"Hey Kleine, wir sind wieder zu Ha- Emily!" Wie in einen Wattebausch eingepackt, nahm ich Lars' Stimme wahr. Kalte Hände trafen meine Wangen, aber ich schaffte es trotzdem nicht, aufzusehen oder mich zu bewegen. Stattdessen blieb ich genauso eingekauert sitzen, wie ich die letzten Stunden hier verbracht hatte. Ein Ruck fuhr durch meinen Körper, als ich hochgehoben wurde. Ich drückte mich leicht an den warmen Körper neben mir, dann spürte ich unter mir etwas weiches, auf dem ich abgelegt wurde. Als Lars gehen wollte, hielt ich automatisch seine Hand fest. Er sollte nicht gehen. Ich konnte jetzt nicht alleine sein. Im nächsten Moment senkte sich der Untergrund und schon lag ich in den Armen meines großen Bruders. Erschöpft vom vielen Weinen schloss ich die Augen und wiegte mich einfach nur in Sicherheit. Nur halb bekam ich mit, wie Sven sich zu uns gesellte und spätestens als die Zwillinge mir den Rücken massierten und mir Kreise auf den Arm malten, schlief ich ein.
Als ich wach wurde, lag ich immer noch zwischen Sven und Lars. Meine Brüder schliefen noch und ich richtete mich vorsichtig auf, um keinen der beiden zu wecken. Das klappte jedoch nicht, da ich Sven aus Versehen auf die Nase schlug. Irritiert blinzelte er und schaute mich dann besorgt an. "Wie geht's dir?" Ich zuckte die Schultern. "Besser, denk ich." "Was war los?" Ich schluckte. "Eure Mutter war hier und es ist- etwas aus dem Ruder gelaufen." "Sie hat uns angerufen, eine Weile nachdem sie hier weggefahren ist. Und da hat sie immer noch geweint. Sie war wirklich fertig." "Daran war sie selbst Schuld. Sie hat über Mama geredet und dazu hat sie kein Recht, sie am allerwenigsten!" "Beruhige dich, ich hab's verstanden. Aber du solltest dich mal mit ihr aussprechen. Wenn nicht für sie, dann für Lars und mich. Sie ist unsere Mutter und, obwohl sie uns angelogen hat, lieben wir sie. Und wir wollen nicht zwischen euch entscheiden müssen, okay?" Ich nickte leicht. "Okay." Vorsichtig krabbelte ich vom Sofa und stand auf, wobei ich im ersten Moment etwas schwankte. Das entging Sven natürlich nicht, er war schon immer der Besorgtere gewesen, der Aufpasser, der Beschützer. Lars handelte eher mal unüberlegt, aber war trotzdem fast immer zuverlässig. "Na, mal wieder zu wenig gegessen? Wenn du so weitermachst wie vor deinem Zusammenbruch, kommt bald der nächste." "Ich weiß, ich hab es halt gestern vergessen. Dafür können wir doch jetzt zu dritt schön essen." "Wenn du auf die Uhr schaust, wirst du sehen, dass es die perfekte Zeit für Frühstück ist." Alamiert drehte ich mich zur Uhr unter dem Fernseher um. Tatsächlich, wir hatten die Nacht durchgeschlafen und ich hatte den Anfang der Uni verpasst. Seufzend drehte ich mich zurück zu Sven und nickte. "Frühstück klingt super." Er stand ebenfalls auf und wir liefen zusammen in die Küche. Nach einem Blick in den Brotkorb schickte ich Sven los zum Brötchenholen und deckte in der Zwischenzeit den Tisch. Irgendwann wachte auch Lars auf und half mir noch beim Rest, dann kam der Dritte im Bunde auch schon zurück und wir konnten unser Frühstück genießen. Anschließend überließ ich den Jungs das Aufräumen und lief in mein Zimmer, wo ich schnell alles für die Uni zusammenpackte und in eine unauffällige Tasche stopfte. Dann machte ich mich frisch, flocht mir zwei Zöpfe, zog mir etwas neues an und machte mich fertig zum Losgehen. Als ich die Treppe nach unten kam, saßen Sven und Lars auf dem Sofa und waren an ihren Handys. Diesen Moment der Abgelenktheit nutzte ich aus. "Ich geh spazieren und dann noch ein bisschen in der Stadt shoppen. Wann habt ihr Training?" "Um vier, aber wir müssen heute schon eineinhalb Stunden fürher los." "Alles klar, dann sehen wir uns vermutlich erst danach. Bis später." Von den Zwillingen kamen nur knappe Abschiede, dann schloss ich hinter mir die Wohnungstür und verließ so schnell wie möglich das Haus, falls den beiden noch irgendwas einfiel. In meinem Auto drehte ich erstmal das Radio auf, wo in diesem Moment das Lied wechselte. Wie erstarrt trat ich auf die Bremse und wurde von der Schwerkraft nach vorne geschleudert. Der Airbag ging glücklicherweise nicht auf, aber dafür sah ich vor meinem inneren Auge plötzlich eine Szene ablaufen, die mir bekannt vorkam.
Die Musik füllte meine Adern aus, genauso wie der Alkohol, den ich schon intus hatte. Lachend griff ich nach Julians Hand und zog ihn auf die Tanzfläche. Er war ein ziemlich guter Tänzer, soweit ich das im betrunkenen Zustand noch erkennen konnte. Wir tanzten eine ganze Weile zusammen, bis ich keine Lust mehr hatte und den blonden Mittelfeldspieler in eine Ecke zog, wo wir uns hinsetzten. Er auf einen Stuhl und ich auf seinen Schoß, wobei ich meinen Kopf gegen seine Halsbeuge lehnte. Irgendwie wurde ich gerade müde. "Alles ist scheiße", nuschelte ich und rieb meine juckende Nase an Julians Shirt. Dieser drehte leicht den Kopf zu mir. "Was ist scheiße?" "Alles. Uni, Training, mein Leben. Alles scheiße." "Hey, sag sowas nicht. Irgendwann wird aus jeder Scheiße wieder eine Blume." Ich begann zu lachen und Julian fiel mit ein. "'Ne Blume? Dein Ernst?" "Mein voller Ernst", kam die Antwort im Brustton der Überzeugung. Seufzend nahm ich Julians Hand und verschränkte unsere Finger. "Du bist toll. Kein so'n Arschloch wie Jan. Vielleicht sollte ich dich anbaggern und versuchen deine Freundin zu werden." Ich kicherte. "Lieber nicht. Ich bin gar nicht so toll, wie du denkst. Da sind zu viele Macken." "Macken sind toll, ich hab auch ganz viele. Aber ich glaub, wenn ich mit dir zusammenkomme, krieg' ich Stress mit deinen ganzen Teenie-Fans." Wieder kicherte ich und Julian tat es mir gleich, bevor er wieder ernst wurde. "Die kennen mich doch gar nicht. Du mich eigentlich auch nicht, aber immernoch besser als die Fans." "Dann erzähl' mir was über dich", nuschelte ich und schloss müde die Augen. "Was soll ich dir denn erzählen?" "Erzähl mir was über deine Macken." Julian lachte kurz. "Wo soll ich da bloß anfangen? Ich kann es nicht leiden, wenn man die Lautstärke beim Fernseher einstellt und die Zahl ungerade ist. Genauso wenn ich bei meinem Handy die Lautstärke verändere und diese kleinen Kästchen erscheinen. Die müssen genau am Lautsprecher-Symbol enden oder an einer der Schallwellen. Ich habe nie ein ganzes Brot zu Hause, weil ich es sowieso nicht esse, aber ich mag auch kein Geschnittenes aus dem Supermarkt, deshalb kaufe ich immer ein ganzes und gebe die Hälfte der Suppenküche für Obdachlose um die Ecke. Ich hasse es, wenn im Bio-Müll Teebeutel sind, deshalb gibt es dafür einen Extra-Müll. Ich trinke fast nur grünen Tee, Früchte und solches Zeug sind mir zu süß. Kamillentee ist noch cool, aber da hört es dann eigentlich auch schon auf. Ich habe eine Strähne, die mir immer in die Stirn fällt und die mich total aufregt. Deshalb brauche ich immer viel Zeit und viel Haarwachs, um sie an Ort und Stelle zu halten." "Okay, du kannst aufhören. Mehr kann ich mir gerade sowieso nicht merken", unterbrach ich ihn leise. Vorsichtig öffnete ich die Augen, meine Müdigkeit wurde wieder weniger. "Lass uns nochmal tanzen gehen", schlug ich vor, und Julian nickte und ließ sich von mir mitziehen.
Irritiert über diesen Flashback, der offensichtlich vom Abend, an den ich mich bisher nicht hatte erinnern können, stammte, schaute ich in den Rückspiegel. Ich hatte wohl ziemliches Glück gehabt, dass hinter mir gerade kein anderes Auto gewesen war, als ich so gebremst hatte. Tief durchatmend startete ich den Wagen wieder und fuhr weiter, ließ das Radio aber aus, bis ich die Uni erreicht hatte.
#geschwistergoals und Emily erinnert sich an etwas. Welchen Charakter mögt ihr bisher am meisten und warum? Hat außer mir noch jemand das Interview mit Sven und Lars in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gelesen?
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Plötzlich zwei Brüder?
FanfictionEmily fühlt sich wie in einem schlechten Film. Ihre Mutter ist gerade gestorben und hat ihr einen Brief hinterlassen, in dem die 20-Jährige erfährt, dass sie adoptiert und durch eine Affäre ihres Vaters entstanden ist. Entschlossen macht sie sich au...