Abschied

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Schweigend saß Itarille neben Thranduil auf der Bank vor den tausend Grotten. Thranduil trauerte um Arasdir und machte sich schreckliche Vorwürfe, Itarille hingegen war mit ihren Gedanken immer noch beim Sterben. Wie würde sich der Tod anfühlen? Merkte sie, wenn ihre Seele in Mandos ewigen Hallen ruhte? „Da seid ihr ja!“, riss Celebwens Stimme sie aus ihren Gedanken. Als sich Itarille zu ihr umdrehte schrak sie auf. „Was ist los?“, fragte sie besorgt und stand auf. Thranduil reagierte gar nicht, sondern blieb mit leerem Blick ruhig sitzen. „Beldir ist noch nicht heimgekehrt und ich habe gehört, dass ein Wolf hier sein Unwesen treibt. Ich habe Angst um ihn“, gestand sie und Itarille holte tief Luft. Sie hatte Carcharoth erlebt. „Wo war er denn?“, fragte Itarille vorsichtig. „Ich hab keine Ahnung, er sagte, dass er noch was besorgen wollte!“, sprach Celebwen und ihre Stimme überschlug sich. Itarille überkam eine schlechte Vorahnung. Carcharoth hatte einige Opfer gefordert und die Toten wurden nun irgendwo in den Hallen gesammelt, bevor sie begraben werden sollten. „Kommt mit“, forderte Itarille die Elbin auf und verschränkte die Arme vor der Brust, während sie mit Celebwen an ihrer Seite nach Menegroth zurücklief. Thranduil ließen sie zurück. Wenn Beldir wirklich unter den Toten war, wollte sich Itarille nicht vorstellen, wie schlimm es für Celebwen sein musste. Wie glücklich sie die beiden erlebt hatte. Was wäre, wenn es Thranduil getroffen hätte? Vermutlich wäre Itarille sofort zurück nach Valinor gegangen. Wenn er nicht mehr hier war, würde sie nichts länger halten. War Varisse inzwischen auch wieder zurück? „Was denkt ihr, was mit meinem Geliebten ist?“, fragte Celebwen unsicher. „Ich weiß es nicht, aber wenn ihm wirklich was passiert ist, dann werdet ihr ihn in Menegroth finden“, antwortete Itarille und musste schlucken. Celebwens Augen füllten sich mit Tränen. „Ich habe ihm nie gesagt, wie sehr ich ihn brauche und liebe“, flüsterte sie und wischte sich eine Träne weg. „Sagt es Thranduil, bevor es zu spät ist“, hauchte sie und Itarille blieb stehen. „Celebwen, in jedem Ende liegt ein neuer Anfang“, sagte Itarille und legte Celebwen eine Hand auf die Schulter. Einen Moment hielt sie inne. Konnte sie eigentlich auch irgendwas anderes als weise Sprüche ausplappern, die einen absolut nicht aufbauten? „Aber ohne Beldir…“, nuschelte Celebwen traurig und schüttelte den Kopf. „Noch ist nichts klar“, entgegnete Itarille und drückte Celebwen vorsichtig zu den Grotten. Hoffentlich lebte er noch, dachte Itarille, während sie den Rest des Weges schweigend liefen.

Das Schreien von Luthien fuhr Itarille durch die Knochen. Celebwen klammerte sich an ihr fest, als sie in der großen Halle standen, in der die Wache die Toten und Verletzten des Wolfangriffes sammelte. Mit einem letzten Schluchzen sank sie über dem toten Menschen  zusammen und rührte sich nicht mehr. Melian wendete sich mit schmerzverzerrtem Gesicht ab und kam Itarille und Celebwen entgegen. Thingol  lieb schweigend bei seiner Tochter stehen. Melians Blick war auf den Boden gerichtet und erst, als sie fast in Itarille reinlief, sah sie auf. „Es tut mir leid“, flüsterte Itarille ihr zu und in Melians Augen war jeglicher Glanz verloren. Ihre Haare wirkten matter denn je und ihr Gesicht war eingefallen. „Er ist nur leicht verletzt“, sprach sie heiser und ging an den beiden Elbinnen vorbei. Itarille sah ihr nach. Ihre ganze Ausstrahlung war verschwunden. Die edle Haltung die sie einst besaß, war einer schlaffen, ausdruckslosen gewichen. „Was meint sie?“, fragte Celebwen irritiert. „Beldir“, murmelte Itarille und drehte sich erst wieder um, als sie Melian nicht mehr erkennen konnte. Celebwen ließ die Blonde los und blickte sich suchend um. Wie viel Leid musste Melian aushalten, sodass sie so aussah? Itarille sah zu Thingol, der sich nicht rührte. Allerdings lebte er im Gegensatz zu seiner Tochter noch. Nun war die Nachtigall verstummt. Kein Vogel war mehr zu hören. Die Blume ließen ihre Köpfe hängen. Die Elben sangen nicht mehr. Es war bedrückend. Aus dem Augenwinkel beobachtet Itarille, wie Celebwen auf Beldir zulief. Er saß mit blutendem Arm an die Wand gelehnt. Er fiel nicht auf, unter den anderen Verletzten. Wäre Celebwen nicht hingerannt, hätte Itarille ihn vermutlich nie gesehen. Schweigend ging sie los. Und nicht zu Beldir und Celebwen. „Was denkt ihr, was mit ihrer Seele ist?“, fragte Itarille und verschränkte die Hände ineinander. „Ich kann es nicht sagen. Ich hoffe, dass ich sie eines Tages wiedersehen werde“, sprach der König langsam. Diese Unwissenheit musste schmerzen. Luthien war weder eine richtige Elbin, noch eine echte Maia. Das Schicksal der Seelen von Iluvatars Kindern war bekannt, Maia starben nicht. Konnte es also sein, dass Luthien gar nicht Tod war? „Es ist alles meine Schuld“, flüsterte Thingol, sodass es nur Itarille hören konnte. „Ich habe Beren verspottet und über ihm gelacht. Ich war derjenige, der ihm eine unlösbare Aufgabe zutrug, in der Hoffnung, dass er sterben würde. Was habe ich nun? Das Silmaril. Der Preis war zu hoch.“ Itarilles Augen wurden weit. Unter seinem Umhang hatte er eines der Silmaril gezogen. Es war wunderschön. Das schönste, was Itarille je gesehen hatte. „Ich habe meine Tochter verloren. Und nicht nur das. Mit ihr ist alles Schöne aus meinem Reich verschwunden.“ Das Vogelzwitschern, Blumen, Freude. Er brauchte es nicht zu erläutern, damit Itarille es verstand. „Ich habe es alles zerstört. Doriaths Blüte ist vorbei. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis es vollkommen untergehen wird“, beendete er seinen Monolog. Er wusste es also auch. „Ihr seid kein schlechter König“, bemerkte Itarille und Thingol lachte verbittert. „Ach nein? Und was habe ich hier angerichtet? Für einen Edelstein. Von Feanors verdammten Söhnen“, sprach er verhasst. Immerhin mochte er sie auch nicht. Allerdings wusste Itarille nicht, was sie sagen sollte. Damit hatte er doch Recht, wie Itarille sich eingestehen musste.  „An eurer Stelle würde ich zurück nach Valinor gehen“, sagte Thingol und Itarille war überrascht. „Warum?“, fragte sie und sah den König direkt an. „Dieses Reich ist nicht mehr sicher genug für euch“, sagte er und erwiderte den Blick. „Wenn ihr nicht wollt, dass euer Vater mir den Krieg erklärt, weil ich seine Tochter nicht schützen konnte, dann solltet ihr hier schnellstmöglich verschwinden. Aber ich werde heut selbstverständlich nicht vorschrieben was ihr zu tun und zu lassen habt. Seht es als gut gemeinten Ratschlag“, endete er und sah wieder auf Luthien herab. „Danke“, sagte Itarille und wendete sich ab. Sollte sie gehen? Ohne Celebwen und Beldir eines Blickes zu würdigen, machte sie sich auf den Rückweg. Ob Thranduil noch da war? Mit ihm würde sie reden müssen. Thingol mochte Recht haben. Doriath zerfiel. Und das immer schneller. Melians Gürtel war schwach geworden, Luthien war gestorben und Thingol hatte ein Silmaril. Es würde nur noch eine Frage der Zeit sein, bis Feanors Söhne kamen und alles zerstörten was zwischen ihnen und ihrem heiligen Steinchen stand. Vor allem auf ein Wiedersehen mit Celegorm und Curufin konnte sie verzichten. Vielleicht sollte sie einfach gehen und Beleriand den Rücken kehren. Aber gehörte sich das? Sie hatte Varisse und Erundil schon einfach verlassen. Konnte sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren dies auch mit Thranduil zu tun?

Itarille & Thranduil || Im SternenlichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt