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Nachdenklich nagte ich an meiner Unterlippe, eine nervige Gewohnheit, die sich immer bei Nervosität, Angst oder Nachdenklichkeit zeigte. Schließlich entschied ich, dass die Formulierung auf meinem Bildschirm so okay war und fuhr mit der Hausarbeit fort. Es dauerte nur noch eine Viertelstunde, dann hatte ich es endlich geschafft. Erleichtert speicherte ich das Dokument und klappte den Laptop zu, dann lehnte ich mich zurück und ließ meine Finger knacksen, die vom vielen Tippen der letzten Stunden ganz steif geworden waren. In diesem Moment klingelte mein Handy und ich richtete mich schwermütig auf, um es zu suchen. Ich fand das blöde Ding schließlich in der Sofaritze, wobei ich gar nicht wissen wollte, wie es da gelandet war. Als ich jedoch den Namen auf dem Display laß, musste ich grinsen. "Na Brüderchen, hast du schon Sehnsucht nach mir?" "Wir beide!", ertönte unisono die Antwort von Lars und Sven. Lachend lief ich zum Sessel und ließ mich darauf fallen. "Was kann ich denn für euch tun?" "Uns verraten, wann du hieraufkreuzt." "Ganz ruhig Jungs, ich hab noch schnell eine Hausarbeit zu Ende geschrieben. Aber die Möbelmenschen waren schon da, es kommen nur noch das Sofa, der Sessel, der Stuhl und der Schreibtisch raus. Und in ein paar Stunden steht das dann alles bei euch." "Bei uns", verbesserte Lars mich und ich konnte schwören sein stolzes Grinsen herauszuhören. "Ja, bei uns. Wahnsinn, oder? Wir kennen uns gerade mal zwei Wochen und jetztziehen wir alle drei zusammen." "Wir sind eben einfach Seelenverwandte. Die coolsten Geschwister der Welt." Ich lachte. "Mhm, is' klar. Habt ihr eigentlich heute noch Training?" "Nein, erst morgen wieder. Willst du mitkommen?" "Gerne. Habt ihr euren Kumpels denn schon erzählt, dass ihr jetzt eine Schwesterhabt?" "Nein, wir wollen sie überraschen, und am besten vorher noch so richtig auf die Schippe nehmen." Ein schelmisches Grinsen schlich sich auf meine Lippen. "Das klingt ganz nach meinem Geschmack. Wir können uns ja heute Abend was einfallen lassen." "Sehr gute Idee Schwesterherz. Und jetzt sieh' zu, dass du herkommst!" "Jaja, ich hab euch lieb." "Wir dich auch. Bis nachher!", kam die Antwort wie aus einem Mund. "Bis dann." Kopfschüttelnd legte ich auf und packte mein Handy, meinen Laptop und die letzten Kleinigkeiten in meinen Rucksack. Dann schrieb ich dem einen Möbelpacker von vorhin, dass sie jetzt kommen konnten. Es dauerte nicht lange bis es klingelte und schon kurze Zeit später waren alle restlichen Möbel verstaut. Die Fahrt nach Leverkusen zog sich ein wenig, da auf der A1 Stau war, aber mit der passenden Musik im Radio überlebte ich es. Als ich denn endlich vor meinem zukünftigen Zuhause stand, konnte ich es kaum erwarten. Grinsend klingelte ich bei dem Schild mit der Aufschrift Bender und schon kurze Zeit später wurde die Tür aufgerissen und ich fast erdrückt. Lachend erwiderte ich die Umarmung, bis ich wieder Luft brauchte. "Na los, zeigt mir die Wohnung, damit ich den Möbelpackern zeigen kann, wo die Sachen hinkommen!", forderte ich meine Brüder auf. Beide hielten mir je eine Hand hin und so rannten wir die Treppe nach oben in den zweiten Stock. An der weißen Eingangstür hing ein bunt bemaltes Bild, auf dem in krakeliger Schrift Sven&Lars Bender stand. "Wie alt wart ihr, als ihr das gemalt habt?", erkundigte ich mich und meine Brüder schauten mich schmunzelnd an. "28." Lachend schüttelte ich den Kopf. "Dann muss ich ja wohl auch noch so eins machen und daneben hängen, oder?" "Auf jeden Fall. Und jetzt hereinspaziert." Sven hatte die Tür aufgeschlossen und gewährte mir den ersten Blick auf mein neues Zuhause. Es gab einen relativ langen Flur, an dem zu beiden Seiten einige Türen waren. Lächelnd lief ich los und schaute links und rechts in die Zimmer, während die Jungs mir zu jedem davon die Funktion nannten. Der Flur endete schließlich im Wohnzimmer, in dem sich neben einem Esstisch, einem großen Fernseher und einer Couchlandschaft, auch eine Wendeltreppe nach oben befand. "Da geht es zu unseren Zimmern", erklärte Lars und ich lief erwartungsvoll los. Wieder gab es einen, dieses Mal relativ kurzen, Flur. Er endete in einem zweiten Badezimmer und rechts waren drei Türen. "Die erste Tür führt zu meinem Schlafzimmer, die zweite zu deinem und die dritte zu Svens", erklärte Lars. Ich nickte und öffnete die zeite Tür. Mein Schlafzimmer war verhältnismäßig groß, was momentan aber auch einfach daran liegen konnte, dass noch keine Möbel drin waren. Doch eine Sache fing meinen Blick sofort auf. Mit wenigen Schritten hatte ich den Raum durchquert und öffnete die Balkontür. Lauwarme Luft wehte mir entgegen und ich schaute nach links und rechts. Dann drehte ich mich zu meinen Brüdern um. "Das ist ja mega! Der Balkon verbindet unsere drei Schlafzimmer, sodass wir da abends immer sitzen können und von da aus direkt ins Bett. Oder wenn ich euch wecken will, dann kann ich einfach gegen die Balkontür klopfen."  Lachend drehte ich mich wieder um und schaute nach unten. Zum Glück war es aus dem zweiten/ dritten Stock noch nicht so hoch, denn ich hatte ein bisschen Höhenangst. In diesem Moment ertönten von unten die Stimmen der Möbelpacker. Einer rief nach mir, und Lars, Sven und ich liefen so schnell wie möglich runter. Die nächsten eineinhalb Stunden verbrachten wir damit, meine ganzen Möbel und Kisten reinzutragen, dann war es endlich geschafft und ich setzte mich erschöpft auf den Karton mit meinen Büchern. Sven und Lars ließen sich auf mein Bett fallen, dass momentan noch mit durchsichtiger Folie überzogen war. Das war wahrscheinlich auch besser so, denn ihren Schweiß wollte ich bei aller Geschwisterliebe nicht unbedingt an meiner Bettwäsche haben. Als ich schließlich meine Kräfte wiedergefunden hatte, stand ich auf und schaute meine Brüder auffordernd an. "Ich räume jetzt meine Sachen ein und ihr kocht. Einverstanden?" "Ähm, eher nicht so. Wie wär's wenn du kochst und wir deine Sachen einräumen?" Augenverdrehend schaute ich Lars an. "Dann finde ich nichts wieder. Also Gegenvorschlag zum Gegenvorschlag. Wir räumen jetzt alle zusammen meine Sachen ein und während ich anschließend koche, nagelt ihr mir mein eines Regal und meine Fotos an die Wand. Deal?" "Deal", erwiderte meine Brüder unisono und in den nächsten zwei Stunden räumten wir mein komplettes Zimmer bis auf die Fotos und den Inhalt des einen Regals ein. Dabei erklärte ich den Jungs immer wieder den Inhalt verschiedenster Bücher und musste meine Geschichtslexika rechtfertigen, die ich mit viel Liebe und Sorgfalt seit meinem 11. Lebensjahr sammelte. Als wir endlich fertig waren, ließ ich meine Brüder mit Nägeln, einem Hammer und der Bitte, sich nicht zu verletzen, alleine. Unten in der Küche warf ich einen Blick in den Kühlschrank und die Schränke und stellte überrascht fest, dass die Jungs sogar eingekauft hatten. Die Putenbrust schnitt ich in Streifen und briet sie mit wenig Fett an, dann machte ich den Salat, das Dressing und schnitt ein wenig Gemüse hinein. Als alles fertig war, deckte ich den Tisch und stellte die große Schüssel hin. Jeweils zwei Stufen auf einmal nehmend, lief ich die Treppe hoch in mein Zimmer. Dort schlug Lars gerade zum letzten Mal mit dem Hammer auf einen Nagel, dann hängte Sven das Bild hin. Die beiden klatschten ab und ich applaudierte kurz, um auf mich aufmerksam zu machen. "Ich bin stolz auf euch, Jungs. Und jetzt los, Essen!" Wir gingen runter und setzten uns an den Tisch, Lars zauberte irgendwo noch Bier her, dann stießen wir an und genossen das Essen. Das anschließende Einräumen des Bestecks in die Spülmaschine überließ ich den Jungs, ich machte es mir stattdessen auf der Couchlandschaft bequem und schaltete den Fernseher ein. Gerade als die Nachrichten zu Ende waren, kamen meine Brüder wieder ins Wohnzimmer und schmissen sich neben mich. Im Bruchteil einer Sekunde war ich die Fernbedienung los und schon lief Fußball. Aber damit konnte ich gut leben und so verbrachten wir unseren ersten Abend in der gemeinsamen Wohnung.

Plötzlich zwei Brüder?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt