Nach einigen Stunden beruhigte sich die Lehrerin wieder ein wenig und konnte um einiges klarer denken. "Nett, dass du dich testen lassen willst, aber es wäre schon ein großer Zufall, wenn ausgerechnet du der passende Spender bist. Aber ich muss ehrlich zugeben, du hast ein richtig präzises Gefühl. Du hattest Recht mit deiner Vermutung, dass noch irgendwas Schlimmes passieren wird.", meinte sie und versuchte ein schiefes Lächeln. "Ich weiß, dass ich bei solchen Sachen ein untrügbares Gefühl habe. Ist ja auch der Grund, weshalb ich es im Unrerricht nicht mehr ausgehalten hab obwohl Bio ja mein Lieblingsfach ist. Außerdem ist es doch klar, dass ich mich testen werde. Sie brauchen unbedingt einen Spender. Leider kann ich erst in zwei Monaten spenden, falls ich in Frage käme. Aber wir wollen ja immer schon optimistisch bleiben, nicht?" "Schau auf die Uhr, Jane, es ist schon fast Nachmittag. Du solltest jetzt besser gehen und vielleicht in der Schule noch dein Verschwinden erklären.""Natürlich werde ich das. Ich komme sobald wie möglich wieder vorbei. Tschüss" Jane verschwand und Frau Genser lehnte sich zurück. Das Mädchen war ihr sehr ans Herz gewachsen und sie wünschte sich sehr, dass sie viel Zeit mit ihr verbrachte. Sie war einfach eine Tochter für sie geworden. Es war so lieb, wie Jane sich um sie kümmerte und sogar spenden wollte. Gerade jetzt in dieser schwierigen Situation konnte sie eine solche Stütze gut gebrauchen. Was sollte bloß werden? Würde sie es nochmals schaffen können? Noch während sie so in Gedanken hing, klopfte es zaghaft an der Tür. Unsanft wurde die Lehrerin aus ihren Gedanken gerissen und murmelte ein"Herein". "Hallo Andrea! Ich dachte ich schaue mal bei dir vorbei." "Das ist nett von dir!" "Wie geht es dir denn?" "Nicht so gut, wenn ich ehrlich bin. Ich habe eben die endgültige Diagnose bekommen. Die Leukämie ist wieder zurück und leider sogar noch schlimmer als beim letzten Mal. Ich werde nicht um eine Stammzellspende rumkommen." "Das tut mir so leid für dich! Ich wünschte, ich wäre noch 10 Jahre jünger,dann dürfte ich nämlich mich noch testen lassen, aber das bin ich leider nicht. Es tut mir leid." "Da kannst du ja nichts für, aber ich schätze deine Anteilnahme. Sehr sogar. Aber wie geht es dir? Erzähl mal ein bisschen." "Ja, also... Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Letztes Wochenende war Martin zu Besuch, aber er ist immer noch lieber bei seinem Vater, leider. Aber die Zeit mit ihm war echt schön." "Glaube ich dir. Immerhin, du siehst ihn ja wenigstens regelmäßig. Weiß du noch, als dein Exmann dir auch dieses Recht verweigern wollte?" "Ohja... Ja, ich bin auch sehr froh darüber. In der Schule ist alles wie immer. Also ich würde sagen, alles in allem geht's mir gut.""Schön zu hören!" "Ich wollte mal etwas Ernstes mit dir besprechen. Ich brauche mal deine Hilfe bzw. deinen Rat",sagte Frau Gress nun. Wie immer stellte Frau Genser ihre eigenen Probleme zurück, sobald andere welche hatten. So auch diesmal. Sie bat ihre Kollegin sich doch zu setzen.
Frau Gress ließ sich auf der Bettkante nieder und brachte einige stotternde Laute hervor. "Nun mal langsam. Ich beiße nicht. Susan, du weißt mit mir kann man über alles reden. Also, was ist los? Was bedrückt dich? Ich sehe dir schon seit langer Zeit an, dass da irgendwas ist" "Du hast Recht, du kennst doch dieses Mädchen, Jane ?" "Aber sicher, die besucht mich jeden Tag und ist mir eine große Stütze. Ich habe sie sehr ins Herz geschlossen. Sie ist ein wundervollesKind." "Das ist es, ich habe sie unglaublich liebgewonnen.Ich sehne mich nach ihrer Nähe, ich möchte sie so gerne adoptieren. Ich wünschte, sie wäre meine Tochter. Ich weiß mir keinen Rat. Es ist einfach eine Qual sie im Unterricht zu haben und sie nicht in die Arme schließen zu können." "Ich kann dich verstehen, ich mag sie ja auch echt gerne. Warum redest du nicht mal mit ihr darüber?" "Das kann ich nicht!",meinte Frau Gress erschrocken. "Sie wird es dir bestimmt nicht übelnehmen, auch wenn sie vielleicht nicht so empfindet." "Es ist mir aber so schrekclich peinlich, dass ich so für sie fühle. Sie muss mich ja für verrückt halten!" "Ich kenne sie, wahrscheinlich sogar um einiges besser als du und ich weiß, dass sie niemals so denken würde. Aber ich werde mir überlegen, was du machen kannst. Versprochen. Leider muss ich dich bitten gleich einen Moment draußen zu warten, denn der Arzt möchte noch einige Dinge mit mir besprechen. Er sagte, er käme so gegen 17:00 Uhr zur Visite." Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, trat Herr Dr.Kleie auch schon ins Zimmer. "Ich bin dann kurz draußen!",verabschiedete sich Frau Gress. Auf dem Flur ließ sie sich auf einem der dort stehenden Stühle nieder und betrachtete das Treiben auf dem Krankenhausflur.
