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Vor meinen Augen tanzten schwarze Punkte, während ich mich zum Spielfeldrand schleppte, wo mir irgendjemand eine Wasserflasche in die Hand drückte. Gianna hatte sich verletzt und wurde gerade behandelt, aber es sah nicht gut aus. Wir spielten schon seit über einer Stunde und lagen 2:0 hinten. Meine Kräfte verließen mich langsam aber sicher, doch eine Auswechselung kam für mich nicht in Frage. Ein Grund dafür waren die vier Personen, die sich auf der Tribüne wiederfanden. Meine Brüder und Bernd hatten Julian überredet, dass sie sich alle zusammen mein Spiel ansehen würden, weil sie selbst erst abends dran waren und heute kein Auswärtsspiel anstand. Erschöpft gab ich die Wasserflasche zurück und rieb mir die Schläfen, bevor ich meinen Blick über das Spielfeld schweifen ließ. Hinter mir ertönte Verenas besorgte Stimme. "Alles gut?" Ruckartig drehte ich mich um, wobei ich beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Schnell nickte ich. "Klar, was sollte sein?" "Keine Ahnung, aber du warst schon beim Training gestern irgendwie komisch drauf. Willst du raus?" Sofort schüttelte ich den Kopf. "Gianna muss wahrscheinlich gleich ausgewechselt werden, da solltest du nicht gleich noch jemanden auswechseln." "Stimmt. Aber wenn meine Spielerinnen nicht fit sind, bringen sie mir nichts." Ich setzte ein zuversichtliches Gesicht auf. "Ich bin fit. Und jetzt sorge ich erstmal dafür, dass wir das Ding heute gewinnen." Mit diesen Worten joggte ich auf meine Position, da Gianna in diesem Moment vom Platz geführt wurde, wobei sie stark humpelte. Für sie kam Henrietta rein und schon ging das Spiel weiter. Ich gab mir alle Mühe meine Beine zum Weiterlaufen anzutreiben und schließlich wurde meine Mühe belohnt. Lena schickte einen weiten Pass von ihrer linken auf meine rechte Seite, wo ich durchstartete und abzog. Der Ball prallte ins Netz, da die gegnerische Torhüterin sich total verschätzt hatte. Jubelnd nahm ich wieder meinen Platz ein. Jetzt mussten wir genau so weitermachen. Knappe zehn Minuten später eroberte ich in unserer Hälfte den Ball, spürte aber, dass mich die Kräfte verließen, weshalb ich zu Pauline passte und stehenblieb. Für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, alles würde sich drehen, und war mir sicher, dass ich gleich umkippen würde, dann erholte ich mich aber wieder und stellte glücklich fest, dass wir den Ausgleich erzielt hatten. Mit einem Blick auf die Stadionuhr stellte ich fest, dass die Nachspielzeit soeben begonnen hatte. Aufgrund der langen Behandlungspause von Gianna waren die sechs Minuten völlig berechtigt und ich sammelte eisern meine Kräfte zusammen, obwohl ich innerlich schon längst wusste, dass sie aufgebraucht waren. Immer wieder glitt mein Blick jetzt zur Uhr und als schließlich die letzte Minute anbrach, riss Pauline hinten den Ball an sich und startete einen letzten Angriff. Die Sekunden verstrichen und dann sah ich, wie Lena auf der anderen Seite durchstartete. Sofort rannte ich los und winkte ihr, obwohl das nicht mehr nötig war, da sie mich längst gesehen hatte. Aus kurzer Distanz versenkte ich die Kugel im leeren Tor, während im gleichen Moment meine Beine unter mir versagten und ich auf den Boden fiel. Das Letzte, was ich mitbekam, waren stechende Schmerzen in meinem Unterleib. Dann war alles schwarz.


‼️Triggerwarnung: Thema Fehlgeburt‼️

Als ich wieder zu mir kam, spürte ich sofort, dass ich in einem Bett lag. Außerdem roch es steril, weshalb ich die Befürchtung hegte, dass ich im Krankenhaus war. Obwohl ich merkte, dass ich keine Kraft hatte, versuchte ich mich aufzurichten. Ich scheiterte kläglich, aber plötzlich erschienen alle möglichen Personen um mich herum. Links standen Sven, Lars und Bernd, am Bettende Verena und eine mir unbekannte Frau im weißen Kittel und auf meiner rechten Seite Julian und Laura. "Hey Kleine, was machst du denn für Sachen?" Besorgt musterte Sven mich und strich mir sanft über die Wange. Ich schloss nur erschöpft die Augen und zuckte leicht die Schultern. Ich hörte Schritte, dann war eine unbekannte Stimme direkt neben mir. Als ich die Augen öffnete, stellte ich fest, dass sie der Ärztin gehörte. "Hallo Frau Bender, ich bin Dr. Dietrich. Erinnern Sie sich, was passiert ist?" Ich überlegte kurz, dann nickte ich. "Wir hatten ein Spiel, ich hab ein Tor geschossen und dann wurde alles schwarz." Ich erwähnte bewusst die Bauchschmerzen nicht, da ich keine Pferde scheu machen wollte. "Sehr gut. Ich werde jetzt noch ein paar Untersuchungen machen und dann sollten Sie schlafen. Ihre Freunde würde ich dafür gerne rausschicken, wenn das okay ist." Ich nickte, woraufhin sich alle verabschiedeten und ich mit der Ärztin alleine blieb. Diese zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben mein Bett. "Ehrlich gesagt waren die Untersuchungen eher eine Ausrede. Wir wissen nämlich schon, was Ihnen fehlt. Hatten Sie in letzter Zeit starke Bauchschmerzen, war Ihnen schlecht, haben sich Ihr Geschmacks- und/oder Geruchssinn verschärft?" Ich musste nicht lange überlegen. "Mir war öfter mal schlecht und ich musste auch brechen, aber ich hab das auf den Uni-Stress geschoben, weil ich im Moment Klausurenphase habe. Und gestern hatte ich mal Unterleibschmerzen, aber das lag daran, dass ich bald meine Tage bekomme, denk' ich. Na ja, und kurz bevor ich das Bewusstsein verloren habe, hatte ich so stechende Unterleibschmerzen. Aber das mit dem Geschmacks- und Geruchssinn nicht. Wieso?" "Weil die Übelkeit und die Schärfung der Sinne die häufigsten Schwangerschaftssymptome sind." Mit großen Augen starrte ich die Ärztin an. "Ich bin schwanger?" Sie schaute kurz auf ihre Hände, dann wieder zu mir und schüttelte den Kopf. "Die starken Bauchschmerzen kamen von einer Fehlgeburt. Sie waren schwanger, aber durch den ganzen Stress und die hohe körperliche Belastung des Profisports, hat ihr Körper die befruchtete Eizelle abgestoßen. Außerdem weisen Sie erste Anzeichen einer Mangelernährung auf, was ein weiterer Grund sein könnte." "Ich hab das Essen wegen der Uni vernachlässigt, kann schon sein." Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Ich war schwanger gewesen. Von Julian, das war die einzige Möglichkeit. "Im wievielten Monat war ich?", erkundigte ich mich trotzdem. "Anfang vierter." Das passte. Es war also tatsächlich Julians und mein Baby gewesen. In meinem Hals bildete sich ein dicker Kloß. "Könnten Sie mich bitte alleine lassen?", fragte ich mit monotoner Stimme und schaute aus dem Fenster. "Natürlich. Wenn Sie mit einem Psychologen sprechen möchten, können Sie sich jederzeit an mich oder einen der Pfleger wenden. Und eine Sache noch: Sie werden in den nächsten Tagen vermutlich noch Nachblutungen haben und auch ab und zu leichte Unterleibschmerzen, aber das sollte spätestens nach einer Woche aufhören." Ich nickte leicht und hörte, wie Frau Dr. Dietrich den Raum verließ und die Tür hinter sich schloss. In meinem Kopf herrschte ein riesiges Chaos. Auf der einen Seite war ich doch erst 20, ich hätte jetzt sowieso kein Kind gewollt und Julian und ich waren nichtmal zusammen. Außerdem studierte ich noch und wir hatten beide mit dem Fußball genug am Hut. Auf der anderen Seite war da ein kleiner Mensch in mir herangewachsen, auch wenn man im frühen vierten Monat vermutlich noch nicht wirklich von einem Menschen sprechen konnte. Und doch fühlte ich mich in diesem Moment einfach nur leer, obwohl ich gar nichts von der Schwangerschaft gewusst hatte. In meinen Augen bildeten sich die ersten Tränen und liefen meine Wangen hinab, dann wurden es immer mehr und irgendwann drückte ich mein Gesicht seitlich ins Kissen, um mein Schluchzen zu dämpfen. Und immer noch war in mir drin alles durcheinander. Was sollte ich Sven und Lars erzählen? Sie würden besorgt sein und nicht nachlassen, bis sie alles wussten. Kannte Verena die Wahrheit? Musste sie als meine Trainerin nicht informiert werden? Würde ich es Laura erzählen? Musste ich wahrscheinlich, sie würde ebenfalls nicht locker lassen und ich brauchte mit Sicherheit jemanden zum Reden. Aber die wichtigste Frage war auf jeden Fall, was ich mit Julian machen würde. Ihn im Ungewissen lassen? Aber Sven und Lars würden wissen wollen, wer der Vater gewesen wäre. Und wenn ich es ihnen nicht erzählen würde, würden sie eins und eins zusammenrechnen und auf Julian kommen, weil wir beide betrunken in meinem Bett gewesen waren. Verzweifelt raufte ich mir die Haare und setzte mich schließlich mit einem Ruck auf. Der war jedoch eindeutig zu heftig, denn im nächsten Moment kam Galle meine Speiseröhre hoch und ich erbrach mich auf die Decke. Noch immer weinend drückte ich den roten Knopf neben meinem Bett und fast sofort erschien eine Schwester. Sie erfasste mit einem Blick die Situation und kam zu mir, um mich in den Arm zu nehmen. Dann rief sie eine anderen Schwester und die beiden wechselten die Bettdecke und mein komisches Krankenhaushemd, das auch voll geworden war. Als ich schließlich wieder im Bett lag, starrte ich einfach nur die Decke an und mein Kopf war wie leergefegt, kein einziger Gedanke war mehr vorhanden. Und irgendwie schlief ich ein.



Eine vielleicht erwartete, vielleicht unerwartete Wendung. Was haltet ihr davon? Ich kann mir gut vorstellen, dass einigen das vielleicht nicht gefällt, aber das ist meine Geschichte, die meiner Fantasie entspringt und sie verläuft, wie ich sie verkaufen lasse. Über euer Feedback würde ich mich wie immer sehr freuen☺️

_C_

Plötzlich zwei Brüder?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt