Der nächste Morgen brach an. Jane wachte bereits im Morgengrauen auf und sprang gut gelaunt aus dem Bett. Sie tapste in ihrem Zimmer umher, auf der Suche nach ihrem Lieblingspullover. Nach einer ausgiebigen Dusche wollte sie eigentlich das Weihnachtsgeschenk für Susan einpacken, sie hatte ihr ein Lied komponiert und auf CD aufgenommen. Doch bevor sie die CD in grünes Papier mit silbernen Sternen einwickeln konnte, ließ sie eine Nachricht auf ihrem Handy aufmerksam werden. Etwas verwundert, wer ihr an Heiligmorgen um halb sieben schon schrieb, öffnetesie WhatsApp. In diesem Moment vibrierte ihr Handy erneut, dieses Mal mehrmals hintereinander.
Die Nachrichten stammten alle aus der Stufengruppe. Ihre Mitschüler kommentierten ein Bild, dass dort hineingeschickt worden war. Neugierig öffnete Jane nun ebenfalls die Datei und was sie da sah, ließ sie in Schreckstarre fallen. Es war das Bild, was beim Schlittschuhlaufen entstanden war, doch leider war es nicht so harmlos, wir Jane gedacht hatte. Jetzt verstand sie auch, warum aus Susans Hinfallen so ein Theater gemacht worden war.
Das Bild war in einer sehr unglücklichen Position aufgenommrn worden, bei der man deutlich einen Riss der Hose im Schritt sehen konnte. Wieso war das bloß vorher weder ihr noch Susan aufgefallen? Jane machte sich Vorwürfe, obwohl sie wusste, dass der Mantel den Riss im stehen gut verdeckt hatte, doch als sie auf dem Eis lag, ist er nach oben gerutscht und der Riss war von der anderen Seite gut sichtbar gewesen.
Bestürzt und entsetzt schnappte sich das Mädchen ihr Handy und lief zu Susans Schlafzimmer. Sie klopfte an die Tür, wartete aber nicht auf ein "Herein", sondern riss sie gleich auf. "Ist was passiert?", murmelte Susan verschlafen. "Wo ist deine Hose von gestern?", rief Jane, ohne die Lehrerin zu beachten. Etwas wacher antwortete diese: "Dort über dem Stuhl. Ich wollte sie heute nochmal anziehen. Ist etwas damit?" Jane ignorierte die Frage und suchte im Halbdunklen die Hose ab. Tatsächlich! Da war ein Loch im Schritt. Seufzend ließ sie sich auf das Bett fallen neben Susan. "Was ist denn nun los? Erzähl doch mal." Jane zeigte ihr nur wortlos den Riss und holte dann ihr Handy mit dem Bild raus. Susan nahm es und erbleichte. "Das darf doch nicht war sein! Das ist ein Alptraum." Ihre Hände begannen zu zittern und das Handy fiel auf die Bettdecke. Sie war zu geschockt, um etwas sagen zu können, doch über ihr Gesicht liefen stumme Tränen. Jane war genauso überfordert mit der Siuation und und konnte nichts tun, außer den Arm um Susan zu legen. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, denn es gab nichts, was gerade helfen würde. Nach einigen Minuten hatte sich Susan wieder einigermaßen gefangen und sprach: "Wir müssen dieses Bild irgendwie aus dem Verkehr ziehen. Das ist mein Untergang als Lehrerin, wenn das so bleibt." Jane nickte, wusste aber auch, dass das schwierig werden würde, denn solange auf dem Bild kein Gesicht zu erkennen war, konnte man kaum dagegen vorgehen. Außerdem hatte es schon längst die Runde gemacht, dessen war sie sich ganz sicher. Ratlosigkeit spiegelte sich in ihren Augen wieder, während sie beruhigend über Susans Arm strich. "Wie wäre es, wenn wir zwei erstmal richtig aus dem Bett kommen, frühstücken und danach einen Weihnachtsbesuch bei Frau Genser machen. Vielleicht hat sie ja eine Idee und selbst wenn nicht, wir lassen uns das Weihnachtsfest doch nicht damit verderben, dass ein paar Leute es konisch finden, dieses Foto ins Netz zu stellen." Mit diesem Vorschlag war Susan einverstanden und schlug die Bettdecke zurück.
Eine halbe Stunde später saßen sie am Frühstückstisch vor einem Korb mit knusprigen Brötchen und Schokocroissants. Es war inzwischen 8 Uhr geworden und Susan schlug vor, dass sie gegen 10 Uhr bei Frau Genser vorbeischauen könnten. Nachdem um 9 Uhr das Geschirr fertig gespült und abgetrocknet war, verschwand Jane auf ihrem Zimmer, um nun endlich die CD für den Abend einzupacken. Ein bisschen stolz war sie schon, als sie sah, dass die Verpackung nahezu perfekt aussah, besonders durch eine silberne Schleife, die sie aus Schleifenband selbst geformt hatte. Um halb zehn lief sie wieder die Treppe hinunter und war verwundert, dass ihre Mutter mit jemandem zu sprechen schien. Offensichtlich führte sie ein Telefonat mit ihrem Sohn Martin, dem sie auch gerade von der unangenehmen Situation mit dem Foto erzählte, als Jane den Raum betrat. Sie bedeutete ihr, dass sie gleich fertig wäre und dann bereit sei, loszufahren.
Pünktlich um zehn stiegen sie ins Auto und fuhren los. Im Krankenhaus herrschte schon Weihnachtsstimmung und bei Frau Genser am Bett stand ein LED Licht und statt einem Strauß Blumen, ein Weihnachtsstrauß mit kleinen Christbaumkugeln daran. Jane begrüßte die Lehrerin fröhlich und gemeinsam mit Susan schilderte sie die Situation und zeigte Frau Genser das Foto. "Das Foto ist natürlich nicht unbedingt so ganz harmlos, wenn es die Runde macht, aber ich glaube, ihr beiden macht euch da zu viele Gedanken drum. Wahrscheinlich werden die Schüler das in maximal ein bis zwei Wochen nach den Ferien schon wieder komplett vergessen haben. Susan, du musst da drüber stehen! Mach dir keine Sorgen, das wird schon." Frau Genser wirkte zuversichtlich und strahlte eine Sicherheit aus, die die beiden Besucherinnen beruhigte. Jane nickte: "Da haben Sie wahrscheinlich recht, nur im ersten Moment waren wir total geschockt." Susan wirkte zwar nicht ganz so überzeugt, sagte aber nichts dazu und konnte sogar ein zustimmendes Lächeln hervorbringen. Frau Genser wechselte nun das Thema und wollte wissen, was die beiden für die Weihnachtstage geplant hatten. "Kommt Martin euch besuchen? Es wäre doch bestimmt sehr schön, wenn er Jane mal kennenlernen könnte",fragte sie Susan. "Nein, der ist mit seinem Vater in den Bergen zum Skifahren. Leider!" "Spätestens nach meinem Abi kann mir mein geheimnisvoller Stiefbruder nicht mehr entrinnen!",lachte Jane. "Zur Not werde ich ihn besuchen!" Die beiden Lehrerinnen stimmten in das Lachen mit ein und sie alberten noch eine Weile rum, bis Susan meinte, es wäre langsam Zeit, nach Hause zu gehen und Heiligabend vorzubereiten. Denn schließlich sollte dieser Abend perfekt werden. Jane verabschiedete sich von Frau Genser jedoch nicht ihr ohne nochmal Details zu Susans Weihnachtsgeschenk ins Ohr zu flüstern. Verschwörerisch kicherten die beiden als Jane das Zimmer verließ. Auf dem Flur musste sie sich erst einmal einen missbilligenden Blick von Susan gefallen lassen, denn diese fühlte sich ein wenig ausgeschlossen von dem Geheimnis. "Weihnachtsgeheimnisse!",lächelte Jane sie an und schritt an ihr vorbei den Gang entlang in Richtung Ausgang. Draußen angekommen genossen sie kurz die frische, klare Winterluft, die ihnen das Gesicht kühlte, bevor sie ins Auto stiegen. Es dauerte knapp 20 Minuten, da erreichten sie auch schon das Zuhause. Der heilige Abend konnte beginnen. Es begann zu dämmern, als Frau Gress wie jedes Jahr gegen vier Uhr alle Vorbereitungen traf. Die verpackten Geschenke wurden unter den Baum gelegt und das Abendessen, bestehend aus Kartoffelsalat und Würstchen, zubereitet. Um fünf Uhr war dann auch endlich alles fertiggestellt und Susan und Jane machten sich auf, um den Weihnachtsgottesdienst um 17:30 zu besuchen. Als sie eine Stunde später aus der hell erleuchteten Kirche in die Dunkelheit traten, keimte endgültig Weihnachtsstimmung in ihnen aus. Die Freude war sehr groß, dass sie das Weihnachtsfest zusammen verbringen würden. Bevor sie sich auf den Heimweg machten, sprach Jane: "Ich möchte dir für alles danken, was du für mich getan hast. Wir hatten eine tolle Zeit zusammen und ich hoffe, dass wir noch eine sehr lange und wunderschöne Zeit vor uns haben." Sie umarmte Susan und legte den Kopf auf ihre Schulter. Susan lächelte gerührt und versuchte, die Freudenträne, die sich ihren Weg über die Wange bahnen sollte, wegzublinzeln. "Mir geht es ganz genauso, Kleine!" Mit diesen Worten gab sie dem Mädchen einen sanften Kuss auf die Stirn und hakte auch dann bei ihr unter. "Nun lass uns nach Hause gehen und unseren ersten gemeinsamen Heiligabend genießen!'Nach einem ausgiebigen Abendessen war es endlich soweit: Die Bescherung konnte stattfinden. Jane war sehr aufgeregt, denn sie wusste nicht, ob ihr Geschenk Susan auch wirklich gefallen würde. Mit zittrigen Händen umarmte sie ihre Adoptivmutter und gab es ihr in die Hand. Diese packte das hübsch verpackte Geschenk auch sogleich aus. Als sie die CD sah und begriff, was sie in ihrer Hand hielt, liefen ihr Freudentränen über das Gesicht. Sie freute sich unbändig darüber und nahm Jane in den Arm. Hätte sie ihr nicht auch noch ein Geschenk überreichen wollen, hätte sie sie wohl nicht mehr losgelassen. Doch nach ein paar Minuten drückte auch sie Jane ein Päckchen in die Hand, was mit glitzerndem roten Papier umwickelt und mit grünem Schleifenband bonbonförmig verziert war. In Janes Gesicht spiegelte sich die Freude darüber wieder, dass ihrer Mutter das Geschenk so gut gefallen hatte und mit glänzenden Augen nahm sie ihres engegen. Vorsichtig öffnete sie die Schleifen an den Seiten und wickelte das Papier auseinander. Sie stieß einen kurzen Freudenschrei aus, als sie sah, was es war. Susan hatte ihr einen Gutschein für einen gemeinsamen Urlaub ihrer Wahl geschenkt, den sie wann immer sie wollte einlösen konnte. "Das ist das allerschönste Geschenk, das ich jemals bekommen habe! Vielen, vielen Dank!",sagte sie lächelnd. Susan war erleichtert und erfreut, dass das Geschenk gut angekommen war und schlug nun vor, Weihnachtslieder zu singen. Nachdem sie auch noch bis mitten in die Nacht Monopoly gespielt hatten, fielen beide müde ins Bett.
Am Morgen des ersten Weihnachtstages wachte Susan früh auf und bereitete ein tolles Frühstück mit Croissants , Orangensaft und vielem mehr auf einem Tablett vor und brachte es Jane ans Bett. Diese blinzelte verschlafen, als Susan die Tür öffnete und das Essen vor ihr abstellte, war aber begeistert und dankbar und überredete sie dazu, doch auch etwas zu essen. So kam es, dass sie ihr Frühstück gemeinsam am Bett einnahmen. Später gingen sie in die Küche, um die Gans für das Mittagessen ebenfalls zusammen zuzubereiten. Gerade als sie den Backofen anschalten wollten, um die Gans hineinzustellen, klingelte es jedoch an der Tür. "Kannst du dich bitte kurz um die Gans kümmern?",fragte Susan und ging zur Tür. Jane nickte und stellte sie in den Ofen. Dann folgte sie Susan zur Tür, wo diese sich gerade mit der Nachbarin unterhielt, welche Pralinen gebracht hatte und ein frohes Fest wünschen wollte. Nach einem kurzen Wortwechseln schloss Susan wieder die Tür und wandte sich zu Jane: "Ist die Gans im Ofen?" "Ja, alles fertig. Jetzt heißt es nur noch warten",nickte Jane eifrig. "Na dann ist gut. Wollen wir noch ein Gesellschaftsspiel machen?" Jane stimmte zu und sie packten Phase 10 aus. Irgendwann sagte Susan: "Die Gans müsste jetzt bald fertig sein und wir haben auch schon halb drei, ich werde mal nachsehen und vielleicht könntest du in der Zeit den Tisch decken." "Klar, mache ich gerne." Es dauerte keine Minute, da ertönte ein leicht genervtes, aber auch ziemlich amüsiertes: "Jaaaaaaneee!!!" aus der Küche. Das Mädchen stürmte zu der Lehrerin und da sah sie auch schon die Bescherung. In der Eile hatte sie doch glatt vergessen, den Backofen überhaupt anzuschalten. Die ganze Warterei war umsonst gewesen und die Gans war immer noch roh genauso wie vorher. Susan wollte ihr böse sein, doch es gelang ihr kaum, eine strenge Miene aufzusetzen und als Jane ebenfalls die Komik der Situation begriff und anfing, zu glucksen, was in ein herzhaftes Lachen überging, da stimmte auch Susan mit ein. "Na das war wohl nichts...!",grinste sie und schob die Gans in den Ofen und stellte ihn dieses Mal auch an. "Wo hast du nur bloß immer deinen Kopf?" Kopfschüttelnd grinste sie Jane an. "Weiß ich doch selbst nicht",lachte diese schuldbewusst. "Unser Mittagessen wird jetzt wohl eher zum Abendessen",meinte Susan und fügte noch hinzu: "Dann können wir ja auch erst noch weiter Phase 10 spielen - Zeit genug haben wir jetzt ja."
Irgendwann war das Essen das schließlich fertig und es schmeckte trotz der kleinen Panne köstlich. Den restlichen Abend genossen die beiden aneinandergekuschelt auf dem Sofa und schauten Filme wie "Der Polarexpress" und "A Christmas Carol". Der zweite Weihnachtstag verlief sehr unspektakulär. Sie statteten Frau Genser im Krankenhaus einen kurzen Besucht ab und Jane überreichte ihr ein Buch, was sie ihr zu Weihnachten besorgt hatte für die langweiligen Stunden im Krankenhaus. Susan schenkte eine CD von Melissa Etheridge, eine Sängerin, die Frau Genser sehr mochte. Am Abend saßen die beiden wieder zusammen auf dem Sofa und unterhielten sich über ihr erstes gemeinsames Weihnachtsfest. "Ich hoffe, es hat dir gefallen. Ich fand es sehr sehr schön, Weihnachten mit dir verbringen zu dürfen und freue mich auch schon sehr auf die vielen Weihnachtsfeste, die hoffentlich noch kommen werden",meinte Susan. Jane nickte zustimmend und umarmte die Lehrerin. Nach einem gelungenen Abend legte sie sich ins Bett und ließ die letzten Tage nochmal vor ihrem inneren Auge Revue passieren. Sie hatte sehr viel Spaß gehabt und viel erleben dürfen und war so glücklich in ihrem neuen Zuhause. Sie hoffte, dass dieses Glück für eine lange lange Zeit anhalten würde. Jane war bereits lange eingeschlafen, als Susan nochmal leise in ihr Zimmer trat und das schlafende Mädchen betrachtete. Sie schob ihr eine Strähne aus dem Gesicht und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Sie flüsterte: "Gute Nacht, meine Kleine. Ich hab dich sehr lieb."
DU LIEST GERADE
Home Is A Person *wird überarbeitet*
JugendliteraturAls Jane vor einigen Jahren ihre Eltern bei einem Autounfall verlor, wurde ihr Leben völlig auf den Kopf gestellt. Nach einer langen Phase des Trauerns fand sie zwar ihre Lebenslust wieder, aber eine Familie blieb ihr seitdem dennoch verwehrt. Doch...