Nach etwa 10 Minuten erschien Jane zu ihrem großen Erstaunen. Sie schien auf dem Weg zu ihrer Kollegin zu sein. FrauGress' Herz klopfte ein wenig schneller und sie lächelte ihrer Schülerin zu. Diese erwiderte das Lächeln und fragte: "Warum sitzen Sie denn hier?" "Ich habe Frau Genser besucht, nun bat sie mich draußen zu warten, weil der Arzt etwas mit ihr besprechen wollte und..." "Der Arzt? Dr. Kleie ist schon drin?" Jane wartete nicht mal das Nicken ab sondern stürmte ins Zimmer. "Hallo Kleine, alles Okay. Die Untersuchungen bieten Hoffnung",sprach der Arzt. "Prima, ich habe auch schon einen Termin ausgemacht. Außerdem ist mir aufgefallen, dass eine Spendersuche gestartet wurde.",erwiderte Jane daraufhin. DerArzt blieb noch einige Minuten und verschwand dann. Frau Gress erschien im Zimmer, sie erstarrte, als sie Jane und Frau Genser so vertraut auf dem Bett sitzen sah. "Ich äh, ich wollte nicht stören, ich wollte mich nur verabschieden." Ihre Stimme zitterte leicht und Tränen stiegen ihr in die Augen. Die Tür schlug hinter ihr zu und man konnte die immer leiser werdenden Schritte auf dem Gang hören. Frau Genser fühlte sich leicht schuldig. Ihre Kollegin hatte ihr eben noch vertraut und ihr erklärt, wie gern sie Jane hatte und nun hatte sie sie verraten.
Die Lehrerin versuchte die entstandene, peinliche Stille zu unterbrechen und meinte:"Darf ich dich mal etwas fragen?" "Aber klar",erwiderte Jane ihr. Frau Genser hatte eine Idee bekommen. "Ich wollte wissen, wie findest du eigentlich Frau Gress? Ich meine, magst du sie?""Ähm, ich..., also die Frage ist schon etwas merkwürdig, ich mein ich darf nichts Falsches sagen, oder?" "Tut mir leid, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Es hat aber einen guten Grund, dass ich frage. Vertrau mir bitte und vergiss, dass ich deine Lehrerin bin, ja?" "Okay, aber dürfte ich den Grund vielleicht auch erfahren? Im Übrigen finde ich sie sehr nett und eine prima Lehrerin.",erklärte ihr Jane. "Hör zu, was ich dir jetzt sage muss unter uns bleiben. Eigentlich dürftest du es ja gar nicht wissen, aber ich bin da anderer Meinung, da du eine wichtige, die wichtigste Rolle dabei spielst." Gespannt sah Jan ein das ernste Gesicht von Frau Genser. "Was ist los?",fragte sie. "Weißt du, du bist ein wirklich liebenswertes Mädchen. Nun, bevor der Arzt zur Visite kam, war Frau Gress hier und hat mir einen Besuch abgestattet, wie du sicher mitbekommen hast!",sprach sie zu Jane. "Ja, klar und weiter?",antwortete diese ein wenig sprachlos. "Naja, sie hat mir im Vertrauen etwas erzählt,was dich betrifft." Janes Augen blickten sie fragend an.
"Sie sagte, dass sie dich sehr, sehr liebgewonnen hat und dich am liebsten adoptieren würde. Aber sie traut sich nicht dich darauf anzusprechen.",beendete die Lehrerin ihre Erzählung vorsichtig.Sie wagte nicht in Janes Gesicht zu blicken, doch diese lächelte und entgegnete leise: "Ich finde es wunderbar das zu wissen, da ich sie genauso gern habe. Und das schon immer, auch vor dem Tod meiner Eltern!" "Wirklich? Das ist ja großartig, für Frau Gress meine ich. Ich denke, ich sollte sie dann doch überreden, mal mit dir zu sprechen. Wäre das auch okay für dich?""Aber natürlich ist es das",lächelte Jane. "Allerdings sollte ich nun nach Hause gehen, schließlich ist morgen wieder Schule und ich habe auch noch einige Hausaufgaben zu machen. Bis morgen." "Ja, bis morgen dann, Jane",sprach die Lehrerin.
Nachdenklich verließ das Mädchen die Krankenstation. Ihr wurde warm ums Herz, wenn sie an das dachte, was ihr eben erzählt wurde. Sie lächelte still vor sich hin, als sie das Waisenhaus betrat und der Heimleiterin eine gute Nacht wünschte. In ihrer winzigen Wohnung angekommen setzte sie heißes Wasser auf und suchte eine Dose mit Tomatensuppe. Bis das Wasser kochte, hatte sie noch ein wenig Zeit und entschloss sich schon einmal die Schlafsachen anzuziehen.Nachdem sie gegessen hatte, begann Jane mit den Aufgaben. Doch die ganze Zeit konnte sie an nichts anderes denken, als an das, was Frau Genser gesagt hatte. Sie setzte sich noch eine halbe Stunde lang an ihre Hausaufgaben. Kurze Zeit später lag das Mädchen in ihrem Bett und versuchte sich zu beruhigen. Die Ereignisse des Tages wollten einfach nicht aus ihrem Kopf verschwinden. Irgendwann jedoch schlief sie mit einem Glücksgefühl ein. Sie hatte Hoffnung geschöpft und war sich sicher, dass alles gut werden würde.
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Home Is A Person *wird überarbeitet*
Teen FictionAls Jane vor einigen Jahren ihre Eltern bei einem Autounfall verlor, wurde ihr Leben völlig auf den Kopf gestellt. Nach einer langen Phase des Trauerns fand sie zwar ihre Lebenslust wieder, aber eine Familie blieb ihr seitdem dennoch verwehrt. Doch...