlich aus wie das in dem John und Maite wohnten und schien sich seit damals kaum verändert zu haben. Paddy erkannte die alten Steinhäuser und die schmalen Gassen sofort wieder. Er hätte nicht einmal das Navi gebraucht, um sich jetzt hier zurecht zu finden. Die Erinnerung an jedes Haus, jede Gasse und jedes Geschäft aus seiner Kindheit war plötzlich wieder da. Vermutlich hätte er sogar noch einige Namen der Dorfbewohner nennen können. Es war fast, als wäre er plötzlich wieder der kleine pausbäckige Junge mit den rötlichen Locken und den roten Wangen, der fröhlich mit seinem Dreirad durch die Gassen fuhr. Paddy musste schlucken und blinzelte heftig gegen seine Tränen an. Es war seltsam, wieder so sehr in seine Vergangenheit zu tauchen – seine Kindheit, die hier noch so unbeschwert gewesen war. Zumindest eine Weile. Fast erwartete Paddy, die alten Freunde von damals zu sehen, die ihn fröhlich begrüßten.

A new beginning (All I want is you)Where stories live. Discover now