Andrethel

356 15 2
                                    

Die Pferde schnaubten laut und Itarille musste Larcatal zurückhalten, sodass die Anderen mithalten konnten. Die Erde bebte unter dem Gewicht der Pferde und das trockene Gras wich den bemuskelten Beinen. Ein Vogelschwarm glitt über sie hinweg und verschwand am Horizont. Der Wind wehte leicht über die schier endlose Weite und die Nachmittagssonne ließ die Ebene in einem leuchtenden Orangen erscheinen. Auch Larcatals Fell hatte nun einen roten Schimmer. Der Spätsommer hatte seine volle Pracht entwickelt. Und Itarille ärgerte sich trotzdem, dass sie dieser Reise zugestimmt hatte. Sie hätte die letzten schönen Sommertage mit Thranduil verbringen können, aber stattdessen ritt sie mit Erundil und Varisse nach Nargothrond. Thranduil konnte sich nicht von seinen Pflichten als Wachsoldat entbinden, ansonsten wäre er ebenfalls mitgekommen. Allerdings hatten sie sich mehrere Abende mit Schwertkampf beschäftigt, da Thranduil wollte, dass sie im Umgang mit dem Schwert sicherer wurde, damit er keine Angst um sie haben musste. Trotzdem war es ihm eigentlich nicht Recht gewesen, dass sie in diesen dunklen Zeiten die Grenzen des Königreichs verließ. Seit einigen Wochen hatten sich Orkangriffe auf die Grenzen vermehrt. Bis jetzt war ihnen noch kein Ungeheuer über den Weg gelaufen und Itarille hoffte, dass sich das nicht ändern würde. Zwar schaffte sie es so gerade sich gegen Thranduil zu wehren, aber sie wusste, dass er sich zurückhielt und dass Melkors Kreaturen vor ihr nicht zurückschrecken geschweige denn würden sie so sachte mit ihr umgehen wie Thranduil. „Wir müssen bis zu dem Gebirge!", rief Erundil und Itarille nickte. Die Bergkette lag blass vor ihnen. Wenn sie in dem gleichen Tempo weiter reiten würden, würden sie die Stadt noch vor Anbruch der Dunkelheit erreichen. Und dies war jedem der drei Reiter nur recht, denn in der Nacht waren grausame Kreaturen unterwegs.

Nargothrond verschlug Itarille die Sprache. Menegroth war schon prächtig gewesen, aber diese unterirdische Stadt hatte eine Ausstrahlung die Doriaths Hauptstadt nicht besaß. Die Wände waren glatt, so auch der Boden. Eine spärliche Beleuchtung tauchte die Gänge und Hallen in ein magisches blau. Allerdings lag die Stadt in unheimlicher Stille, nicht wie Menegroth, wo die Vögel laut zwitscherten und ständig Elben miteinander redeten. „Folgt mir", forderte Erundil Varisse und Itarille auf. „Ist es hier immer so still?", fragte Varisse vorsichtig. Auch ihr war es nicht entgangen, wie ruhig es hier war. „Nein, eigentlich nicht", antwortete Erundil und führte die beiden durch das verstrickte Tunnelsystem. Itarille dachte wieder an ihre Heimat. Egal wo man hinging, dort hörte man überall den Gesang ihres Volkes. Häufig waren es Hymnen an die Mächtigen oder Trauerlieder über die vergangene Zeit, vor der Verdunkelung Valinors. Ob es Thranduil in den geweihten Landen gefallen würde? Er war ein Krieger und jener hatte in Valinor keine Aufgabe mehr. Dort gab es seit Melkors Flucht nach Beleriand keine Unwesen mehr. „Wir werden erst meinen Vater aufsuchen. Er wird tiefer in den Hallen beschäftigt sein. Ich denke, dass er uns zu meiner Mutter begleiten wird", sagte Erundil und bog wieder ab. „Wartet bitte", meinte Itarille ruhig und blieb stehen. Augenblicklich drehten sich die anderen um. „Was ist?", fragte Varisse besorgt. „Ihr wisst beide, dass ich nicht sonderlich angetan bin davon, dass ich euch heute begleite. Bitte sagt mir, wo ich euch zu einer späteren Zeit auffinden kann. Ich werde mich alleine umsehen", sprach Itarille. „Nein, komm mit!", flehte Varisse, aber Itarille schüttelte den Kopf. „Frage nach Andrethel, dann wird man euch zu meiner Mutter führen", antwortete Erundil und legte einen Arm über Varisse, bevor er mit ihr in den Gängen verschwand und Itarille alleine zurück blieb.

„Verzeiht, könnt ihr mir sagen, wo ich Andrethel finden kann?", fragte Itarille und die Elbin vor ihr drehte sich zu ihr um. Itarille hielt die Luft an. Sie besaß genau das gleiche Gesicht wie Varisse. Ihre braunen Locken fielen wild über ihre Schultern und ihr grünes Kleid hatte goldene Verzierungen, die vor allem ihr Dekolleté betonten. Die Elbin sah Itarille aus freundlichen Augen an und setzte die Schüssel in ihrer Hand auf ihre Hüfte. „Warum sucht ihr sie?", fragte sie interessiert und Itarille brauchte einen Moment, bevor sie sich gefangen hatte und eine klare Antwort geben konnte. „Ich bin auf der Suche nach zwei Freunden und mir wurde gesagt, dass ich sie dort finden würde", sagte sie langsam und die Elbin lächelte Itarille an, bevor sie ihr die hölzerne Schüssel entgegen reichte. „Wollt ihr etwas?", bot sie ihr an und Itarille griff nach einem der Äpfel. „Ich danke euch", entgegnete Itarille und biss direkt in die rote Schale. Wo bekam man hier bloß Äpfel her? „ihr seid neu hier oder?", fragte die Fremde und Itarille nickte, „Ja. Ich bin mit zwei Freunden hier, allerdings sind die beiden jemand anderen besuchen und ich wollte sie nicht stören", erklärte Itarille. „Darf ich euch dann noch etwas herum führen?", fragte die Elbin. „Gerne. Sehr gerne!", antwortete Itarille lachend. Je mehr Zeit sie gewinnen konnte nicht auf Varisse, Erundil und dessen Familie zu treffen, desto glücklicher war sie. „Darf ich fragen, woher ihr kommt?", fragte die Elbin neugierig und setzte sich in Bewegung. „Aus Doriath", antwortete Itarille und wunderte sich im nächsten Moment über sich selbst. Aus Doriath. Nicht Valmar, ihre eigentlicher Wohnort in Valinor. „Ein wirklich bemerkenswertes Königreich und ein achtenswerter König. Mein Sohn wohnt dort auch", verkündete die Elbin. „Ihr habt Kinder?", fragte Itarille überrascht. Die Elbin wirkte nicht wie eine Mutter. Dafür wirkte sie irgendwie noch zu aufgeweckt und nicht sehr bodenständig. „Ich habe einen Sohn", setzte sie an und ihre Züge verhärteten sich. „Und eine Tochter. Aber ich habe sie seit Jahren nicht mehr gesehen." „Was ist mit ihr?", fragte Itarille. War es vielleicht wirklich Varisse Mutter? Allerdings wäre es doch schon ein sehr großer Zufall, wenn sie mal eben Varisse Mutter gefunden hätte, während sie eigentlich Erundils Mutter aufgesucht hatte. Kannten sich die Eltern der beiden sogar schon? „Das ist eine lange Geschichte, mit der ich euch nun nicht nerven will", antwortete die Elbin bitter. „Das tut ihr gewiss nicht", entgegnete Itarille. Sie wollte es unbedingt wissen. „Ach wisst ihr...?", die Elbin machte eine Pause. „Itarille, verzeiht, wie unhöflich von mir", sagte sie schnell und im gleichen Moment fiel ihr auf, dass sie den Namen ihrer Gesprächspartnerin ebenfalls noch nicht kannte. Jedoch sprach diese schon weiter, noch bevor Itarille hätte etwas sagen können. „Itarille", vervollständigte sie ihren Satz. „Durch Feanors Handeln wurden viele Familien auseinander gerissen und Leben zerstört. Ich weiß nicht, was mit meiner geliebten Tochter passiert ist", erklärte sie. „Wo habt ihr sie denn verloren?", fragte Itarille. Der Name konnte warten. „Als sie nicht einmal 3 Jahre war, sind wir aus Aman gegangen. Ich habe meine Tochter zurückgelassen, in der Hoffnung, dass sie eines Tages ein unbeschwertes Leben führen kann. Was uns hier in Beleriand erwartet, wussten wir zu dem Zeitpunkt noch nicht. Daher haben mein Mann und ich sie zurückgelassen. Nur unser Sohn hat uns begleitet, denn er war Alt genug um zu wissen, was er mit seinem Leben machen wollte. Ich habe mir geschworen, meine Tochter eines Tages herzuholen, wenn hier Frieden herrscht, aber Morgoth ist zu mächtig." „Und Varisse alt genug, um auf sich aufzupassen", antwortete Itarille ruhig. Die Elbin blieb schlagartig stehen und ihre Augen weiteten sich. „Woher kennt ihr sie?", hauchte sie und ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Shh", beruhigte Itarille die Fremde und strich ihr behutsam über den Arm. „Ich komme ursprünglich aus Aman. Aber ich bin nicht alleine hier her gekommen. Eine starke Elbin begleitete mich hier her", erklärte Itarille ruhig und sie sah, dass ihre Gegenüber verstand, dass sie nicht Varisse' körperliche Stärke meinte. „Wo ist sie nun?", flüsterte die Elbin und umfasste Itarilles Hand fest. „Hier. Sie ist eine meiner beiden Freunde", lächelte Itarille. In dem Blick der Elbin glänzte etwas auf und es waren nicht die Tränen. Voller Freude sah sie Itarille an. „Ihr seid eine Gabe Erus!", sprach sie stockend. „Ihr habt mir meine verlorene Tochter wieder gebracht!" „Nein. Sie hat euch gesucht", entgegnete Itarille, die über die Wortwahl schmunzelte. Gabe Erus. Naja solange sie ihr noch keine Opfer brachte war alles gut. „Aber woher kannte sie meinen Namen?", fragte die Elbin und Itarille verzog fragend das Gesicht. Sie hatte doch nie ihren Namen erwähnt, geschweige denn hatte sie überhaupt eine Ahnung wer sie war. Die Elbin hielt einen Moment inne, bevor das Lachen ein wenig verschwand und sie Itarille besorgt musterte. „Ich bin Andrethel."

Itarille & Thranduil || Im SternenlichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt