Ihr Gesicht war vor Schmerz verzerrt und trotzdem versuchte sie zu lächeln. "Ich wollte euch besuchen. Mit so einer stürmischen Begrüßung hab' ich nicht gerechnet." Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte ich sie skeptisch. "Das ist nicht witzig, ich hätte dich noch viel schlimmer erwischen können. Na los, ich helf' dir rein. Sven und Lars werden mich umbringen." Meine Laune, die Bernd den Tag über so gepusht hatte, war mit einem Schlag wieder futsch. Innerlich seufzend hielt ich meiner Erzeugerin die Hand hin und zog sie hoch. "Wo hast du Schmerzen?", erkundigte ich mich und sie hob leicht den Fuß. Ich bückte mich und zog ihr Hosenbein leicht hoch. Im schwachen Licht der Laterne war eine Diagnose gar nicht so einfach, aber ich tippte auf einen Bänderriss. Verdammter Mist, wieso ausgerechnet Karin? Ich verkniff mir einen ausgesprochenen Fluch, erhob mich wieder und legte ihren Arm um meine Schulter, um sie zu stützen. "Wahrscheinlich ein Bänderriss. Wenn Laufen gar nicht geht, sag' Bescheid." Die Mutter der Zwillinge nickte und wir kamen langsam aber sicher voran. Als wir endlich vor dem Aufzug standen, entdeckte ich ein Schild, das meinen Tag endgültig ruinierte. Defekt. Noch nie in meinem bisherigen Leben hatte ich dieses Wort so sehr gehasst. Aber ich verkniff mir irgendwelche Worte, sondern stützte Karin weiter in Richtung Treppe. Diese zu bewältigen brauchte eine Ewigkeit und als wir schließlich vor der Wohnungstür standen, schnauften mir beide wie nach einem Marathon. Ich drückte die Klingel und Sven öffnete die Tür. "Mama! Was machst du denn hier?" Dann musterte er uns genauer und sein Gesichtsausdruck wechselte zu besorgt. "Was ist passiert?" Meine Antwort kam leise und beschämt. "Ich hab sie angefahren." "Wie bitte?" "Ich hab sie angefahren. Sie hat vermutlich einen Bänderriss, aber du musst sie mir jetzt mal abnehmen, weil mein Auto noch unten steht." Ohne weitere Worte drückte ich meinem verdutzten Bruder seine Mutter in den Arm und joggte die Treppe nach unten. Mein Auto stand noch an Ort und Stellte und ich stieg schnell ein, um zu parken. Als ich jedoch die Tür hinter mir zu ziehen wollte, schoss ein stechender Schmerz durch meinen Arm. Erschrocken entdeckte ich die Ecke, die ziemlich deutlich zeigte, dass der Knochen wohl gebrochen war. Ich stöhnte genervt auf. Das war jetzt aber wirklich das Allerletzte, was ich gebrauchen konnte. Am liebsten hätte ich wütend um mich geschlagen, entschied mich dann aber dafür, die Tür mit der anderen Hand zu schließen und einhändig zu parken. Gott sei Dank gehörte ich zu den halbwegs talentierten Autofahrern und hatte eine große Parklücke. Erleichtert stellte ich nach einer gefühlten Ewigkeit den Motor ab und stieg aus, um ins Haus zu gehen. Während dem Weg nach oben wurde mir immer schwummriger vor den Augen, bis es für einen Moment komplett schwarz wurde. Als ich wieder zu mir kam, lag ich einem ziemlich muskulösen Paar Armen. "Na, alles wieder gerade?" Ich nickte leicht und stöhnte vor Schmerz, als das Pochen in meiner Hand zurückkehrte. "Haben Sie Schmerzen?", erkundigte sich die tiefe Stimme von eben und ich nickte leicht, während ich langsam wirklich wieder wacher wurde. Vorsichtig richtete ich mich auf und stellte fest, dass ich immer noch auf der Treppe war. Die Stimme gehörte offensichtlich zu einem kräftigen Mann mit breiten Oberarmen, der ein weißes Shirt und darüber eine rote Jacke trug. In diesem Moment klickte es bei mir. "Sind Sie Rettungssanitäter?" Er nickte lächelnd. "Dann hat sie bestimmt mein Bruder gerufen. Seine Mutter ist in der Wohnung, ich glaube sie hat einen Bänderriss." Jetzt wirkte der Mann erstaunt. "Sie sind nicht die Patientin?" Ich schüttelte den Kopf und stand auf, wobei ich den aufkommenden Schiwndel geschickt ignorierte. "Ich bring' Sie hin." "Geht's?" Ich nickte, hielt mich während des restlichen Treppenaufstiegs aber gut am Geländer fest. Als wir die Wohnung erreichten, klingelte ich erleichtert und Lars machte auf. Er entdeckte erst mich und dann die Sanitäter hinter mir. Sanft griff er nach meiner Hand, glücklicherweise der unverletzten, und machte Platz. Die beiden Männer in den roten Jacken kamen rein und Lars brachte sie ins Wohnzimmer. Ich blieb erschöpft im Türrahmen stehen und beobachtete, wie Karin untersucht wurde. Dann kam die erleichternde Diagnose: Die Bänder waren überdehnt, aber nicht gerissen. Erleichtert atmete ich aus und torkelte zum Sofa, wo ich mich neben sie fallen ließ. Der Sanitäter von vorhin schaute mich fragend an. "Noch Schmerzen?" Ich nickte und hob meinen Arm leicht hoch. Sven, Lars und Karin zogen laut die Luft ein, während die beiden Sanitäter sich sofort um den Bruch kümmerten. "Tut mir Leid, aber Sie müssen ins Krankenhaus." "Bitte nicht, da war ich erst." "Wieso das?" Meine Wangen färbten sich leicht rot. "Bin zusammengebrochen." "So wie vorhin auf der Treppe?" "Das vorhin war gar nichts, ich bin einfach nur müde." Sven lief zu mir und half mir hoch. "Ich fahre mit ins Krankenhaus, okay Kleine? Und Lars macht Mama was zu Essen und einen Schlafplatz." Damit waren alle einverstanden und ehe ich mich versah, lag ich im Krankenwagen. Sven saß neben mir und hielt meine Hand, während sein Blick nicht von mir wich. Im Krankenhaus angekommen bekam ich alles nur noch halb mit, was unter anderem an den Schmerzmitteln lag, die in mich reingepumpt wurden. Nach gefühlten Stunden kam die erste wirklich gute Nachricht an diesem Tag: Ich musste nicht operiert werden. Ich bekam lediglich einen Gips und dann würden die Knochen von selbst wieder richtig zusammenwachsen. Als Sven und ich nachts zurückkamen, schliefen Lars und Karin noch nicht, sondern saßen auf dem Sofa und warteten auf uns. "Wir haben euch Essen übrig gelassen." Ich nickte nur, Sven bedankte sich bei seiner Mutter mit einem Kuss auf die Wange, dann setzten wir uns an den Tisch und aßen die Nudeln. Anschließend führte Lars mich in mein Zimmer und wünschte mir eine gute Nacht. Meine Müdigkeit hatte sich mittlerweile etwas gelegt, weshalb ich mich schnell umzog und dann vorsichtig die Tür öffnete. So leise wie möglich tapste ich zum Anfang der Treppe und hockte mich hin, um den drei Benders zuzuhören. "-nicht Emilys Schuld. Ich hab' nicht nach links und rechts geschaut", hörte ich Karins Stimme und atmete erleichtert aus. "Sag' ihr das morgen am besten selbst. Wieso bist du denn eigentlich hier?" Meine Erzeugerin seufzte. "Ich wollte nochmal mit ihr reden. Letztes Mal ist es wirklich nicht gut gelaufen." Lars räusperte sich. "Das lag nicht an dir. Emily hatte eine ziemlich harte Phase nach dem Zusammenbruch. Eigentlich hat es damit angefangen, dass wir feiern waren und Julian und sie-" Meine Augen wurden größer. Er durfte ihr auf keinen Fall von der Fehlgeburt erzählen. Ohne weiter nachzudenken lief ich die Treppe runter und räusperte mich vernehmlich. "Karin, würdest du uns bitte kurz allein lassen?" Sven stand auf. "Sie sollte nicht zu viel laufen, aber Lars und ich können gerne mit dir in die Küche gehen." Sein Ton war bestimmt und hart, was mir den Eindruck vermittelte, dass er angepisst war. Ich nickte einfach nur und lief mit meinen Brüdern im Schlepptau in den Nebenraum. Dort drehte ich mich wütend um. "Was fällt euch ein? Ihr ward gerade ernsthaft kurz davor ihr von der Fehlgeburt zu erzählen! Das ist meine Sache!" Die Zwillinge schauten mich entsetzt an. "Sie ist deine Mutter!" "Nein, ist sie nicht! Sie ist eure Mutter, meine ist tot. Und diese fremde Frau hat kein Recht etwas von der Fehlgeburt zu wissen. Kapiert?" Lars seufzte als erster und nickte. "Verstanden. Wir halten die Klappe. Und dafür gehst du jetzt ins Bett und schläfst dich gesund. Gute Nacht." Er drückte mir einen Kuss auf die Wange, dann tat Sven dasselbe und ich verließ die Küche. Ohne einen Blick zu Karin lief ich die Treppe hoch, machte mich im Bad fertig und ließ mich anschließend in mein warmes Bett fallen, wo es nicht lang dauerte, bis die Müdigkeit und der Schock ihr übriges taten, sodass ich schnell einschlief.
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Plötzlich zwei Brüder?
FanficEmily fühlt sich wie in einem schlechten Film. Ihre Mutter ist gerade gestorben und hat ihr einen Brief hinterlassen, in dem die 20-Jährige erfährt, dass sie adoptiert und durch eine Affäre ihres Vaters entstanden ist. Entschlossen macht sie sich au...