30 (Epilog)

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Ich begann automatisch zu lächeln, als sich von hinten zwei Arme um mich legten und sanfte Küsse auf meinem Hals verteilt wurden. "Nur noch ein Topf Schatz, dann bin ich ganz für dich da." Leise murrend zog Julian sich zurück und ich spülte schnell den letzten Topf zu Ende, bevor ich meine Hände abtrocknete und mich lächelnd zu meinem Freund umdrehte, um ihn zu küssen. Er erwiderte gefühlvoll und wir lösten uns erst wieder voneinander, als uns beiden die Luft ausging. Ich strahlte Julian an und zog mir die Schürze aus, um sie an den Haken neben mir zu hängen, dann griff ich nach meiner Tasche und rief laut nach Andrea. Sie kam sofort aus dem Nebenraum und zog mich in eine herzliche Umarmung. „Danke für deine Hilfe. Frohe Weihnachten." „Nicht dafür, und dir auch frohe Weihnachten Andrea." Ich befreite mich aus ihren Armen und hakte mich bei Julian ein, dann verließen wir die Suppenküche und stiegen vor der Tür in Julians Auto. Während der Fahrt hatte ich meinen Kopf gegen die Fensterscheibe gelehnt und schaute nach draußen. Passend zu Heiligabend hatte es vorhin zu schneien begonnen und ich freute mich wie ein kleines Kind. Mittlerweile hatte sich schon eine kleine weiße Schicht auf allem gebildet und ließ es richtig nach dem kalten Winter aussehen, den wir hatten. Vor Svens, Lars' und meiner Wohnung stiegen Julian und ich aus und beeilten uns ins Warme zu kommen. Kaum hatte ich die Wohnungstür geöffnet, kam mir auch schon Laura entgegen. Seit ich wusste, dass sie schwanger war, hatte ich das Gefühl, das es schon mehr als sichtbar war, aber da war ich wohl die einzige, denn Lars, Nele, Julian und Bernd hatten noch nichts gewittert. Ich umarmte meine beste Freundin, dann hörte ich Lars aus der Küche verzweifelt rufen und lief schnell zu ihm. Vor meinem Bruder stand eine Auflaufform, deren Inhalt kohlrabenschwarz war. „Was sollte denn das mal werden?", erkundigte ich mich leicht belustigt. „Gefüllte Gans. Und es lief so gut!" Ich begann unwillkürlich zu lachen, weil ich genau wusste, welche Schritte Lars zuvor durchgemacht hatte. Bei meiner ersten Gans hatte ich mich übergeben, nachdem ich sie wegen einer verlorenen Wette ausnehmen musste. Lars seufzte und schaute mich unglücklich an, weshalb ich ihm leicht die Schulter tätschelte. „Keine Sorge, nächstes Jahr darfst du's nochmal versuchen. Aber jetzt brauchen wir was Sicheres, also lass mich mal ran." Lars nickte nur und hab mir die Schürze, welche ich mir schnell über den Kopf zog. Dann schaute ich zu meinen Geschwistern und Freunden, die mich dabei beobachteten. „Ja, ihr dürft auch gerne helfen. Ich muss wissen, was wir noch alles da haben." Sofort kam Bewegung in die Gruppe und alle nahmen irgendwelche Schränke auseinander. Letztendlich entschied ich mich einfach für Nudelauflauf und während dieser schließlich backte, machte ich mich frisch, flocht mir die Haare, zog mir etwas passendes an und schminkte mich etwas. Dann lief ich wieder runter und das Essen konnte direkt serviert werden. Nele, Laura und ich saßen jeweils unseren Freunden gegenüber und ließen uns das Essen schmecken, während sich an allen Ecken angeregt unterhalten wurde. Ich musste unwillkürlich grinsen, als ich beobachtete, wie Julians verhasste Strähne ihm in die Stirn fiel. Er bemerkte es erstmal nicht, doch dann begann seine Hand zu zucken und wanderte immer mal wieder etwas hoch, bis er schlussendlich seine Stirn berührte und genervt die Augen verdrehte. In diesem Moment begann ich schallend zu lachen und die anderen schauten mich irritiert an, während ich halb erstickend fast vom Stuhl fiel. Als ich mich schließlich halbwegs beruhigt hatte, erklärte ich es den anderen, bis wir letztendlich alle laut lachten und Julian imitierten. Der spielte zunächst die beleidigte Leberwurst, fiel aber schon nach wenigen Sekunden in die allgemeine Heiterkeit mit ein. Grinsend widmete ich mich schließlich wieder meinem Essen und eine Viertelstunde später fingen wir dann mit der Bescherung an. Ich schenkte Laura und Sven einen Body für das Baby, auf dem Ich bin ein echter Bender stand. Untendrunter war ein Bild von Sven, wie er jubelnd die Faust in die Luft hob. Nele und Lars bekamen Schmuck und Gutscheine, von mir gabs ein Kinderfoto von Lars in einem Rahmen, den ich extra Kleinkind-mäßig bemalt hatte. "Das stelle ich mir auf den Schreibtisch ins Büro", beschloss Nele sofort grinsend und Lars wurde knallrot, so sehr schämte er sich, obwohl das Bild eigentlich sogar ganz niedlich war. Zumindest, wenn man von der Eiscreme absah, die sein komplettes Gesicht und T-Shirt bedeckte. Eigentlich war das eine ziemlich gute Tarnung. Kopfschüttelnd über meine seltsamen Ideen, widmete ich mich meinen Geschenken. Von den Mädels bekam ich einen Gutschein für ein Wellnesswochenende zu dritt und von meinen Brüdern ein Fotoalbum mit Bildern von unserer Stiftung. Lächelnd blätterte ich es durch, dann war Julian dran. Er grinste verlegen und legte leicht den Kopf schief. "Du bekommst dein Geschenk erst später. Hier ist nur eine Einladung." Er reichte mir einen Umschlag und ich öffnete ihn, um den kurzen Brief herauszunehmen. Eine kleine Brücke am Stadtrand war abgebildet und ich wusste sofort, wo es war. Julian und ich waren öfter dort gewesen, wenn wir Johanna besonders vermisst hatten. Und irgendwann hatten wir dann aus zwei Ästen und einer Schnur ein Kreuz gebastelt. Julian hatte sogar von einem Schreiner extra ein kleines Häuschen darüber setzen lassen, damit das Kreuz keinen Regen abbekam. Wir gingen regelmäßig hin und erneuerten die Blumen davor und irgendwie war es unser Ruhepol geworden. Nirgendwo konnte ich so für mich sein, wie dort. Lächelnd schaute ich Julian an und nickte, dann bekam er noch seine Geschenke von den anderen. Ich würde meins für ihn später mit zu unserem Platz nehmen und es ihm da geben. Das passte ziemlich gut, weil mein Geschenk etwas mit Johanna zu tun hatte. Als die Bescherung beendet war, standen wir alle auf und ich wollte schon zum Spülen in die Küche gehen, als Sven mich aufhielt. "Fahr mit Julian los, wir machen das hier schon." Ich lächelte ihn dankbar an und drückte ihm einen Schmatzer auf die Wange, dann verließen Julian und ich die Wohnung. Wir fuhren eine Weile mit seinem Auto, dann erreichten wir unser Ziel und stiegen aus. Fröstelnd, weil einer kalter Wind uns empfing, wickelte ich mich enger in meine Jacke und folgte meinem Freund zu Johannas Kreuz. Als ich es erblickte, spürte ich auf einen Schlag die Kälte und den Wind nicht mehr, sondern die Leere. So war es jedes Mal, wenn ich es sah. Ich spürte die Leere, die ich direkt nach der Fehlgeburt gespürt hatte. Leise seufzend ging ich in die Hocke und strich sanft über das grobe Holz. Julian tat es mir gleich, dann zog er eine schmale Schachtel aus seiner Jackentasche. Ich tat es ihm gleich und wir tauschten die Geschenke aus. Ich beobachtete, wie der Blonde sich ans Auspacken machte und begann ebenfalls, das Papier aufzureißen. Zum Vorschein kam eine Pappschachtel, die ich aufschieben konnte. Mit großen Augen musterte ich die Kette, bestehend aus einem dunklen Lederband Und einem Anhänger. Mit zittrigen Fingern hob ich ihn an und Tränen sammelten sich in meinen Augen, als ich erkannte, dass es ein kleiner Teddybär war. Das Silber war kühl und flach und meine Fingerspitzen ertasteten auf der Rückseite eine Gravierung. Also drehte ich den Teddy um und begann endgültig zu weinen. Johanna stand da in geschwungenen Buchstaben und daneben das Datum, an dem ich sie verloren hatte. Mit verheulten Augen schaute ich zu Julian, der nicht anders aussah. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf meine Lippen, denn wir hatten uns unwissentlich fast dasselbe geschenkt. Anstellte einer Kette, hatte ich mich bei Julian zwar für ein dunkles Lederband entschieden, aber der Anhänger war derselbe. "Jetzt weiß ich, wieso der Juwelier so einen passenden Vorschlag hatte", bemerkte Julian schmunzelnd und ich nickte schwach. Die letzten Tränen tropften von meinen Wangen, während ich mich aufrichtete und Julian durchdringend anschaute, der es mir gleichtat. Für einen Moment herrschte Stille und wir musterten uns einfach nur, dann legte ich meine Hand vorsichtig auf seine Wange. "Ich liebe dich. Mehr, als es mir vielleicht gut tut, aber ich will es auf keinen Fall ändern. Ich liebe dich, Julian." Anstelle einer Antwort zog der Blonde mich an sich heran und legte seine Lippen sanft auf meine.

Wir hatten bei weitem noch nicht alles überstanden und es würde weitere Probleme geben, das war sicher. Aber genauso sicher war die Tatsache, dass wir ineinander beide einen sicheren Hafen gefunden hatten. Und egal wie sehr der Sturm tobte, in diesem Hafen war ich sicher, geborgen und vor allem geliebt. Von ganzem Herzen geliebt.

Plötzlich zwei Brüder?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt