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Erschöpft rieb ich mir die Schläfen und versuchte, mich wieder auf den Text vor mir zu konzentrieren. Schon nach wenigen Minuten gab ich den Versuch wieder auf und seufzte verzweifelt. Neben dem regelmäßigen Training noch zu studieren war unglaublich anstrengend, da ich überall 100 Prozent geben wollte. Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass ich schon in einer halben Stunde wieder los musste. Also klappte ich meine Bücher und Hefte zusammen und stand auf, um meine Sporttasche zu packen. Das dauerte nicht lange und anschließend lief ich runter in die Küche, wo Lars und Sven saßen. "Ich fahre jetzt zum Training", informierte ich die beiden und sie nickten. Ich schulterte meine Tasche und verließ die Wohnung. Als ich hinter mir die Tür schloss fiel mein Blick auf das Schild, das wir vor kurzem ausgebessert hatten. Denn mitterweile hatte ich meinen neuen Personalausweis mit meinem neuen Nachnamen und war jetzt offiziell eine Bender. Lächelnd lief ich die Treppe runter zu meinem Auto und fuhr los. Als ich ankam, waren Anna, Melissa, Valentina, Henrike, Merle, Saskia, Matea, Pauline, Lena, Madeline, Nicole und Laura schon da. Ich begrüßte alle mit einem Handschlag und Laura mit einer Umarmung, da sie soetwas wie meine beste Freundin im Team geworden war. Nach und nach trudelten auch die anderen ein und wir liefen auf den Platz. Dort warteten schon die Trainer auf uns. "So Leute, morgen ist unser Spiel gegen Gütersloh und ihr wisst, wie wichtig das ist. Also seid konzentriert dabei heute und wer auch nur den Hauch eines Schmerzes verspürt, lässt sich direkt untersuchen. Wir können morgen keine Ausfälle gebrauchen. Und jetzt warm machen!" Wir joggten los und machten einige Übungen, dann splittete sich die Gruppe. Die Torhüterinnen hatten ihr eigenes Training bei Philipp, einige wurden von unserem Athletiktrainer Tobias gefordert und die restlichen verteilten sich auf Verena, Cornelia und Detlef. Wir powerten uns heute nicht komplett aus, weil morgen ja das Spiel war, aber am Ende machten wir noch ein Abschlussmatch. Ich spielte jetzt immer im Mittelfeld und es machte wirklich Spaß, weil ich auch mal ein bisschen zwischen Angriff und Verteidigung wechseln konnte, wobei ich meistens eher die Abwehr unterstützte. Aber bei Trainingsspielen ging es vor allem um den Angriff und deshalb dribbelte ich Saskia in diesem Moment den Ball ab und rannte in die Richtung des gegnerischen Tors. Ich war rechts außen und in der Mitte lief Laura mit. Kurz vor der Linie schickte ich den Ball steil in ihre Richtung und sie haute das Ding ins Netz. Ich rannte grinsend zu ihr und wir gaben uns High-Five, dann ging es weiter. Am Ende gewann mein Team mit 8:5 und wir liefen alle verschwitzt in die Umkleide. Leise summend schnappte ich mir mein Handtuch und verschwand unter der Dusche. Als ich zurückkam, wurde ich von Gekicher empfangen. Verwirrt lief ich schneller und blieb wie angewurzelt in der Mitte der Umkleide stehen. Melissa, Frederike und standen auf meinem Platz und hatten mein Handy in der Hand. "Hey!", sagte ich laut, und die drei fuhren ruckartig auseinander. Doch aus den überraschten Gesichtern, wurden schnell wieder grinsende. "Du bist ein Groupie." Stirnrunzelnd legte ich den Kopf schief. "Ich bin was?" "Ein Fangirl. Von Sven und Lars Bender. Weil ihr denselben Nachnamen habt, oder was?" Aus dem Team wusste bisher keiner, dass die Jungs meine Brüder waren, weil ich keine Sonderbehandlung wollte. Und daran hatte sich auch nichts geändert, weshalb ich einfach nur den Kopf schüttelte und Lena mein Handy aus der Hand riss. "Die beiden sind ganz cool, aber ich bin mit Sicherheit kein Fangirl, das Poster von den beiden im Zimmer hängen hat und sie den ganzen Tag im Internet stalkt. Für solchen Blödsinn habe ich gar keine Zeit." "Ja klar." Die drei kicherten wieder und ich verdrehte nur genervt die Augen. Dann zog ich mir schnell Unterwäsche, Socken, Jeans, Shirt und Jacke an, schulterte meine Sporttasche und verabschiedete mich leise von den wenigen Mädchen, die noch in der Umkleide waren. Aber sobald ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, traten mir Tränen in die Augen, die ich kräftig herunterschluckte. Dann setzte ich mein bestes Lächeln auf und verließ das Gebäude. Ich war so in Gedanken, dass ich nicht auf den Weg achtete, und voll in jemanden reinknallte. Geradeso konnte ich mich noch davor bewahren auf dem Boden zu landen. Ich schaute hoch und spürte, wie meine Wangen sich ein wenig erhitzten. Was war denn jetzt los? Seit wann wurde ich rot, wenn ich Julian traf. Verwirrt schüttelte ich leicht den Kopf und beeilte mich, wieder zu lächeln. Der Blonde grinste mich verlegen an. "Sorry, ich hab nicht aufgepasst." Ich winkte ab. "Ich auch nicht, wir sind also beide Schuld. Hast du jetzt Training?" "Jap. Und du kommst gerade vom Training?" Ich nickte und spürte sofort, wie mein Herz schwerer wurde. Irgendwie hatten die drei mich gekränkt und die anderen auch, weil sie nichts dagegen gesagt hatten. Plötzlich fiel mir wieder ein, dass Julian ja noch vor mir stand, und ich lächelte schnell wieder. Aber anscheinend war ich zu langsam gewesen, denn jetzt war sein Blick besorgt. "Lief es nicht gut?" "Doch, es war super und ich stehe morgen auf jeden Fall in der Startelf." "Aber?" Ich seufzte. "Als ich vom Duschen zurückgekommen bin, hatten drei Mitspielerinnen mein Handy in der Hand. Sie haben meinen Sperrbildschirm gesehen, das Foto von Sven und Lars, was ich neulich gemacht hab, als sie nebeneinander eingeschlafen sind. Na ja, sie haben gelacht und gemeint ich wäre ein Fangirl. Das geht mir eigentlich am Arsch vorbei, aber seit der Sache mit Jan ist mein Selbstbewusstsein irgendwie total verkorkst." Ich spürte wieder Tränen in meinen Augen und als Julian mich in den Arm nahm, ließ ich sie einfach fließen. Der Blonde hielt mich so lange fest, bis ich mich beruhigt hatte. Dann löste ich mich von ihm und lächelte schüchtern. "Danke. Mal wieder." "Keine Ursache. Ich bin immer für dich da, okay? Und deine Brüder auch. Warum sagst du den Mädels nicht einfach, dass die beiden deine Brüder sind?" "Ich will keine Sonderbehandlung und ich hab auch absolut keine Lust, dass ich ständig nach Autogrammen von euch gefragt werde oder so. Einige aus dem Team sind nämlich wirklich ziemliche Fans von Jungs aus eurem Team." "Hm, das kann ich verstehen. Aber wenn sie Autogramme oder so wollen, dann sag' ihnen doch einfach, dass sie regelmäßig auf demselben Trainingsgelände sind und uns selber fragen sollen." "Ja, vielleicht mache ich das. Aber wahrscheinlich noch nicht morgen." Julian schien kurz zu überlegen, dann grinste er. "Vielleicht ja doch. Na ja, hast du Lust uns noch beim Training zuzuschauen?" Ich zuckte die Schultern und nickte. "Klar, warum nicht. Ich bringe nur noch schnell meine Tasche zum Auto." "Super. Dann bis gleich." "Bis gleich." Lächelnd lief ich weiter und Julian auch. Mein Auto stand zum Glück nicht weit weg und ich beeilte mich, sodass ich nur wenige Minuten nach Trainingsbeginn auf der Tribüne saß. Die Jungs waren heute echt gut und man sah ihnen am Ende wirklich an, dass sie sehr zufrieden waren. Ich lief runter auf den Platz und wurde von Sven und Lars empfangen. "Bäh Jungs, nicht umarmen! Ihr seid total verschwitzt und ich hab gerade erst geduscht!" "Na gut Kleine, dann machen wir uns halt erstmal wieder frisch für dich." Ich nickte schmunzelnd und die beiden verschwanden. Immer mehr Jungs liefen in die Umkleide und begrüßten mich. Bernd umarmte mich sogar kurz, er war mittlerweile ein wirklich guter Freund geworden, wenn nicht sogar mein bester hier. Zuletzt kam Julian, der vor mir stehenblieb und sich verlegen hinterm Ohr kratzte. "Äh, ein paar von den Jungs wollen jetzt noch was Trinken gehen. Hast du vielleicht Lust mitzukommen?" Hoffnungsvoll schaute er mich an und bei diesem Blick musste ich gar nicht lang überlegen. "Gerne."

Plötzlich zwei Brüder?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt