Es war gegen 8 Uhr, als Jane durch das Quietschen der Zimmertür aus dem Schlaf gerissen wurde. Sie beobachtete, wie die Tür einen Spalt aufging und Frau Gress ihren Kopf hineinsteckte. "Ach hier bist du also!""Morgen, ich glaube ich hab dann wohl ein bisschen verschlafen. Aber ich muss doch eh erst um halb elf in der Schule sein.""Allerdings, moment, du hast hier geschlafen? Sag mal geht's noch?",fragte die Adoptivmutter empört. "Ja warum?",fragteJane daraufhin etwas erstaunt über diesen Ausbruch. Doch statt einer Antwort schlug Frau Gress die Tür hinter sich zu und war weg.Kopfschüttelnd zog Jane sich an. Als sie wieder aus dem kleinen Badezimmer kam, lächelte Frau Genser ihr ein "wunderschönen guten Morgen" zu. "Du willst schon gehen?" "Ja,allerdings heute wird ja auch ziemlich anstrengend für mich.""Na gut, dann hau mal ab. Aber komm bald wiedervorbei.",lächelte die Kranke und nahm das Mädchen zum Abschied in die Arme. "Ja klar.",entgegnete Jane und nahm ihreJacke. Kurz darauf verschwand sie und ließ eine etwas enttäuschte Frau Genser zurück. Diese war immer noch nicht über Jane hinweggekommen und diese Nacht hatte ihr nicht sehr dabei geholfen.Seufzend drehte sich die Lehrerin auf die andere Seite und versuchte nochmal ein bisschen zu schlafen. Inzwischen stürmte Jane aus dem Krankenhaus heraus. "Was war nur eben mit Susan los?",dachte sie bei sich. Sie musste ihre Adoptivmutter unbedingt finden.
Während sie so die Straße entlanglief, überkamen sie zum ersten Mal Zweifel. "War es wirklich die richtige Entscheidung gewesen eine Lehrerin als Mutter zu haben? Wenn sie wegen jeder Kleinigkeit nun weglaufen würde und beleidigt spielte, dann habe ich gar keine Zeit mehr für mich..." Jane hing noch in Gedanken, als sie am Rhein entlang zur Schule ging. Heute hatte sie keinen Unterricht bei Susan, ihrer Mutter und das fand sie auch ganz gut. Sie wollte erst mal mit ihr reden, bevor gleich die ganze Klasse eine Unstimmigkeit mitkriegt. Jane öffnete die Glastür und betrat die Schule. Sofort wurde sie von zwei Klassenkameradinnen begrüßt. "Hey Jane, sag mal was ist denn mit deiner Mum los? Hat sie die Grippe? Soll ja momentan im Umlauf sein.",fragte die eine neugierig. "Wieso sollte Susan, ich meine Frau Gress die Grippe haben?" Jane war nun durchaus etwas verwundert. "Naja sie ist doch heute krankgemeldet. Ich dachte, da du ja nun die Tochter bist, da wüsstestdu sowas." "Sie ist krankgemeldet? Ihre Stunden fallen heute aus?" Jane wartete nicht das Nicken ab, sondern verließ sofort die Schule. Sie wandte sich nochmal um und rief den beiden Mädchen ein: "Meldet mich krank" hinterher und verschwand um die Ecke. Beunruhigt lief sie zum Waisenhaus und ließ sich auf das Bett fallen. Jane versuchte einen klaren Kopf zu bekommen und wählte die Nummer ihrer Mutter. Daheim ging leider niemand ans Telefon. "Komisch",dachte Jane bei sich. "Wo steckt sie bloß, wenn nicht zu Hause." Plötzlich überkam sie inGedanke. Das Krankenhaus. Bestimmt war sie zu Frau Genser, um sie nach diesem "Vorfall" zu befragen. Das junge Mädchen wartete keine zwei Sekunden, sie sprang auf und knallte die Zimmertür hinter sich zu. Durch das laute Geräusch war die Heimleiterin aufmerksam geworden und konnte gerade noch sehen, wie Jane das Haus verließ. "Warte, Jane, warte!",rief sie ihr hinterher, doch vergebens. Jane dachte gar nicht daran jetzt stehenzubleiben.Sie eilte durch die immer noch schneebedeckten Straßen und versuchte ihre Gedanken ein wenig zu ordnen. Vor ihr tauchte das Krankenhaus auf. Das mit Pulverschnee bedeckte Dach funkelte und glitzerte in der hellen Morgensonne und es strahlte sogar ein Stück Vertrautheit für Jane aus. Sie öffnete die Tür und hastete durch die weißen Gänge.Sie blieb vor der Tür von Frau Gensers Zimmer stehen. Sie umschloss mit ihrer Hand die Türklinke und wollte sie gerader unterdrücken, da hörte sie im Zimmer einen Streit. "Was fällt dir ein? Ich habe dir vertraut und jetzt plötzlich hintergehst du mich und versuchst hinter meinem Rücken, Jane für dich zugewinnen." Vor der Tür erkannte Jane die Stimme ihrer Adoptivmutter. Sie konnte nicht fassen, dass sie eine so schwerkranke Kollegin dermaßen anschrie. Und daran war ja eigentlich sie selbst Schuld. Von innen kam nun eine leise Antwort. "Susan, bitte beruhig dich. Ich hab ja kapiert, dass Jane sich für dich entschieden hat aber bitte, geh jetzt. Mir ist nicht besonders gut."In diesem Augenblick öffnete Jane die Tür. Sie wollte gerade fragen, was los sei, als Frau Genser bewusstlos wurde. Ihr Kopf fiel seitlich über die Bettkante und die angeschlossenen Geräte begannen laut zu piepsen. Susan Gress war kreidebleich geworden und murmelte:"Ich bin schuld!" Jane rief in den Gang hinein: "Wir brauchen einen Arzt, sofort." Da stürmte sie wieder zum Bett.
Mit der flachen Handfläche schlug Jane der Bewusstlosen abwechselnd auf die beiden Wangenseiten. Nach einigen Minuten öffnete sie die Augen, nur um den Kopf auf die andere Seite zu drehen und wieder in Ohnmacht zu fallen. Sekunden später kam auch schon der Arzt in das Zimmer gelaufen. Er erfasste die Situation mit einem Blick und verlegte Frau Genser auf die Intensivstation. Jane war ganz blass geworden und hatte mit großen Augen zugesehen. Inzwischen war Susan Gress hinter sie getreten und legte ihr die Hand auf die Schulter. Unsanft schüttelte Jane sie ab. Mit einem Mal ließ sie den ganzen aufgestauten Ärger aus sich heraus. Sie schrie Susan an. "Bist du nun total verrückt geworden? Du tickst ja wohl nicht mehr ganz richtig eine so kranke Frau einfach runterzumachen. Du bist schuld, wenn sich ihr Zustand weiter verschlechtert." Der Arzt war jetzt auch hinzugekommen und versuchte das aufgebrachte Mädchen durchbeschwichtigende Blicke zu beruhigen. Er wandte sich an Frau Gress."Sie haben also eine Stressituation heraufbeschworen woraufhin Frau Genser das Bewusstsein verlor?" "Das stimmt doch gar nicht",wehrte sich die Angesprochene verzweifelt. "Ja, wir hatten einen ziemlich heftigen Streit, aber das konnte doch unmöglich der Auslöser gewesen sein." "Ich enttäusche Sie ja nur ungern, aber leider ja. Frau Genser war noch sehr schwach und durch die Aufregung hat sie nun einen Schwächeanfall gehabt." Frau Gresswar aschfahl geworden und hob abwehrend die Hände. Es schien einen Moment so, als wolle sie etwas sagen, besann sich dann aber anders und nahm ihre Handtasche. Wenige Sekunden später verließ sie das Krankenhaus. Der Arzt und Jane blickten ihr nach. Keiner von beiden machte Anstalten ihr hinterher zugehen. Jane wandte sich nun an den Arzt. "Was wird denn nun aus Frau Genser? Schwebt sie in ernster Gefahr?" "Nein, sie hat sich einfach ein bisschen zu sehr aufgeregt, aber ihr Zustand ist nicht kritisch. Sie müsste auch bald wieder zu Bewusstsein kommen und dann werden wir sie wieder auf Normalstation legen. Machen Sie sich keine Sorgen, Jane.""Vielen Dank. Ich werde später noch einmal wiederkommen."
Das Mädchen ging nachdenklich nach Hause. Sie setzte sich an den Schreibtisch und kramte einige Schulbücher heraus. "Ein bisschen Ablenkung tut mir sicher ganz gut. Außerdem stehen in der Woche nach den Ferien die ersten beiden Abiturprüfungen an. Ich habe mich ja noch nicht sehr mit dem Stoff beschäftigt. Es war einfach zu viel Aufregung."Jane lernte bis spät in den Abend. Als sie dann auf die Uhr blickte und feststellte, dass sie fast 6 Stunden am Stück nur wiederholt hatte und dabei sogar den Besuch im Krankenhaus vergessen hatte, da wurde ihr ganz komisch zumute. Normalerweise war sie nicht so ehrgeizig und schon gar nicht, wenn sie etwas so Wichtiges noch erledigen wollte. Jetzt musste sie bis morgen nachmittag warten. Sie konnte erst nach der Schule wieder im Krankenhaus vorbeischauen. Sie ließ die Bücher in ihre Tasche gleiten und schlüpfte wenig später in den Schlafanzug. Nach dem Zähne putzen legte sie sich ins Bett.Sie zog die Decke bis an den Hals und merkte, wie anstrengend der Tag doch gewesen war. "Zum Glück ist morgen schon Freitag und dann Wochenende und endlich Ferien",dachte sie erschöpft. Jane war schon bald eingeschlafen und erwachte erst wieder, als der Wecker ein lautes, piepsendes Geräusch von sich gab. Genervt schlug sie mit der Hand auf die Stelle ein, wo sie den Ausschaltknopf vermutete. Es funktionierte, der Wecker gab endlich Ruhe. Sie blieb noch eine Weile mit geschlossenen Augen liegen und dachte über die gestrigen Ereignisse nach. Dann machte sie sich fertig, schnappte sich ein Stück Brötchen und ihre Schultasche. Auf dem Weg zur Schule glitten ihre Gedanken zu Susan Gress. Siedend heiß fiel dem Mädchen ein, dass sie ja heute eine Doppelstunde Musik bei ihr hatte.
Ein Seufzer entfuhr ihr, als sie das Schulgebäude betrat. Sie suchte ihre beste Freundin, Melanie und fand sie am Vertretungsplan stehen. "Hey Jane. Heute leider keine Vertretungen." Jane erschauderte. Ihre Mutter hatte sich also nicht krank gemeldet. Das würde eine Katastrophe geben. Melissa musste den plötzlich starren Blick ihrer Freundin bemerkt haben, denn sie fragte:"Alles Okay bei dir? Hast du Streit mit Frau Gress?" "Nicht so schlimm.",wehrte Jane ab und atmete erleichtert auf, als es klingelte. Das Mädchen bekam nun aber erst recht Angst, als ihr einfiel, dass Freitags die ersten beiden Stunden immer Musik war. Na das konnte ja heiter werden! Sie warteten vor dem Musikraum und Jane unterhielt sich möglichst angeregt mit Melanie und Sabrina aus ihrer Klasse. "Hey sie kommt",rief jemand. Jane wandte sich um und blickte in die Augen von Susan Gress.
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Home Is A Person *wird überarbeitet*
Teen FictionAls Jane vor einigen Jahren ihre Eltern bei einem Autounfall verlor, wurde ihr Leben völlig auf den Kopf gestellt. Nach einer langen Phase des Trauerns fand sie zwar ihre Lebenslust wieder, aber eine Familie blieb ihr seitdem dennoch verwehrt. Doch...